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# taz.de -- Volksbühne-Premiere in Berlin-Tempelhof: Kein Bock auf Flüchtling…
> Am Samstag feierte „Iphigenie“ Premiere. Alle Darstellerinnen sind aus
> Syrien, wollen aber nicht auf ihren Status reduziert werden.
Bild: Die Darstellerinnen stellen ein Casting nach, bei dem sie sich um die Rol…
Ausgesprochen schön sind die neun jungen Frauen, die nach und nach vor die
Kamera für das Casting des Theaterprojekts „Iphigenie“ treten. Ausgewählt
zu werden, weil sie schön sind, die Erfahrung haben sie schon gemacht,
darauf legen sie weiter keinen Wert, das engt sie eher ein.
Aus Syrien kommen sie alle, aber nein danke, als Repräsentantinnen von
Geflohenen wollen sie nicht auftreten. Das erzählen sie der Frau, die sich
dicht an ihre Gesichter heranzoomt, manchmal aber erst nach dem Abschalten
der Kamera. Und bitte schön, als Musterbeispiel für eine gelungene
Integration wollen sie auch nicht dienen. Es ist ein Nein zum
Schubladendenken und zum Gelabeltwerden als Flüchtlingsprojekt im
Kulturbetrieb, das die neun Laiendarstellerinnen in der „Iphigenie“ von
Mohammad Al Attar und Omar Abusaada sehr deutlich vortragen.
Aber genau darauf ist das Projekt natürlich geschrumpft in den vielen
Vorankündigungen. Marietta Piekenbrock, die Programmdirektorin, war froh,
das syrische Team um den Autor Mohammad Al Attar und den Regisseur Omar
Abusaada für die Volksbühne und den Neustart auf Tempelhof, wo vor zwei
Jahren noch große Flüchtlingsunterkünfte untergebracht waren, gewonnen zu
haben.
In den sieben Tagen, in denen die Volksbühne am Rosa-Luxemburg-Platz in
Berlin besetzt war und die Besetzer vom Theater zum Beispiel Teilhabe
verlangten und Bezug auf das Leben vor Ort gegen Gastspielimport
ausspielten, konnte man sich vorstellen, dass diese „Iphigenie“ genau dies
einlöst.
## Karges Setting im Hangar 5
Öffnet sie doch die Bühne für neun junge Frauen aus Berlin, die wie viele
in dieser Stadt noch nicht lange hier angekommen sind und noch nicht
wissen, wie sie ihren Platz und ihre Rolle finden können. Eine Schülerin
ist darunter, viele Studentinnen von Kunst, Architektur und Schauspiel. Die
Texte, mit denen Mohammad Al Attar und Omar Abusaada arbeiten, beruhen auf
den Gesprächen mit ihnen.
Das Setting im Hangar 5 des ehemaligen Flughafens ist karg, streng,
ernüchternd. Einzeln treten sie vor die Kamera als Bewerberinnen; und darin
liegt ein Echo der vielen Situationen des Ausgefragtwerdens, des
Sich-Erklären-Müssens, die das Ankommen in Deutschland mit sich bringt. Die
Frau hinter der Kamera, von Reham Alkassar gespielt, sucht denn auch die
Deckung der jungen Frauen zu durchstoßen, verlangt Wahrheit, Spontaneität,
Bekenntnisse. Dass in den Antworten Gegenwehr spürbar wird, ist gut.
Die Antworten, in Arabisch gesprochen, auf Deutsch und Englisch mitzulesen,
bewegen sich dennoch in einem schmalen Raum, begrenzt von vielem, worüber
nicht geredet wird: der Krieg in Syrien, die verlassene Familie, die
Flucht, die Probleme hier. Die Texte kreisen mehr um die Frage, warum sie
Theater und warum „Iphigenie“ spielen wollen und damit mehr um ihre
Befindlichkeit, das Gefühl des Verlorenseins, die Einsamkeit, die
Unfähigkeit zur Kommunikation. Und um die Hoffnung, über das Theaterspielen
eine Verbindung herstellen zu können. Manchmal folgt dann noch ein kurzer
Monolog aus „Iphigenie“ oder ein berührendes Lied.
Hat man mehr erwartet? Eigentlich ja. Es war ja ein Ansatz von Mohammad Al
Attar und Omar Abusaada, gegen die reale Tragödie, in der sie sich als
Syrer jetzt befinden, die antiken Tragödien-Texte als ein Instrument zu
halten, das Sagbare auszuloten. So werden die Bewerberinnen gefragt, ob sie
sich wie Iphigenie für die Rettung ihres Landes opfern würden; und die
Antworten fallen zum Glück sehr unterschiedlich aus. Letztendlich aber
scheint die Figur des Opfers die falsche Frage, um ihrem jetzigen Drama auf
die Spur zu kommen.
1 Oct 2017
## AUTOREN
Katrin Bettina Müller
## TAGS
Schwerpunkt Syrien
Berliner Volksbühne
Theater Berlin
Syrischer Bürgerkrieg
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Politisches Theater
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Schwerpunkt Flucht
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