# taz.de -- Explosionskatastrophe in Tianjin: Nichts gelernt in Sachen Transpar… | |
> Der Hafen von Tianjin ist hochmodern, die Technik ist vielerorts auf dem | |
> neuesten Stand, die Vorschriften sind es auch – doch es hapert an ihrer | |
> Umsetzung. | |
Bild: Hier geht es nicht weiter. | |
Berlin taz | Wer mit dem Auto von der Innenstadt der Millionenmetropole | |
Tianjin über die Autobahn nach Binhai kommt, stößt auf ein Industriegebiet, | |
das selbst chinesischen Stadtplanern den Atem raubt – und die sind | |
Gigantonomie eigentlich gewohnt. | |
Lebten hier vor wenigen Jahren noch Fischer, reiht sich nun eine moderne | |
Fabrikanlage an die andere. 121 der weltweiten Top-500-Unternehmen haben | |
sich mit Fabriken in der „Binhai New Area“ angesiedelt, darunter auch | |
europäische Firmen wie Airbus, Volkswagen und Nestlé. Dahinter erstreckt | |
sich der ebenfalls erst vor wenigen Jahren errichtete Hafen. Gemessen am | |
Containerumschlag, ist er der zehntgrößte der Welt. | |
Nicht nur sind diese Anlagen neu, die meisten sind auch ausgestattet mit | |
moderner Technik, die den höchsten Sicherheitsanforderungen genügt. So | |
zumindest heißt es in Werbebroschüren der Stadtverwaltung von Tianjin. Und | |
trotzdem kam es in der Nacht zum Donnerstag in einer dieser Anlagen zu | |
verheerenden Explosionen, von denen man auch in China gedacht hatte, es | |
könnte sie nur in alten, maroden Anlagen geben. | |
Nach bisherigem Stand starben bei dem Unglück mindestens 112 Menschen, noch | |
immer werden 70 Menschen vermisst, darunter 64 Feuerwehrkräfte. | |
## Rekonstruktion der Katastrophe | |
Auch die chinesische Feuerwehr ist eigentlich längst mit modernen Geräten | |
ausgestattet. „Doch anscheinend nützt alle moderne Technik nichts, wenn die | |
Menschen versagen“, kommentiert ein Blogger im chinesischen Internet. | |
Trotz der Sperre für unabhängige Berichterstattung lässt sich inzwischen | |
rekonstruieren, wie es zu dieser verheerenden Katastrophe inmitten dieser | |
modernen Wirtschaftszone kommen konnte. | |
Kurz vor 23 Uhr am vergangenen Mittwochabend brach in einer Lagerhalle der | |
chinesischen Logistikfirma Ruihai ein Feuer aus. Feuerwehrkräfte rückten | |
an. Mit Wasser versuchten sie den Brand zu löschen. „Niemand hat uns | |
gesagt, dass dort gefährliche Chemikalien lagern, die nicht mit Wasser in | |
Berührung kommen dürfen“, zitiert die Zeitung Nanfang Zhoumo einen | |
Überlebenden. Sie hätten den Brand wie üblich bekämpft. Bei den | |
nachfolgenden Explosionen kamen die meisten Feuerwehrleute ums Leben. Der | |
Bericht mit dem Zitat des Überlebenden musste aus dem Netz genommen werden. | |
Nach einer Vielzahl von schweren Unglücken in Industrieanlagen hatte die | |
chinesische Führung die Arbeitsschutzbestimmungen deutlich verschärft und | |
mehrfach versprochen, die Kontrollen auszuweiten. Internationale | |
Arbeitsorganisationen bestätigen, an den offiziellen | |
Sicherheitsvorschriften gebe es nur wenig zu beanstanden. Sie entsprächen | |
Standards, wie sie in entwickelten Ländern üblich sind. „Vorschriften gibt | |
es jede Menge“, sagt der chinesische Experte für Arbeitsschutz, Li Dong. | |
Sie würden allerdings kaum eingehalten. | |
## Mit den Vorschriften nicht so genau genommen | |
Dass sich das ganze Land mit der Umsetzung der Arbeitsschutzbestimmungen so | |
schwertut, sei aber nicht nur auf skrupellose Fabrikleiter und korrupte | |
Behörden zurückzuführen. Auch viele der Mitarbeiter würden es mit den | |
Vorschriften nicht sehr genau nehmen, so der Experte. „Viele Arbeiter | |
kennen die Bestimmungen oft gar nicht.“ So würden Maschinen nicht | |
ausreichend gewartet, Notausgänge zugestellt, Brandschutzbestimmungen und | |
andere Sicherheitsvorkehrungen nicht beachtet. | |
Dieses Muster findet sich auch bei den Rettungsarbeiten. Bei der | |
Katastrophe in Tianjin waren zunächst auch nicht professionelle | |
Feuerwehrleute im Einsatz, sondern Hilfskräfte. Aber selbst die | |
professionellen Kräfte waren nicht informiert über die gefährlichen Stoffe | |
in den Hallen. | |
## Warnungen ignoriert | |
Die Katastrophe von Tianjin zeigt aber auch, dass die Behörden auch in | |
Sachen Transparenz nichts gelernt haben. Schon vorher hatten chinesische | |
Medien über Behälter auf dem Gelände berichtet, in denen wahrscheinlich bis | |
zu 700 Tonnen hochgiftiges Natriumcyanid lagerten. Obwohl die Brände auf | |
dem insgesamt über 100.000 Quadratmeter großen Trümmerfeld anhielten und es | |
zudem immer wieder zu weiteren Explosionen kam, wollten die Behörden von | |
diesen „Gerüchten“ aber nichts wissen. | |
Sie drohten denen, die sie verbreiten, sogar mit harten Strafen. Die | |
einschlägigen großen chinesischen Webseiten mussten sämtliche Einträge vom | |
Netz nehmen. Die Bevölkerung von Tianjin traute den offiziellen | |
Entwarnungen dennoch nicht. Sie wagte sich nur noch mit Atemmasken vor die | |
Tür. | |
Am Samstag, also erst am dritten Tag des Unglücks, bestätigte das | |
chinesische Militär diese weitere Hiobsbotschaft. An 3 von 27 Messstationen | |
im Wasser wurden Cyanidwerte gemessen, die zum Teil 24-mal so hoch wie der | |
erlaubte Wert waren, berichtet Chinas amtliche Nachrichtenagentur Xinhua am | |
Montag. „Sich in dem Explosionsgebiet zurechtzufinden ist wegen brennender | |
Chemikalien und verkanteter Container, die jeden Moment wegbrechen können, | |
extrem gefährlich“, wird Wang Ke zitiert, der Chef der mehr als 200 | |
Chemiespezialisten des Militärs. | |
17 Aug 2015 | |
## AUTOREN | |
Felix Lee | |
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