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# taz.de -- Verkaufte Konzeptkunst: Idee ist Materie geworden
> Hamburgs Kunstverein sucht Konzeptkunst und findet sich zwischen
> Nicht-mehr-Netzkunst und verkauften Ideen wieder.
Bild: Internationaler Abfall als Konzept: Hinterlassenschaften von Dodge Jason.
HAMBURG taz | Wo nur ist die Konzeptkunst geblieben? Nicht leicht zu
beantworten in diesen digitalen Zeiten, in denen Kunstgattungen und -medien
verschmelzen. Und dann stellt sich noch die Frage, wie stark sich die „Nur
Geist“-Konzeptkunst eigentlich materialisieren darf? Dies untersucht
derzeit die „Fluidity“-Ausstellung des Hamburger Kunstvereins. Ihr Titel
leitet sich ab von der „verflüssigten Gesellschaft“ des Soziologen Zygmunt
Baumann, in der sich Macht, Kontrolle, Konsum so schnell bewegen, dass den
Menschen keine Stabilität mehr bleibt.
Schon gar nicht die historisch verbindlicher Definitionen. Trotzdem wagt
die Hamburger Schau einen chronologischen Zugang: Sie beginnt mit jenem
Pamphlet, auf dem Lee Lozano 1969 ihren „Generalstreik“, ihren Rückzug aus
dem Kunstbetrieb verkündete. Nun gut, sie hob ihn nach sechs Monaten wieder
auf, aber die Revolution war so total wie die des Serben Mladen Stilinović,
der sich 1992 weigerte, zugunsten des westlichen Kunstbetriebs Englisch zu
lernen. Zeugnis ist sein Banner „An Artist who cannot speak english is no
Artist“, das derzeit in Hamburg hängt.
Denn ursprünglich – und das gilt auch für die Vereinigung zur Entwicklung
unproduktiver Zeit, die Pierre Huyghe 1995 als Gegenentwurf zum
Kunstbetrieb gründete – war Konzeptkunst politisch, institutionskritisch,
wollte keine hermetischen Objekte mehr, sondern Ideen, an denen alle
partizipieren sollten. Es war genau das, was in den 1990ern die Netzkunst
versuchte, ohne zu reüssieren: Zu gering war schon bald die Chance, im Netz
gefunden zu werden. Zu wenig korrespondierten die universelle
Zugänglichkeit und die virtuelle Präsentation mit Originalbegriff und
Exklusivitätsanspruch der Sammler. Also verabschiedeten sich Ende der
1990er Jahre viele Künstler aus dem Netz, und wer blieb, war auf Präsenz in
bekannten Kunstplattformen erpicht und hörte auf, das Netz zu kritisieren.
Einige wenige blieben und tun es noch, etwa die Künstlergruppe
„Ubermorgen“. Sie hat ein Modell der Informationsgenese im Netz auf den
Kunstvereinsboden gezeichnet. Daneben liegen Bücher voller willkürlich
gezogener Netzsentenzen. Sie sprechen für sich, aber will man diese
Dada-Collage schon konzeptuell, gar politisch nennen?
Da käme eher die Ägypterin Heba Amin infrage. Sie hat persönliche
Nachrichten, die während der Arabischen Revolution 2011 über Speak2Tweet –
dem improvisierten Ersatz für das vom Staat abgeschaltete Internet –
versandt wurden, herausgesucht und in einen systemkritischen Kontext
gestellt: Fotos unfertiger Bauten des korrupten Mubarak-Regimes. Eine
gespenstische Arbeit, zumal man das Scheitern der Revolution damals nicht
ahnte.
Zugleich fragt das Werk nach der Kontextualisierung historischer
Momentaufnahmen, nach dem Umgang mit archivierten Daten. Denn die
allgemeine Digitalisierungs- und Archivierungswut hat Folgen, und Tyler
Coburn hat hierzu Interessantes gefunden: 2014 besuchte er das
südkoreanische Songdo, die weltweit erste digitale Stadt, und erfuhr, dass
alle Big-Data-Sichter psychische Probleme bekamen. Die Hamburger Schau
zeigt Coburns Video der Therapiesitzungen; eine Distopie, die fast schon
wieder beruhigt: Wer soll Angst vor Datensammelwut haben, wenn sie niemand
auswerten kann? Denn Daten sind zunächst bloß akkumulierte Informationen.
Erst deren Verknüpfung macht sie nutzbar, wertvoll, verkäuflich.
## Idee wird zu Materie
Das betrifft auch Ideen – die Urwährung der Konzeptkunst –, mit denen sich
Jungunternehmer heute in Seedcamps quasi prostituieren, um Kapitalgeber zu
finden. Auf sehr zynische Art zeigen Simon Dennys Endlosvideos eines
Seedcamps, wie Idee zu Materie und Urheberschaft verkauft wird.
Auch Darren Bader spielt das schmerzlich ernst durch: Regelmäßig kauft er
Kunst von Kollegen, etwa von Louise Lawler –, um sie unter seinem Namen
auszustellen. Ein Plagiat, denkt man, illoyal – aber juristisch ist der
Vorgang korrekt. Diese Ambivalenz macht das Werk, das auch die digitale
Urheberrechts- und Netzneutralitätsdebatte aufruft, so beunruhigend.
Es ist eins der konzeptuell stärksten Werke der Schau, so stark wie zwei
zunächst unscheinbare Vorhänge und etwas Müll. Die bronzen glänzenden
Vorhänge stammen von Liam Gillick, heißen „What if?“ und schaffen eine
Bühne, einen Möglichkeitsraum, der sich bei jedem Vorbeigehen mitbewegt.
Den Müll dagegen, so kleinteilig wie zufällig in die Ecken geworfen, hat
Jason Dodge gesammelt, und das Reinigungsteam des Kunstvereins leidet immer
ein bisschen: Ist das Kunst, oder kann das weg? Das Phänomen ist nicht neu,
wirkt aber, da es keine auffälligen Beuys’schen Fettecken sind, subtiler:
Groß ist die Versuchung, zu den Chipstüten und Papierschnipseln noch ein
Tempotuch zu werfen. Oder die Dollarnote zu stehlen, was laut
Kunstvereinschefin Bettina Steinbrügge täglich passiert. Aber geht es nicht
gerade um diese Interaktion? Um die Chance, an Kunst zu partizipieren?
„What the living do“ heißt das Werk, und es enttäuscht ganz nebenbei des
Besuchers Bedürfnis nach einem sauber gefegten White Cube.
Des Kunstvereins Suche nach einer provozierenden, partizipatorischen
Konzeptkunst von heute ist also erfolgreich gewesen. Allerdings hat sich
deren Form seit ihren Anfängen ins Gegenteil verkehrt, passend zur Ära der
optischen Reize und der Geschwätzigkeit: Die Idee reicht nicht mehr. Es
muss auch einen sichtbaren materiellen Anker geben.
24 Feb 2016
## AUTOREN
Petra Schellen
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