# taz.de -- Hamburger Ausstellung „Flow of Forms“: Afrika veredelt Europas … | |
> Die Ausstellung „Flow of Forms“ im Hamburger Völkerkunde-Museum zeichnet | |
> Wechselbeziehungen zwischen dem Design beider Kontinente nach. | |
Bild: Vielfältige Querbezüge: Die Kleider des südafrikanischen Modelabels Bl… | |
HAMBURG taz | Die Frage ist immer, wo verläuft die Grenze. Die zeitliche | |
und stilistische, die zwischen traditionell und modern, zwischen | |
kolonialistisch und authentisch. Denn so, wie die „verlorene Generation“ | |
europäischer Künstler und Musiker nach den beiden Weltkriegen nicht mehr | |
Fuß fassen und mit der plötzlich hereinbrechenden Moderne Schritt halten | |
konnte, so gibt es auch in Afrika dieses Aus-der-Zeit-gefallen-Sein. Nur, | |
dass speziell Deutschland, zwei Kriege anzettelnd, das Problem letztlich | |
selbst verursachte, während Afrika den Kolonialismus nicht gewählt hatte. | |
Das strukturelle Grundproblem aber – nach einem existenziellen Einschnitt | |
an das Vorher anzuknüpfen und Identität neu zu formen: Das eint sie und | |
kocht speziell bezüglich Afrikas derzeit hoch, wo sich Teile Europas | |
endlich ihrer kolonialen Vergangenheit stellen. Das heißt, eigentlich läuft | |
dieser Diskurs in Afrika seit der Unabhängigkeit in den 1950er-, | |
1960er-Jahren. Aber Europa hat nicht hingeschaut. | |
Genau das versucht derzeit die Schau „Flow of Forms“ im Hamburger Museum | |
für Völkerkunde unter seiner neuen Chefin, der Afrika-Expertin Barbara | |
Plankensteiner. Gemeinsam mit Forscherinnen von der Uni München präsentiert | |
sie eine afrikanisch-europäische Ausstellung, die frühe Verbindungen | |
aufzeigt und eine langjährige wechselseitige Inspiration besonders im | |
Design offenbart. En passant demonstriert die Schau auch, dass Neues, | |
Überraschendes stets auf Horizonterweiterung und transkultureller | |
Kooperation auf Augenhöhe fußt. | |
Ausgerechnet hierfür ist paradoxerweise die Kaufmannsstadt Hamburg – einst | |
Hauptstadt der Kolonialismus-Profiteure – ein gutes Beispiel: Justus | |
Brinckmann, Gründer des Museums für Kunst und Gewerbe, hat Bronzemasken aus | |
Benin – geschaffen im 15. Jahrhundert und um 1890 von britischen | |
Kolonialherrn geraubt – in das damals noch als Kunstgewerbeschule dienende | |
Haus gebracht. | |
Die technische und ästhetische Perfektion der Skulpturen, die Brinckmann | |
als einer der ersten Europäer erkannte, sollte Hamburger Kunsthandwerkern | |
als Vorbild dienen. | |
Soweit, so respektvoll. Nur, dass die Kolonialherrn aus solch geraubtem | |
Exportgut alsbald ein Bild des „typisch Afrikanischen“ destillierten und | |
mehr davon wollten. Britische Kunsterzieher wie Margaret Trowell und | |
Herbert Meyerowitz gründeten in den 1930er-Jahren Töpferschulen und Arts & | |
Crafts Departments in Uganda und Ghana. | |
Dort sollten Einheimische unter britischer Anleitung „typisch afrikanische“ | |
Ware in traditioneller Technik herstellen, die man später in Serie | |
industriell fertigen wollte. Das alles für Europas Märkte – und schon waren | |
die Gegenstände nicht mehr authentisch, wurden von der Gebrauchs- zur | |
dekorativen Massenware. | |
Ohne Paternalismus sind diese Kunstschulen nicht zu denken, auch wenn sie | |
ambivalent waren und immerhin danach trachteten, lokale Handwerkstechniken | |
zu bewahren und zu modernisieren. Aber die Einheimischen entschieden eben | |
nicht selbst, in welche Richtung sie ihre Formen entwickeln wollten, | |
sondern arbeiteten nach fremden Vorgaben. | |
## Anekdotische Schau | |
Mit diesen Ursprüngen eines frühen, teils geraubten, teils erzwungenen | |
„Flow of Forms“ von Afrika nach Europa beginnt die eher anekdotisch | |
aufgebaute Schau, die sowohl europäisch-afrikanische als auch | |
innerafrikanische Kooperativen, Startups und Projekte präsentiert. | |
Ob diese Projekte weniger paternalistisch sind als jene des 19. | |
Jahrhunderts, ist schwer zu entscheiden. Tatsache ist, dass einige | |
fruchtbare Kooperationen herauskamen, die oft auch einen sozialen Impetus | |
haben. | |
Da ist zum Beispiel die in den USA ausgebildete Industriedesignerin Alafuro | |
Sikoki-Coleman, die mit nigerianischen Weberinnen und Flechterinnen | |
arbeitet, um der Wasserhyazinthen-Plage beizukommen. Diese Pflanzen wuchern | |
so massiv im Niger-Delta, dass man den Fluss weder befahren noch darin | |
angeln kann; auch das ökologische Gleichgewicht ist gestört. Jetzt flechten | |
die Frauen Stühle, Hocker und Lampen aus den getrockneten, zu Schnüren | |
gedrehten Pflanzen und verkaufen sie auf lokalen Märkten. | |
Sikoki-Coleman deutet so nicht nur das „böse“ Material um, sondern | |
verschafft den Frauen auch eine Einnahmequelle. Ist das jetzt übergriffig | |
oder Hilfe zur Selbsthilfe? Und ergibt diese Unterscheidung angesichts des | |
Resultats überhaupt Sinn? | |
## Kippeliger Melkschemel | |
Oder nehmen wir den Workshop des malischen, in Frankreich ausgebildeten | |
Designers Cheick Diallo mit dem Berliner Flüchtlingsprojekt Cucula: Aus den | |
Metallfasern schrottreifer Autoreifen aus Europa haben sie nach | |
traditioneller Technik geflochtene Stövchen, Bauhaus-artige Sessel sowie | |
einen minimalistisch-kippeligen Melkschemel gefertigt. Kippelig, wieso? | |
„Damit man aufs Gleichgewicht achten muss und beim Melken nicht | |
einschläft“, sagt Cheick Diallo und grinst verschmitzt. | |
Er ist nicht verbittert, weil Europa seinen Schrott nach Afrika bringt. | |
„Wir nehmen das mit Humor. In einem Land ohne Holz ist Metall ein wichtiger | |
Rohstoff“, sagt er. „Wir haben gar keine Zeit, über Moral oder Unmoral | |
nachzudenken. Wir nutzten die Rohstoffe, sind kreativ und verkaufen die | |
Produkte nach Europa.“ Retour à l’expédient nennt er das, „zurück an | |
Absender“. Cheick Diallo sagt das ohne Zynismus und lächelt dabei. | |
Das Stockholmer Designstudio Front wiederum hat gemeinsam mit | |
südafrikanischen Zulu-Frauen „Story Vases“ hergestellt. Mit aufgezogenen | |
Perlen haben die Frauen Alltagsgeschichten des ländlichen | |
Post-Apartheids-Südafrika auf die Vasen geklebt. | |
Da stehen Wünsche und Hoffnung drauf, auch mal Kritisches über den eigenen | |
Ehemann. Eine kluge Transformation von Oral History ist das, elegant in | |
Deko- und Gebrauchsgegenstände eingearbeitet. So ein materielles, nicht | |
wegzudiskutierendes Statement bedeutet auch eine Stärkung weiblicher | |
Erzähl- und Deutungsmuster. | |
## Gepixelte Muster gewebt | |
Zentral bei allen in dieser Schau gezeigten Projekten ist der Rückgriff auf | |
lokale handwerkliche Fertigkeiten. Töpfern, Flechten, Weben: Das ist | |
handfest, stiftet Identität und stabilisiert. Auch bei den | |
innerafrikanischen Projekten ist das so, bei Kofi Setordji aus Ghana etwa, | |
der gemeinsam mit westafrikanischen Weberinnen in alter Technik | |
computer-gepixelte Muster schuf, die in den Augen brennen. Rasende Zeit, | |
auf Stoff gebannt und mumifiziert – ein fast archaisches Ritual, das | |
fröhlich scheitert am Versuch, Zeit festzuhalten. | |
Auch die Pullover des Südafrikaners Laduma Ngxokolo Maxhosa bergen diese | |
Ambivalenz. Ihre Muster ähneln traditionellen Perlenarbeiten. Und obwohl | |
top-modern und geometrisch, könnten sie auch für die traditionelle | |
Jünglings-Initiation der Xhosa benutzt werden, sagt der Künstler. Außerdem | |
müssen die jungen Männer nach der Initiation sechs Monate lang ein neues, | |
würdiges Kleidungsstück tragen. Auch dafür eignen sich diese Pullover. | |
Alt und Neu – muss das eine Kluft sein oder schließt sich diese Lücke | |
leichter als gedacht? Künstlerisch vielleicht, politisch nicht: das zeigen | |
Auszüge aus der von 1966 bis 1972 bestehenden marokkanischen Zeitschrift | |
Souffles. Temperamentvoll stritten deren Autoren darüber, wie man sich von | |
fortbestehenden Besatzungsstrukturen lösen könne, ohne zum vorkolonialen | |
Status zurückzukehren. | |
Als Beispiel für eine gelingende Weiterentwicklung europäisch-afrikanischer | |
Beziehungen kann die nigerianische Lace-Kleidung dienen. Sie entstand aus – | |
nach der Unabhängigkeit in den 1960er-Jahren aufgenommenen – | |
Geschäftsbeziehungen mit Österreich, wo spezielle Stickereistoffe für den | |
nigerianischen Markt entworfen wurden, die dort bis heute bei Festen | |
getragen werden. | |
Von diesen florierenden Geschäftsbeziehungen profitierten allerdings vor | |
allem die afrikanischen Eliten, weshalb der Stoff in Nigeria zugleich für | |
die Verschwendung und Illoyalität der eigenen Regierung steht. | |
## Überraschende Querbezüge | |
Auch der nigerianische Zeichner Obiora Udechukwu, der Reiche neben | |
Latrinenreinigern porträtiert, ist enttäuscht von der Selbstbereicherung | |
vieler afrikanischer Eliten nach der Unabhängigkeit. „Ohne ethisches | |
Bewusstsein ist der Künstler nur ein Dekorateur“, sagt er. | |
Ja, die Stimmen sind vielfältig in dieser Schau. Die Querbezüge sind oft | |
überraschend, teils humorvoll, wenn des südafrikanische Modelabel „Black | |
Coffee“ die Pastellfarben aus Picassos Gemälde „Les Demoiselles d’Avigno… | |
aufnimmt – ein gutmütiger Kommentar zu einem der vielen europäischen | |
Künstler, die sich von Afrikas Masken inspirieren ließen. | |
Die mit Abstand genialste Verquickung von Sprache, Zeichensystem und | |
Materie schafft allerdings der „Kassena Isibheque Writing Desk“. Erschaffen | |
hat ihn das südafrikanische Designerduo „Doktor and Misses“. Herausgekommen | |
ist ein Bauhaus-artiger, sich nach oben verjüngender Schreibtisch-Schrank. | |
Form und Schwarzweiß-Muster ähneln den Häusern der zwischen Burkina Faso | |
und Ghana lebenden Kassena. | |
Doch die geometrischen Schwarzweiß-Muster der Kassena sind weitergedacht | |
und transformiert in die Zeichenschrift Ishibeque Schlamvu. Sie erzählen | |
Geschichten in den Sprachen Sotho und Tsonga. „Sei dir deiner Tradition | |
bewusst“, sagt dieser Tisch zum Schreiber. „Aber halte nicht zu eng an ihr | |
fest: So, wie meine Urheber geometrische Muster in Zeichenschrift | |
verwandelten, kannst auch du die althergebrachte Form transformieren.“ | |
23 May 2018 | |
## AUTOREN | |
Petra Schellen | |
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