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# taz.de -- Diskussion in Berlin um Demo-Fotos: Selbstbilder linken Widerstands
> Im Kreuzberger Mehringhof streitet die linke Szene über das Fotografieren
> auf ihren Demos. Dabei geht es um mehr als eine Sicherheitsfrage.
Bild: Bewegung im Blick: Kamera beim Castor-Transport.
Als er seine Kamera auf die Vermummten hält, die gerade einen Kleinwagen
umkippen, knallt ihm die Faust an den Kopf. Die Rufe, „Ey, der gehört zu
uns“, kommen zu spät, da ist die Brille des Fotografen schon von der Nase
geflogen.
Wegen Szenen wie dieser vom vergangenen Berliner 1. Mai sind am Montagabend
gut 50 Linke in den Kreuzberger Mehringhof gekommen. „Image Problem?“,
haben sie ihre Debatte betitelt. Alte und junge Kapuzenträger sitzen im
Saal. Im Stuhlkreis geht es um einen Riss, der sich seit Monaten durch die
linke Szene zieht.
Er brach auf, als die Polizei im Februar neun Fotografen durchsuchte, alle
seit Jahren auf Demos im Einsatz. Die Beamten suchten Bilder einer
mutmaßlichen Attacke von Autonomen auf einen Polizisten in Frankfurt/Main
ein Jahr zuvor. Gefunden wurde nichts, aber die Diskussion war entbrannt:
Wozu eigentlich die Fotografen, womöglich noch aus den eigenen Reihen, wenn
die zu „Hilfspolizisten“ werden? Einige beließen es nicht beim
Fragenstellen. Im linken Forum Indymedia schrieb eine anonyme Gruppe, man
werde das Fotografieren nicht mehr dulden: „Wir greifen Paparazzi an!“
Auch im Mehringhof hagelt es Vorwürfe. Bei jeder Aktion werde „sofort
draufgehalten“, kritisiert ein Diskutant. Es könne nicht sein, dass man nur
noch durch „Bullen- und Kamera-Spaliere“ laufe. Und das Risiko, sind sich
viele einige, dass jemand aufgrund von Fotos verurteilt werde, mache deren
Nutzen nicht wett. Wie zum Beweis meldet sich eine Frau. Ihr Sohn sei nach
einem 1. Mai verurteilt worden. „Wegen Fotos eines Szenefotografen im
Internet. Die Polizei scannt die längst alle durch.“
Einige der Adressierten sind im Saal. Das Ziel der Razzien sei doch gerade
eine Entsolidarisierung gewesen, klagt ein Fotograf. Er verschlüssele alle
Daten, verteidigt er sich. Und die Polizei halte sich eher zurück, wenn
Kameras in der Nähe seien. „Die Polizei filmt eh alles“, meldet sich auch
ein Anwalt. Ihm hätten Bilder unabhängiger Fotografen geholfen. „Sonst
lügen sich die Bullen nachher alles zusammen.“
Was nach einer Sicherheitsdebatte klingt, birgt eine Grundsatzfrage: Wie
steht radikaler Protest heute zu seinem Bild? Und lassen sich in medial
entfesselten Zeiten, in denen jeder Passant sein Handy zückt, auf die
Straße getragene Botschaften noch kontrollieren?
Der Streit ist tradiert. „Kameramann Arschloch“, rief es schon vor
Jahrzehnten aus Demos. Dabei waren es oft auch Bilder des Widerstands, die
Umbrüche mobilisierten. Der von Polizisten erschossene Benno Ohnesorg. Die
nicht mehr zu leugnenden Massen der Montagsdemonstranten.
Ein Mann vom linken „Umbruch“-Fotokollektiv wird dann auch grundsätzlicher:
„Es geht doch um eine offensive Bewegung, die etwas will und sich nicht
versteckt.“ „Schon“, wendet eine Frau ein. „Nur kommt es gar nicht erst…
Aktionen, wenn Kameras abschrecken.“ Allein: In Istanbul und Berlin gehen
zur gleichen Zeit Tausende auf die Straße – auch nach im Internet
verbreiteten Bildern von Polizeigewalt.
Es sind schließlich zwei Vertreter der „Pirantifa“, dem linksaktivistischen
Flügel der Piraten, die festhalten, dass man Bilder auf Demos längst nicht
mehr wird verhindern könne. „Und irgendwann machen die Leute Fotos mit
Google-Brillen, und keiner kriegt es mit.“ Die Frage sei doch, wie man die
Bilder für eine Gegenöffentlichkeit nutze.
Es wirkt wie ein Einwurf aus einer anderen Welt. Keine Ahnung, was er mit
den Brillen meine, entgegnet eine Frau. Aber dann müsse man eben auch
diesen Leuten Flyer in die Hand drücken, dass ihre Fotos Teilnehmer in
Gefahr bringen könnten. Das mit dem Selbstbewusstsein muss vorerst warten.
4 Jun 2013
## AUTOREN
Konrad Litschko
## TAGS
Krieg
Hausdurchsuchung
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