# taz.de -- Ausstellung in der Kunsthalle Aarhus: Die Welt soll auseinanderfall… | |
> Mit Science-Fiction und Marx auf dem Kassenbon richtet sich eine | |
> Ausstellung im dänischen Aarhus gegen die Idee des Wachstums. | |
Bild: Jacob Kolding: How to Build a Universe that Falls Apart two Days Later, 2… | |
Überall sind junge Menschen unterwegs, auf dem Weg ins Fitnessstudio, zum | |
Shoppen oder in die Bibliothek. Nicht nur weil Aarhus, die zweitgrößte | |
Stadt Dänemarks, so geplant ist, dass man gut zu Fuß von A nach B kommt. | |
Die Universität zählt genauso viele Studenten wie die Uni Köln, obwohl die | |
Einwohnerzahl nicht mal ein Drittel der Kölner Bevölkerung ausmacht. Die | |
Folge ist eine beeindruckende Demografie: die BewohnerInnen von Aarhus sind | |
weitaus jünger und besser ausgebildet als der dänische Durchschnitt. | |
Dass im Aros, dem großen Kunstmuseum der Stadt, derzeit eine Ausstellung | |
mit biederen Malereien der 74-jährigen dänischen Königin Margarete II. | |
läuft, mutet da wie eine Farce an. Mit seinem traditionsorientierten | |
Angebot wirkt das Museum eher wie ein Fremdkörper inmitten des progressiven | |
Orts. | |
Das junge, anspruchsvolle Publikum zieht es deshalb in einen anderen, | |
deutlich kleineren Kunstraum, der sich unweit des Aros-Museums in einer | |
Gasse versteckt. | |
## Wissbergierig, aufgeregt | |
Besonders in den letzten eineinhalb Jahren hat die Kunsthal Aarhus stetig | |
steigende Besucherzahlen verzeichnet. Zur Eröffnung der Ausstellung der | |
Konzeptkunst-Reihe Systemics wird das Haus förmlich überlaufen von | |
aufgeregten, wissbegierigen Menschen. Die Reihe ist das Projekt, mit dem | |
Joasia Krysa im Mai 2012 den Posten der Künstlerischen Leiterin angetreten | |
hat. Die gebürtige Polin kam direkt von der Documenta 13 nach Aarhus, um | |
der Kunsthal ein neues Profil zu verleihen. | |
Zuvor hatte Krysa unter anderem die Medienkunst-Biennale in Breslau | |
kuratiert und viele Jahre in England unterrichtet. Ihre Forschung | |
konzentriert sich auf die Schnittstelle von Kunst, Technologie und | |
Philosophie. | |
In der Praxis aber fand Krysa wenig Transdisziplinarität vor, weshalb sie | |
aus der Kunsthal einen Ort der Begegnung schaffen wollte. Gemeinsam mit der | |
Universität Aarhus veranstaltet sie regelmäßig Seminare, lädt Informatiker | |
und Ökonomen zum Diskurs ein. Ausstellungen lässt sie auch von lokalen | |
Künstlern kuratieren, und sie nimmt sich viel Zeit für Presse wie Social | |
Media. | |
„Alles Wissen ist miteinander verbunden“, sagt Joasia Krysa am Tag nach der | |
Vernissage. „Unsere Welt ist so komplex, weil das menschliche Denken so | |
komplex ist. Und um die Welt ein Stück weit verstehen zu können, muss man | |
alle Wissensressourcen zusammenbringen.“ Dass das Angebot der Konzept- und | |
Medienkunst in Aarhus so gut funktioniert, überrascht Krysa nicht. „Was Sie | |
hier sehen, ist alles mit dem Alltag des modernen Menschen, mit unserem | |
Leben verlinkt. Das interessiert doch jeden.“ | |
## Ressourcen verbinden | |
„Against the idea of growth, towards poetry (or, how to build a universe | |
that doesn’t fall apart two days later)“ lautet der sperrige Titel der | |
Ausstellung, der sich auf die Schriften zweier Denker bezieht. Der erste | |
Teil beruft sich auf den marxistischen Theoretiker Franco „Bifo“ Berardi | |
und sein Manifest gegen den Teufelskreis von kontinuierlichem Wachstum und | |
der damit einhergehenden Verschuldung. | |
Der zweite Teil ist der Titel eines Essays des amerikanischen | |
Science-Fiction-Autors Philip K. Dick. Darin spricht sich Dick tatsächlich | |
für das Erschaffen einer Welt aus, die anschließend wieder | |
auseinanderfällt, weil eine solche Welt keinen autoritären Blick auf das | |
Leben, also keine dominierende Wahrheit zuließe. | |
In direkter Anlehnung an diese Idee hat der visuelle Künstler Jakob Kolding | |
eigens für die Kunsthal eine gleichnamige Posterreihe angefertigt. In | |
Dreiecksform arrangiert Kolding Schnipsel aus Fotografien und Kunstdrucken | |
mit Bezügen zu Wirtschaft, Technologie, Natur und Fiktion als | |
gleichwertigem Nebeneinander. | |
Jedes der acht Postermotive, das den Besuchern zum Mitnehmen angeboten | |
wird, unterscheidet sich vom anderen und folgt doch derselben | |
Kompositionslogik. An einer Wand am Ende des Raums wird vorgeführt, wie | |
sich die Poster nebeneinander durch unzählige Variationen zu einem großen, | |
unbegrenzten Muster zusammensetzen und wieder auseinanderlegen lassen. | |
## Nicht wegschmeißen | |
Um das Dekonstruieren geht es auch Mogens Jacobsen, einem dänischen Pionier | |
der Netzkunst. In seiner Arbeit „360“ lässt Jacobsen mithilfe eines | |
Algorithmus die beiden ökonomischen Basistexte „Das Kapital“ von Karl Marx | |
und „Der Wohlstand der Nationen“ von Adam Smith zu einem einzigen, nicht | |
endenden Text verschmelzen. | |
Angezeigt wird dieser auf dem winzigen Bildschirm des maßstabsgetreu | |
gebauten Modells des IBM System/360 – des 1,80 Meter hohen Großrechners von | |
1964. Auf Knopfdruck lässt sich der neu generierte Text entweder auf einem | |
Kassenbon ausdrucken oder über Twitter in die unendliche Informationshalde | |
des Internets schicken. | |
In starkem Kontrast zu diesen sehr sterilen Arbeiten steht die raumfüllende | |
Installation „Waste Not“ des chinesischen Künstlers Song Dong. Mehr als | |
zehntausend Alltagsobjekte – von kaputten Kleiderhaken bis hin zu Töpfen | |
und Plastiktüten – sind hier zu einer Art muffiger Landschaft ausgelegt. | |
Unter den Nöten der Kulturrevolution Mao Zedongs in den 60er- und | |
70er-Jahren galt das Credo, jede Ressource müsse ausgewrungen werden. | |
So hat Songs Mutter im Laufe von fünf Dekaden all den Kram angesammelt, den | |
ihr Sohn nunmehr seit Jahren um die Welt verfrachten lässt, um ihn | |
auszustellen. Selten hat man die Idee von dem unbedingten Wachstumsdrang so | |
eindrücklich vor Augen gehabt. | |
23 Jan 2014 | |
## AUTOREN | |
Fatma Aydemir | |
## TAGS | |
Dänemark | |
Medienkunst | |
Poesie | |
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Berliner HdKW. |