# taz.de -- Kommentar Katastrophe von Tianjin: Angst, Zorn und tiefes Misstrauen | |
> Die Explosionen in Tianjin sollten ein Weckruf sein. Doch statt | |
> Transparenz herrscht Zensur. Das Krisenmanagement in China ist miserabel. | |
Bild: Die Helfer in Tianjin haben Gasmasken, große Teile der Bevölkerung nich… | |
Fünf Tage nach der verheerenden Serie von Explosionen im Binhai-Distrikt | |
der 13-Millionenstadt Tianjin wird das Ausmaß des Geschehens allmählich | |
deutlich. Noch immer steigt die Zahl der Toten und Verletzten, noch immer | |
ist unklar, was – außer Hunderten Tonnen giftigem Natriumcyanid –, noch in | |
den Lagerhäusern der 2012 gegründeten Firma Ruihai International Logistics | |
aufbewahrt wurde. | |
Die Katastrophe erinnert schmerzlich daran, was oft aus dem Blickfeld | |
gerät: welche ungeheuren Mengen gefährlicher Stoffe auch anderswo in China | |
täglich bewegt werden, um Fabriken, Labore und Kraftwerke der inzwischen | |
zweitgrößten Wirtschaftsnation zu versorgen. So liegen einige der größten | |
Chemiekomplexe der Welt, darunter auch deutsche, an den chinesischen Küsten | |
und am Yangtse – und nirgendwo sonst werden derzeit so viele Atomkraftwerke | |
gebaut wie hier. | |
Dass es zu Unfällen kommen kann, ist also nicht verwunderlich. Zumal die | |
chinesischen Institutionen, die für Arbeitssicherheit und Umweltschutz | |
sorgen sollen, schwach sind. Die Regierung tut alles, um zu verhindern, | |
dass sich die Öffentlichkeit engagiert oder, dass Anwohner sich | |
zusammenschließen, um verbrecherischen Unternehmen auf die Finger zu | |
schauen und rechtzeitig Alarm zu schlagen. Jüngst in China erlassene | |
Sicherheitsgesetze machen es noch schwerer, sich für solche Aktionen zu | |
organisieren. | |
Nach den Tianjiner Explosionen reagiert die Pekinger Regierung bislang auf | |
gewohnte Weise: Sie kündigt für das ganze Land strikte Kontrollen von | |
Chemiewerken und Lagerhäusern an, droht säumigen Funktionären und | |
Firmenvertretern strenge Strafen oder Entlassung an, verspricht | |
Entschädigung für die Bewohner der zerstörten Häuser und versucht, die in | |
der Presse und im Internet kursierenden Informationen in den Griff zu | |
kriegen. | |
## Informationen aus dem Netz gelöscht | |
Wer in China jetzt aber wissen will, was genau geschehen ist, erlebt | |
erneut, wie Informationen aus dem Netz gelöscht werden. So wachsen erneut | |
Angst, Zorn und tiefes Misstrauen, dass die zuständigen Politiker nur davon | |
reden, die Sicherheit und Ordnung zu bewahren, um ihren eigenen Kopf zu | |
retten. | |
Doch die Katastrophe von Tianjin sollte ein Weckruf sein: Wäre es nicht | |
spätestens jetzt an der Zeit für die chinesische Regierung, sich zu öffnen, | |
anstatt ihre eigene Bevölkerung zu fürchten? Es reicht schon lange nicht | |
mehr, dass Funktionäre und Firmenchefs hinter verschlossenen Türen | |
verhandeln, wie man mit den Gefahren der modernen Industrien in Zeiten des | |
globalen Austausches fertig werden will. | |
Müssen nicht auch chinesische und ausländische Umweltaktivisten und | |
Arbeitsschützer in aller Öffentlichkeit darüber ihre Erfahrungen | |
austauschen? Darüber, wie man laxe Kontrollbehörden in die Lage versetzt, | |
besser zu arbeiten? Wie Rechte durchgesetzt werden können? Müssten nicht | |
chinesische und internationale Journalisten frei zusammenarbeiten, um die | |
Wege der gefährlichen Güter zu recherchieren und ihre Landsleute zu | |
informieren? Ja, es ist höchste Zeit. | |
17 Aug 2015 | |
## AUTOREN | |
Jutta Lietsch | |
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