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# taz.de -- Serie „Kunsträume Berlin“: Zwischen Leben und Tod
> In einer neuen Reihe stellen wir ungewöhnliche Kunstprojekte vor. Zum
> Auftakt geht es mit der „Kunst im Westend“ in ein Krankenhaus.
Bild: „Kunst im Westend“ bringt Bilder an die Klinikwand
Beim Durchschreiten des Eingangstores zu den DRK-Kliniken Berlin im Westend
erblickt man zunächst ein beschauliches Stück Grün – durchsetzt von
diversen Skulpturen und umgeben von roten Ziegelsteinbauten. Das Gelände
erinnert mehr an einen Campus denn an ein Krankenhaus.
Im Jahr 1904 als städtisches Krankenhaus der Stadt Charlottenburg
entstanden, überlebte es beide Weltkriege nahezu unversehrt und wurde 1948
tatsächlich zum Universitätsklinikum der neu gegründeten Freien
Universität. Seit 1991 betreibt die DRK-Schwesternschaft Berlin das
Klinikum – mit den Schwerpunkten der Chirurgie, Inneren Medizin, Frauen-
und Kinderheilkunde sowie Geburtsmedizin.
Neben der erhalten gebliebenen Gebäudestruktur und der „matriarchalen“
Leitung zeichnet das Klinikum noch eine weitere Besonderheit aus: Seit 2001
gibt es hier Ausstellungen namhafter KünstlerInnen.
Kuratorin Anne Marie Freybourg startete die Initiative mit einem bestimmten
Ziel: „Die PatientInnen sollen durch das Betrachten der Werke und die
Auseinandersetzung mit der Kunst aus ihrem Fokus auf sich selbst und dem
Kreisen um die eigene Krankheit und damit verbundene Ängste herausgeholt
werden“.
## Seelische Kräfte fördern
Freybourg betreibt bereits seit 1983 die „Kunstpraxis“, ein Büro für
Ausstellungen, Texte und Projekte mit zeitgenössischer Kunst. Ärzte und
Schwestern gründeten 2003 zusammen mit ihr den Förderverein „Kunst im
Westend“, der seither über Spenden die Finanzierung der Ausstellungen
ermöglicht. Leitbild des Vereins ist die Überzeugung, Kunst sei in der
Lage, seelische Kräfte zu fördern und die Genesung voranzutreiben.
Angefangen haben die Ausstellungen in der Frauenklinik. Im Gang, der hier
im Erdgeschoss am Kreißsaal vorbeiführt, sieht man derzeit eine Ausstellung
von Johannes Bittmann, die thematisch um das pralle Leben mit seinen
Irrungen und Wirrungen kreist. Während auf Stationen mit kurzer
Verweildauer der PatientInnen eher leichte, auch unterhaltsame Kunst
ausgestellt wird, zeigt Freybourg auf der Chirurgie nur Kunst mit
internationalem Anspruch: „Die Rezeption findet hier oftmals zwischen Leben
und Tod statt, die Werke müssen daher kraftvoll, zuweilen auch
herausfordernd sein.“
Wer die Patienten der DRK-Kliniken sind? Menschen mit schweren
Unfallverletzungen oder tödlichen Krebserkrankungen, aber auch Patienten
mit vergleichsweise harmlosen Krankheiten wie Bandscheibenvorfällen sind
hier im Westend. Die Kunstwerke begleiten die PatientInnen auf ihren
täglichen Wegen durch die langen weißen Flure oder auch beim Warten.
## Baselitz zu beschauen
Neben Thomas Florschuetz, Leiko Ikemura und Olav Christopher Jenssen
stellte hier auch bereits Georg Baselitz aus, in der Eingangshalle des
Hochhauses ist weiter ein großes Wandbild von ihm zu sehen. Aktuell sind es
die Arbeiten Win Knowltons, die unter dem Titel „A Day On The Beach“ die
langen Flure der Chirurgie beleben. Die Frage, ob es nicht Schwierigkeiten
bereite, KünstlerInnen dazu zu bewegen, mit explizit nichtkommerzieller
Absicht Großausstellungen in Krankenhäusern zu bestücken, verneint
Freybourg entschieden: „Die KünstlerInnen empfinden die veränderten
Bedingungen allesamt als Bereicherung und Herausforderung.“
Die Kunstwerke stehen im Westend oft dramatischen individuellen Schicksalen
gegenüber, müssen diesen standhalten. Auch im ganz normalen
Krankenhausalltag mit seinen im Gang parkenden Betten, Rollstühlen und
Essenswägen und an den Wänden hängenden Feuerlöschern muss sich die Kunst
behaupten können. „Die angenehme Unordnung, die so entsteht, fördert
manchmal Bedeutungsschichten der Arbeiten zutage, die sich erst in diesem
Kontext eröffnen“, so die Kuratorin.
Neben fünf Ausstellungen, die parallel auf verschiedenen Stationen laufen,
finden sich über das gesamte Gelände verteilt 34 Bronze- und
Steinskulpturen, die dort dauerhaft installiert sind. Die ausgestellten
Werke reichen von abstrakter Malerei und Installationen über Videostills
bis hin zu kleinen, guerillaartigen Interventionen. Jede Ausstellung
verbleibt einige Monate an einem Ort – manchmal sogar bis zu einem Jahr.
Die damit verbundene ungewöhnlich lange Dauer der Rezeption bedeutet sowohl
für PatientInnen und Bedienstete als auch für die KünstlerInnen selbst eine
spannende Erfahrung: „Insbesondere Mitarbeitende, die über den gesamten
Zeitraum der Ausstellungen mehrmals am Tag an den Werken vorbeilaufen,
erzählen davon, wie sich im Laufe der Zeit auch ihre Wahrnehmung der Werke
verändert.“
Ebenso spannendes Potenzial birgt die Zusammensetzung der Menschen im
Krankenhaus, die sich mit den Werken konfrontiert sehen: Sowohl viele
PatientInnen als auch Mitarbeitende haben kaum Erfahrungen mit Formen der
Kunst und ebenso wenig theoretisches Hintergrundwissen. Ganz zur Freude der
KünstlerInnen: „So entstehen ganz unmittelbare, spontane Reaktionen auf die
ausgestellten Werke, die sie in der Form bisher an keinem ihrer
Ausstellungsorte bekommen haben“, so Freybourg.
## Besondere Herausforderung
Der in New York lebende Künstler Win Knowlton berichtet über seine
Erfahrungen: „Es ist sehr erfrischend, in einem so ehrlichen,
nichtkommerziellen Umfeld auszustellen.“ Einige Werke seiner Ausstellung,
die über hundert Objekte umfasst, entwarf er eigens für das Krankenhaus:
„Ich wollte den Menschen etwas Heilsames, Optimistisches geben, deshalb
auch der Titel der Ausstellung. Eine besondere Herausforderung war es für
mich, das in dem Bewusstsein zu tun, dass ich es mit einem garantierten,
wenn auch zum Teil nicht ganz freiwilligen Publikum zu tun habe.“
Neben Kunstgesprächen mit PatientInnen und Mitarbeitenden der verschiedenen
Stationen, auf denen ausgestellt wird, rief Freybourg auch eine Reihe zum
Thema „Kunst und Medizin“ ins Leben, in deren Rahmen regelmäßig Lesungen,
Vorträge und Workshops stattfinden. Die Reihe beinhaltet auch
Veranstaltungen über Ärzte, die wie Gottfried Benn und Alfred Döblin als
Dichter berühmt wurden.
Aktuell ist sie dabei, die empirische Erforschung des Projektes
voranzutreiben: „Wir wollen untersuchen, ob es zutrifft, dass die
PatientInnen durch die Auseinandersetzung mit Kunst entspannter und
zuversichtlicher werden.“ Ihre Überlegung: Eine Studie, die die heilsame
Wirkung von Kunst auf PatientInnen bewiese, könne bezeugen, dass diese auch
weniger Medikamente benötigten – was der Pharmaindustrie in die Quere
kommen könnte.
So oder so: Freybourg bleibt angesichts der bevorstehenden Hürden
optimistisch: „An einen kunstfernen Ort, in die Peripherie zu gehen und
dort Kunst einzubringen ist eine Herausforderung und gleichzeitig etwas
Schönes.“
DRK Kliniken Westend, Spandauer Damm 130
23 Jul 2017
## AUTOREN
Annika Glunz
## TAGS
zeitgenössische Kunst
Kunsträume Berlin
Krankenhäuser
Schwerpunkt Iran
Kulturpolitik
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