Introduction
Introduction Statistics Contact Development Disclaimer Help
# taz.de -- 54. Kunstbiennale von Venedig: Turnen für die Business-Class
> Es gibt sie, die Kunst, die ohne Knalleffekte auskommt und um die Würde
> des Menschen ringt. In Venedig aber macht das Laute und Offensichtliche
> eher das Spiel als das Subtile.
Bild: Böser Spaß des amerikanisch-kubanischen Künstlerpaares Jennifer Allora…
Die Einladung für "Il Dolce Far Niente" - wie "eine Picknick-Konversation
in Venedig" nun einmal heißen muss - wurde mir am Montag im Flugzeug
zugesteckt. Zum Glück. Sonst hätte ich das frugale Mahl am Abend des
gleichen Tags wohl verpasst, im Garten des isländischen Pavillons, der im
armenischen Collegio Moorat-Raphael steht. Der Pavillon gehört zu den
vielen Ausstellungsplattformen, die, über die ganze Stadt verstreut, im
Eifer des Gefechts, das in den Giardini und im Arsenale tobt, gerne
übersehen werden.
Seit 50 Jahren ist Island nun auf der Biennale vertreten, und immer wieder,
also nicht nur in diesem Jahr, sagt die Kuratorin Ellen Blumenstein, war
das Engagement umstritten. Dabei erinnert man sich, dass auch schon mal ein
Superstar wie Björk eingeflogen wurde, um bei der Party des isländischen
Pavillons, der früher in den Giardini zu finden war, aufzutreten.
## Konzept der Verlierer
Von derlei Extravaganzen kann jetzt, wo das Land wie kaum ein anderes unter
den Folgen der Finanzkrise leidet, nicht die Rede sein. Trotzdem, es wird
weiterhin gesungen. Für ihr Pavillonprojekt "Under Deconstruction"
kollaborierten die spanische Künstlerin Libia Castro und der isländische
Künstler Ólafur Ólafsson, die seit 15 Jahren ein Team bilden, mit der
isländischen Komponistin Karólina Eiríksdóttir. Sie schrieb die Musik, die
den Slogan "Your Country Doesn't Exist", mit dem Castro & Ólafsson seit
2003 arbeiten, zur Serenade transformiert. Die isländische Mezzosopranistin
Ásgerour Júníusdóttir trägt sie vor während einer Gondelfahrt durch die
Kanäle Venedigs.
Das Lied rechnet mit sämtlichem Ungemach der Globalisierung ab, wobei seine
eigentliche Botschaft darauf hinausläuft, dass das Konzept von Nation und
Vaterland ein Konzept der Verlierer ist, um mit Gottfried Benn zu sprechen,
der Huster und der Henkelohren. Die Gesunden, Reichen und Schönen dagegen,
die die Idee der nationalen Identität zwar gerne beschwören, haben sich
längst von ihr verabschiedet. Sie hieße ja womöglich, die eigenen
Interessen zurückzustellen und auf Profit zu verzichten.
Steuern zahlen die anderen. Und die stehen auch für ihr Land ein. Wobei man
sich fragt, ob das wirklich noch mehr meint als ein Unterhaltungsprogramm à
la European Song Contest. Oder à la Biennale? Diese Sorge scheint die
diesjährige Leiterin, die der 54. Ausgabe, die Schweizer Kritikerin und
Kuratorin Bice Curiger, umgetrieben zu haben, als sie sich entschloss, die
zentrale Ausstellung unter das Motto "ILLUMInazione" zu stellen, das den
positiven Begriff des Lichts mit dem eher negativ belasteten der Nation
zusammenbringt.
Freilich steht und fällt das Programm, Helligkeit und Transparenz in das
Dunkel des Nationalen bringen zu wollen, mit der Annahme, die heute weithin
geschätzte Gegenwartskunst zeige auch attraktive, avancierte Positionen
auf, die mit dem Wahren, Schönen, Guten paktierten statt nur mit den
Gesunden, Schönen und Reichen, deren öffentlich demonstrierter
Sammelleidenschaft die zeitgenössische Kunst ja vor allem ihre Populärität
verdankt.
Natürlich spricht Bice Curiger nicht vom Wahren, Schönen, Guten. Sie
spricht von Werten, die es zu schützen gelte. Komplexität etwa benennt sie
als ein solch kostbares Gut. Doch wo bitte ist diese zu finden im
internationalen Pavillon? Etwa bei Cindy Sherman, die sich in ihren
bekannten Kostümierungen weit überlebensgroß in Schwarz-Weiß gehaltene
Waldstücke hineinmontiert? In der maßlosen -denkt man an das kleine Format
ihrer Anfänge - Maßstabsvergrößerung kann sie wohl kaum liegen.
Auch die Kunst des US-amerikanischen Länderpavillons ist eher
offensichtlich als komplex, ertönt die Orgel doch mehr oder weniger
feierlich, sobald man den Geldautomaten benutzt, der in ihr steckt. Ein
komischer, böser Spaß des kubanisch-amerikanischen Künstlerpaars Jennifer
Allora und Guillermo Calzadilla, das in den anderen Räumen die
Flugzeugsessel der internationalen Businessclass nachgebaut hat. Auf ihnen
absolvieren jetzt einst erfolgreiche Olympioniken allerlei sportliche
Übungen, zu denen auch der Sprint auf dem Laufband gehört, durch den sich
die Panzerkette des umgestürzten Kriegsgeräts vor dem Pavillon lautstark in
Bewegung setzt.
Der Wettstreit der Nationen, wie ihn die Biennale 1894 für die Kunst und
die erste Olympiade 1895 für den Sport ausriefen - auch für Allora &
Calzadilla ist er eine Show, bei der wir uns statt für unser Land in
Wahrheit für unsere Businessclass verausgaben. Das sehen wohl auch die
aufständischen jungen Leute in Nordafrika so. Trotzdem lautet der letzte
Facebook-Eintrag des Medienkünstlers Ahmed Basiony, er werde bis zum Ende
Widerstand leisten, "um die Würde meines Landes wiederherzustellen".
Auf dem fünfteiligen Videoscreen im ägyptischen Pavillon ist eine seiner
Performances zu sehen, parallel zu seinen Aufnahmen von den Protestierenden
auf dem Tahrirplatz in Kairo. Am 25. Januar ging er, in ein spezielles
Outfit gekleidet, zum ersten Mal auf den Platz. Nur drei Tage später, am
28. Januar, wurde er dort von Scharfschützen erschossen.
## Zerfall in China
Frag nicht, was dein Land für dich tun kann, frag, was du für dein Land tun
kannst, dieser westlichen Kennedy-Weisheit huldigt Pan Gongkai im
chinesischen Pavillon in einem solchen Übermaß, dass man schon wieder
unsicher wird, ob er es wirklich ernst meinen kann. Pan Gongkai hat die
beiden Wände eines langen Korridors in der Tradition der chinesischen
Tuschemalerei ausgeschmückt, wobei er die vom Westen China aufoktroyierte
Kultur als Text über die Zeichnung projiziert.
Der Clou von "Melt": Sobald die lateinische Typografie auf ewige, einzige
und wahre chinesische Kunst trifft, zerfließt sie und fällt wie
Schneeflocken zu Boden. Viele Besucher des Pavillons tragen derweil Taschen
mit sich, die das Kunsthaus Bregenz verteilt hat und auf denen "Free Ai
Weiwei" zu lesen steht. Mehr Licht als dieser kleine Spot fällt allerdings
bei den "ILLUMInazioni" nicht auf den Fall des verhafteten Künstlers.
So verwunderlich das ist, am Ende des Tages wundert es nicht wirklich. Denn
politischer Aktivismus gehört definitiv nicht zu den Werten, die Curiger
verteidigen möchte. Das zeigt ihre Schau, die zwar in sich stimmiger ist
als Daniel Birnbaums Weltenbauerschau bei der letzten Biennale, dafür aber
merkwürdig eintönig, ja geradezu einschläfernd wirkt.
Ja, es gibt sie noch, die gute Kunst. Die, wohl durchdacht und in
anspruchsvoller Ausführung, ohne den juwelenbestückten Knalleffekt des
Kunstmarkts auskommt und die, wenn schon nicht immer komplex, so doch
subtil argumentiert. Wie Annette Kelm mit ihren fotografischen Lehrstücken
des vergleichenden Sehens. Franz Wests Parapavillon, in den er unter
anderem die indische Fotografin Dayanita Singh eingeladen hat, gefällt
ebenso wie der von Song Dong, der aus alten Schranktüren ein kleines Dorf
gebaut hat. Und zwischendurch wacht man dann wieder auf, erschreckt von Urs
Fischers derzeit noch meterhoher, monumentaler Wachskerze in Form von
Giovanni Bolognas "Raub der Sabinerinnen", an der kein Weg vorbeiführt.
Melt, die andere Version.
## Schlingensiefs Vermächtnis
Überhaupt nicht subtil, dafür aber komplex, überbordend, politaktivistisch
bis zum Anschlag und formalästhetisch ebenso krude wie raffiniert ist
Christoph Schlingensiefs Vermächtnis im deutschen Pavillon. Ja, seine
"Kirche der Angst" wird nie wesentlich Rauminstallation, sie bleibt ein
Bühnenbild, in dem seine Filme und Requisiten gesammelt und aufbewahrt
sind. Doch wäre es falsch, in ihnen Reliquien zu erkennen.
Es bräuchte einiges mehr als rote Kirchenlichter, um dieses Werk
stillzulegen, das mit den Kranken, Machtlosen und Armen paktiert, getragen
von einer grundlosen, eigensinnigen Zuversicht, die Christian Boltanski, im
französischen Pavillon gegenüber, nur mühsam simuliert. Im deutschen
Pavillon reicht ein einziger Schritt, und schon steht man in Afrika, auf
der roten Erde von Ouagadougou, auf der Schlingensiefs Operndorf in Burkina
Faso entsteht. Dort möchte man dann die isländische Widerstandsserenade
noch einmal hören. Dort, wo unsere Würde, und nicht die unseres Landes oder
die unserer Nation, wiederhergestellt wird.
3 Jun 2011
## AUTOREN
Brigitte Werneburg
## TAGS
Dänemark
Kunst
## ARTIKEL ZUM THEMA
Ausstellung in der Kunsthalle Aarhus: Die Welt soll auseinanderfallen
Mit Science-Fiction und Marx auf dem Kassenbon richtet sich eine
Ausstellung im dänischen Aarhus gegen die Idee des Wachstums.
Biennale in Venedig: Projektionen aus Deutschland
Am 1. Juni eröffnet die Kunstbiennale in Venedig. Ein Besuch im Deutschen
Pavillon – nach dem Tausch mit den französischen Nachbarn.
Wie sich die Biennale änderte: Noch einmal die Sanduhr umgedreht
Vor über 20 Jahren war unser Autor zum ersten Mal auf der Biennale. Nun ist
er noch einmal hingefahren und kämpft gegen das Gefühl, alles niederbrennen
zu wollen.
Antimalerische Malerei: Das Ende der Gefühlsduselei
Mit Gerwald Rockenschaub, Angela Bulloch und Joachim Grommek feiern das
Kunstmuseum Wolfsburg und die Städtische Galerie Wolfsburg derzeit gleich
drei avancierte Maler.
You are viewing proxied material from taz.de. The copyright of proxied material belongs to its original authors. Any comments or complaints in relation to proxied material should be directed to the original authors of the content concerned. Please see the disclaimer for more details.