# taz.de -- Afrikanische Moderne in Weil am Rhein: Mach es zusammen mit anderen | |
> Zwei Ausstellungen im Vitra Design Museum zeigen aktuelles Design aus | |
> sieben afrikanischen Ländern und die Architektur der Dekolonisierung. | |
Bild: Cyrus Kabiru, „Big Cat“, 2012, Aufnahme aus der Fotografie-Serie „C… | |
„Afrika ist das Kinderland, das jenseits des Tages der selbstbewußten | |
Geschichte in die schwarze Farbe der Nacht getaucht ist“, sagte 1830 der | |
Philosoph Georg Wilhelm Friedrich Hegel, damals Rektor der | |
Friedrich-Wilhelms-Universität zu Berlin. 185 Jahre später geht das Vitra | |
Design Museum im kleinen badischen Weil am Rhein vom Gegenteil aus und | |
zeigt „A Continent of Contemporary Design“, wie der Untertitel der | |
Ausstellung „Making Africa“ in der von Frank O. Gehry entworfenen | |
Museumsskulptur heißt. | |
Zur Vorbereitung der Design-Schau bereiste Kuratorin Amelie Klein sieben | |
afrikanische Staaten, besuchte zahllose Ateliers, sprach mit Thinktanks und | |
ließ sich von vielen Künstlern begeistern. Zwar wird der riesige Kontinent | |
von 1,1 Milliarden Menschen und geschätzten 2.000 Ethnien bewohnt, die in | |
insgesamt 54 Staaten leben, aber das hielt die österreichische Kuratorin | |
nicht davon ab, das afrikanische Kreativpotenzial auszuleuchten und zu | |
zeigen, dass Afrika mehr meint als Gewalt und Terror: „Ich glaube, dass wir | |
bei Afrika immer vier Geschichten im Kopf haben: Das eine ist der korrupte | |
Diktator, das zweite ist das hungrige Kind, das dritte der stumme Diener | |
und das vierte ist der edle Wilde, und alles, was darüber hinausgeht, | |
findet in unseren Köpfen erst einmal nicht statt.“ | |
Auch der Kenianer Mugendi M’Rithaa, der in Kapstadt über Industriedesign | |
forscht, spricht von der Komplexität, „die diesen Kontinent so spannend | |
macht“. Was schon an den Außenmauern des Museumsgebäudes deutlich wird, wo | |
der senegalesische Künstler Docta ein riesiges buntes Graffiti schuf, das | |
gegen das blendende Weiß des Gehry-Museums hervorsticht. Der mit | |
fantasievollem Kopfschmuck auftretende Docta gilt in Dakar als Wegbereiter | |
des Graffiti und hat das Graffitifestival „Festigraff“ und die Initiative | |
„Graff et Santé“ gegründet. | |
In den vier Ausstellungssälen finden sich viele Genres, die Amelie Klein | |
zum weiten Umfeld des Design rechnet – bildende Kunst und Architektur, Film | |
und Fotografie, Computerspiele und Videoclips sowie Mode und Produktdesign. | |
Der Anspruch der Kuratorin, ein Licht auf die gegenwärtige afrikanische | |
Designentwicklung zu werfen, ist selbstverständlich nur punktuell | |
einzulösen. | |
## Die digitale Revolution hat Afrika nachhaltig verändert | |
Doch was zeichnet afrikanisches Design im engeren Sinne heute aus? Amelie | |
Klein ist sich im Klaren, dass jeder Versuch einer abschließenden | |
Definition bereits morgen überholt sein wird: „Die Kunstszene in Kairo ist | |
völlig anders als in Johannesburg. Und dennoch: Die digitale Revolution hat | |
Afrika nachhaltig verändert.“ In einem Kontinent, in dem 650 Millionen | |
Mobiltelefone gemeldet sind – mehr als in Europa oder den Vereinigten | |
Staaten –, ist der Nährboden für Kunst und Design völlig anders. | |
Darauf spielt der Ausstellungstitel „Making Africa“ an: Von den zahllosen | |
Gestaltern „macht“ jeder sein eigenes Afrika. „Die Maker-Kultur ist die | |
vorherrschende afrikanische Kulturtechnik, egal ob analog oder digital. | |
Uni-Absolventen gehen in die Studios, basteln dort mit allerlei | |
Materialien, nehmen Dinge auseinander, setzen sie zusammen und schaffen | |
Neues. Sie schauen, welche Ressourcen verfügbar sind. Am Ende geht es ums | |
Improvisieren und Neugestalten“, bestätigt Amelie Klein. | |
Es ist ein Manko der Schau, dass sie nur die fertigen Designprodukte | |
ausstellt. Erst wenn man genauer hinsieht und den schweren Katalog zur Hand | |
nimmt, wird deutlich, dass im afrikanischen Design nicht nur die | |
Materialien, sondern auch Herstellungsprozesse und Kommunikation | |
verschieden sind. Das bestätigt Mugendi M’Rithaa: „Man kann nicht in einem | |
Atelier herumsitzen, Lösungen entwickeln und erwarten, dass die Menschen | |
sie annehmen. Der Designer zeigt den Mitgliedern einer Gemeinschaft | |
Methoden, mit denen sie sozusagen ihre visuellen Fähigkeiten verbessern und | |
ihr Designvokabular erweitern können, damit ein Austausch möglich ist.“ | |
Von diesen Prozessen zeugen die afrikanischen FabLabs. Dakars erstes FabLab | |
Defko Ak Ñiëp bedeutet, übersetzt aus der Wolof-Sprache: „Mach es zusammen | |
mit anderen.“ Die Studios sind digitale Kreativwerkstätten, sie bieten | |
lokalen Künstlern und Kunsthandwerkern eine Plattform, um ihr Wissen mit | |
anderen Experten zu teilen. Solche Einblicke in die Arbeitsprozesse | |
afrikanischer Künstler und Designer fehlen im Vitra Design Museum. | |
Dennoch wird deutlich, welchen Stellenwert recycelte Materialien besitzen: | |
Der Kenianer Cyrus Kabiru fertigt aus weggeworfenen Schrauben, Drähten, | |
Löffeln und Kronkorken seine C-Stunner-Brillen, bezaubernd schöne | |
Brillenskulpturen. Fabrice Monteiro entwirft im Senegal magisch wirkende | |
Müllfiguren, und macht damit auf Umweltkatastrophen aufmerksam. Last, but | |
not least, Gonçalo Mabunda fertigte einen grotesken Stuhl aus Waffen und | |
erinnert an den 16-jährigen Bürgerkrieg in seiner Heimat Mosambik. | |
Wer die vier Ausstellungssäle des verwinkelten Gehry-Gebäudes durchquert, | |
entdeckt überall recycelte und „arme“ Materialien, die zu den wesentlichen | |
Bausteinen des neuen afrikanischen Designs gehören. Der ebenfalls aus Dakar | |
stammende Amadou Fatoumata Ba schafft bizarre Skulpturen aus abgenutzten | |
Autoreifen, während Allasane Drabo aus Burkina Faso mit alltäglichen | |
Utensilien wie Kalebassen und Kochtöpfen voll funktionsfähige Lampen | |
fertigt. | |
„Making Africa“ wagt auch den Blick auf Architektur und Städtebau. Der | |
Wahl-Berliner Diébédo Francis Kéré ist dabei mittlerweile ein Stammgast | |
solcher Ausstellungen. Dagegen überrascht die Fotoserie von Mikhael | |
Subotzky und Patrick Waterhouse mit ihrem ernüchternden Blick auf | |
Johannesburgs Ponte City, das höchste Wohnhochhaus Afrikas. Einst der Stolz | |
des Apartheidregimes, gleicht es heute einer Bauruine mit eingeschlagenen | |
Fensterscheiben. Auch Guy Tillims ausdrucksstarke Fotoserie „Jo’burg“ | |
widmet sich dem Wohnelend in der verfallenden, vornehmlich von Schwarzen | |
bevölkerten Innenstadt. | |
## Die Geschichte des Hôtel Ivoire | |
Die Thematik leitet über in die benachbarte Galerie, wo der Basler | |
Architekt Manuel Herz die Ausstellung „Architektur der Unabhängigkeit. | |
Afrikanische Moderne“ einrichtete. Der aus Köln stammende Herz erzählt dort | |
eine Geschichte, die an Ponte City erinnert: Die Geschichte des Hôtel | |
Ivoire, des einstigen Glamourhotels der Elfenbeinküste, das in den frühen | |
sechziger Jahren, als der Staat unabhängig wurde, auf die Staatsgründer | |
ausstrahlen sollte. Das Hotel in Abidjan spiegelte anfangs den politischen | |
und wirtschaftlichen Aufstieg des Landes, seit den Neunzigern wurde es zum | |
Symbol des Niedergangs, zum Rückzugsort von Milizen und – später – zur | |
Basis französischer UN-Soldaten, die aus dem Hotel auf Demonstranten | |
schossen. Erst seit wenigen Jahren erleben beide – der westafrikanische | |
Staat und das Hotel – eine Renaissance. | |
Manuel Herz möchte mit der nüchtern gestalteten Schau ein kaum bekanntes | |
Kapitel afrikanischer Staatengründung aufschlagen: die Architektur der | |
Dekolonisierung. „Die Auseinandersetzung mit den Gebäuden eröffnet ein | |
Verständnis für die Ziele, Sehnsüchte und Hoffnungen, die mit der | |
Dekolonisierung einhergingen.“ Wie Klein will Herz ein anderes Afrika | |
zeigen: Nicht das Afrika der Katastrophen und des Slum-Upgrading, sondern | |
einen Kontinent, der in den sechziger Jahren eine moderne Architektur | |
baute. | |
Die kleine Ausstellung soll „das Bewusstsein schärfen, dass es in Afrika | |
wahnsinnig schöne und qualitätsvolle Werke gibt, die den gleichen Respekt | |
verdienen wie in der übrigen Welt“, wie Herz sagt. Zu Recht vergisst er | |
nicht die Widersprüche, die mit der neu gewonnenen Unabhängigkeit von | |
Staaten wie Ghana, Senegal, Elfenbeinküste, Kenia oder Sambia einhergingen: | |
Die Hotels, Regierungssitze, Universitäten und Konferenzzentren wurden fast | |
ausschließlich von ausländischen Architekten errichtet, die zumeist aus den | |
einstigen Kolonialmächten Großbritannien und Frankreich kamen. | |
Parallel zur Ausstellung gab Manuel Herz mit dem voluminösen Buch „African | |
Modernism“ ein textlich und fotografisch opulentes Gegenstück zur | |
Ausstellung heraus. Dasselbe gelang der Stiftung des Vitra Design Museums: | |
Wer den schweren Katalog „Making Africa. A Continent of Contemporary | |
Design“ zur Hand nimmt und aufmerksam durchblättert, für den ist am Ende | |
die Dunkelheit des Kontinents verschwunden. Bekanntlich nennt man das | |
Aufklärung. | |
4 Apr 2015 | |
## AUTOREN | |
Klaus Englert | |
## TAGS | |
Design | |
Afrika | |
Architektur | |
Kolonialismus | |
Paris | |
Berliner Volksbühne | |
Architektur | |
Biennale | |
Kunst | |
Kunstmarkt | |
## ARTIKEL ZUM THEMA | |
Hamburger Ausstellung „Flow of Forms“: Afrika veredelt Europas Schrott | |
Die Ausstellung „Flow of Forms“ im Hamburger Völkerkunde-Museum zeichnet | |
Wechselbeziehungen zwischen dem Design beider Kontinente nach. | |
Afrikanische Designer: Sich gut kleiden ist wichtig! | |
Sape, Wax und Mix: Im Pariser Viertel Goutte d’Or gibt es kleine | |
Schneiderwerkstätten, aber auch neue Designer – erschwingliche und | |
unbezahlbare. | |
Werkschau von Francis Kéré in München: Einfach, radikal | |
Architekt Francis Kéré arbeitete mit Schlingensief und soll bald für die | |
Berliner Volksbühne bauen. Eine Schau würdigt nun sein Werk. | |
Buch übers Leben in der Stadt: Was im Dazwischen passiert | |
Seit 40 Jahren macht der Architekt Jan Gehl aus Metropolen Städte für | |
Menschen. Seine Erfahrungen hat er nun in einem Buch zusammengefasst. | |
Postkoloniale senegalesische Kunst: Tanz auf Jutesäcken | |
Keine Schublade für afrikanische Kunst: Die Retrospektive des | |
senegalesischen Künstlers El Hadji Sy im Frankfurter Weltkulturen Museum. | |
Ausstellung in Berlin: Versteckte Gewalt | |
Als die Moderne Afrika entdeckte: Kader Attia, Geheimtipp der letzten | |
Documenta, befragt diesen Augenblick kritisch in den Kunst-Werken Berlin. | |
Onlinemagazin für afrikanische Kunst: Von London bis Lagos | |
Zeitgenössische Kunstschaffende aus Afrika sind in Europa kaum sichtbar. | |
Das will das Magazin „Contemporary And“ ändern. |