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# taz.de -- Integration: Kein Dialog auf Augenhöhe
> Eine Ausstellung über muslimisches Leben in Lübeck kombiniert Preziosen
> der islamischen Kunst mit privatem Religionskitsch.
Bild: Hätten vielleicht Differenzierendes zum Islam sagen können. Nik und Zuh…
Diese Ausstellung ist wirklich lieb gemeint. Sie will den Lübecker Muslimen
das Gefühl vermitteln, endlich in der Stadt angekommen zu sein – was ja
auch Zeit wird nach über vier Jahrzehnten. 13.000 Menschen muslimischen
Glaubens leben inzwischen in der rund 210.000 Einwohner zählenden Stadt.
Die ersten kamen in den 1970er-Jahren. Jetzt zeigt die dortige Kunsthalle
St. Annen eine Ausstellung mit dem Titel „Salaam Lübeck – Muslimisches
Leben in der Hansestadt Lübeck“.
Ein Lübecker Spezifikum ist dabei, dass die Völkerkundesammlung, die seit
2006 kein festes Domizil mehr hat, die Schau ausrichtet; laut Vereinbarung
des Rats gastiert sie einmal jährlich in der Kunsthalle und zeigt
wechselnde Ausschnitte aus ihrer Sammlung.
Und genau da – bei der Vokabel „Völkerkunde“ – fängt das Problem der
aktuellen Ausstellung an. Denn wer heutige Lübecker Muslime als
„völkerkundlich interessant“ präsentiert, verweist sie damit letztlich ins
Reich der Exoten und setzt sich dem Verdacht aus, einen kolonialen Blick à
la Völkerschau zu pflegen.
Um das zu vermeiden, haben die Kuratoren zwar hochkarätige Exponate – etwa
einen Prachtkoran von 1546 oder das kunstvoll geschnitzte „Kairoer Zimmer“
aus dem 18. Jahrhundert – mit von Lübecker Muslimen geliehenen
Privatgegenständen kombiniert. Aber so politisch korrekt und gut gemeint
dieser partizipative Ansatz auch ist: Diese Kombination lässt das
Qualitätsgefälle der Exponate derart deutlich werden, dass eher das
Gegenteil eintritt: Wandbehänge mit kitschiger arabischer Strass-Inschrift
oder die Mini-Kaaba wirken wie im Andenkenladen. Es fällt schwer,
angesichts solchen Kitschs – der im privaten Raum selbstverständlich
berechtigt und angemessen ist – den Respekt vor der fremden Kultur zu
wahren. Dazu gesellen sich naiv wirkende Aussagen von Muslimen, etwa zu den
erhabenen Gefühlen beim erstmaligen Umrunden der Kaaba und darüber, dass
nur dort alle Wesen gleichberechtigt seien.
Das mag das Denken einiger Muslime spiegeln, kann aber beim unbedarften
Besucher den Eindruck erwecken, sie repräsentierten die Mehrheit. Zu einer
Schale mit „heiligen Datteln“ etwa hat ein Muslim gesagt, sie seien
wichtig, weil Mohamed mit ihnen den Ramadan gebrochen habe. Das stimmt,
wirkt aber folkloristisch und nicht wie eine heutige, erwachsene Aussage
über muslimisches Leben.
Auch die von den Ausstellungsmachern verfassten Objektbeschriftungen haben
es in sich: „In der europäischen Wahrnehmung der Türkei spielt Kaffee eine
große Rolle“, steht an der Vitrine mit Kaffeemühle, -kocher und -tasse. Und
weiter: „In diesem Zusammenhang sei auf das Kinderlied von Carl Gottlieb
Hering verwiesen: ,C-a-f-f-e-e, trink nicht so viel Kaffee.‘“
Oberflächlicher geht‚s kaum.
Geradezu unverfroren unpolitisch ist es, eine Burka zu zeigen und daneben
zu schreiben, sie sei – im 18. Jahrhundert aus Persien kommend – „von den
Frauen der städtischen afghanischen Oberschicht übernommen“ worden. Kein
Wort darüber, dass sie inzwischen in vielen Ländern als Symbol für die
Unterdrückung der Frau betrachtet wird – als sei das im Kontext dieser
Schau nicht relevant.
Im Obergeschoss ist eine Koranschule nachgestellt, samt an die Wand
gepinnten Lern-Fibeln. In einer steht: „Ich bin Muslima, bin Allahs
Dienerin und trage deshalb den Hijab“, das Kopftuch. Ob der Zusammenhang
wirklich so schlicht ist und ob ihn die gesamte islamischen Welt so
akzeptiert, diskutiert der Text nicht. Keine Silbe auch über gelegentlich
in Koranschulen lehrende fundamentalistische Prediger oder darüber, dass
manche muslimische Community hilflos zusehen muss, wie extremistische
Salafisten ihnen die Jugendlichen abwerben.
Dabei wäre sicher manch Lübecker Muslim – und sei es anonymisiert – zu
solchen Aussagen bereit gewesen. Aber die Ausstellungsmacher haben offenbar
nicht danach gefragt. Auch nicht in den Kurz-Interviews zu den sehr
gelungenen Porträts Lübecker Muslime, die der Fotograf Arne Wesenberg
gemacht hat. Da wurde in väterlich-wohlwollender Manier nach Heimat und
persönlicher Glaubenspraxis gefragt, als befänden wir uns ganz am Anfang
der öffentlichen Integrationsdiskussion.
Dazu gehört auch der 60er-Jahre-Gastarbeiter-Fotoalbum-Ansatz der
Präsentation, der mit dem längst überholten Konzept eines einheitlichen
Islam arbeitet. In der Tat ist das einzig Verbindende der Porträtierten ihr
Glaube: Der ägyptische Agraringenieur, der syrische Jurastudent, die Kinder
des Thai-Imbissbesitzers, die Türkinnen in der Moschee haben sonst nichts
gemeinsam.
Als habe man der Unwissenschaftlichkeit die Spitze aufsetzen wollen, lautet
die Beschriftung einer nigerianischen Hausa-Figur: „Um das 14. Jahrhundert
hatte sich der Islam in den Handelsstädten des Nigerbogens so weit
etabliert, dass auch die Bekehrung der politisch Mächtigen begann. Die
Ausbreitung des Glaubens brauchte indes noch lange Jahrhunderte, um auch in
ländliche Gebiete vorzudringen.“
Unter welchen Bedingungen missioniert wurde, erfährt man nicht. Und so
verharrt die Ausstellung bei einem verkrampft freundlichen Blick, der
genauso verallgemeinert, wie es der Kolonialismus tat. Nur, dass die
aktuelle Lübecker Ausstellung nicht das Licht ausblendet, sondern den
Schatten. Ein Dialog auf Augenhöhe umfasst aber beides.
29 Jun 2015
## AUTOREN
Petra Schellen
## TAGS
Integration
Ausstellung
Islam
Kunst
Hamburger Kunsthalle
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