# taz.de -- Ausstellung in Berlinischer Galerie: Rose zum Kinn, Bart gestutzt | |
> Die 2020 verstorbene Tabea Blumenschein war Künstlerin, Darstellerin und | |
> die große Muse von Ulrike Ottinger. Ihr „ZusammenSpiel“ ist nun | |
> ausgestellt. | |
Bild: Ulrike Ottinger (l.) und Tabea Blumenschein, wie sie sich 1977 inszeniert… | |
Als androgynes Zauberwesen zeichnet sich Tabea Blumenschein selbst im Jahr | |
1988. Ein wenig sieht sie auf dem comicartigen Bild aus wie der britische | |
Popsänger Boy George, wenn er sich als David Bowie in seiner | |
Ziggy-Stardust-Phase inszeniert. Dazu trägt sie Totenkopf-Schmuck und auf | |
ihrem Hals rankt eine tätowierte Rose in Richtung Kinn. Glamouröser, | |
geheimnisvoller und queerer geht es kaum. Und das gilt für die gesamte | |
Ausstellung „ZusammenSpiel“ in der Berlinischen Galerie, bei der neben | |
Blumenscheins Bildern auch Fotos der Künstlerin, Regisseurin und Fotografin | |
Ulrike Ottinger gezeigt werden. | |
Blumenschein, die vor zwei Jahren gestorben ist, und Ottinger verbindet | |
viel miteinander. Beide sind in Konstanz am Bodensee aufgewachsen. Beide | |
sind dann nach Westberlin gezogen und tief eingetaucht in die bohemistische | |
Subkulturszene der Stadt. Blumenschein arbeitete als Modedesignerin, | |
Filmausstatterin, Regisseurin, Musikerin und Schauspielerin, bevor sie sich | |
hauptsächlich auf die Malerei konzentrierte. Und Ottinger machte sich vor | |
allem als Regisseurin weltweit einen Namen. | |
Eine Zeit lang hatten die beiden Künstlerinnen eine geradezu symbiotische | |
Beziehung. Und auf diese geht die Ausstellung in der Berlinischen Galerie | |
gemäß dem Titel „ZusammenSpiel“ besonders ein. Blumenschein hat nicht nur | |
viele Filme Ottingers ausgestattet, sondern auch als Schauspielerin bei | |
ihnen mitgewirkt. Zudem stand sie immer wieder Model für die | |
fotografierende Ottinger. Nach dem Ende der Avantgarde-Band Die Tödliche | |
Doris 1987, deren Mitglied Blumenschein war und denen sie die Kostüme | |
schneiderte, verloren sich die beiden zunehmend aus den Augen. Ottinger | |
drehte jetzt auch ohne ihre ehemalige Muse weiter Filme, während diese eine | |
Zeit lang keinen festen Wohnsitz hatte und obdachlos war. | |
## Prall gefüllt mit subkulturellen Codes | |
Vor allem die Fotos und Filmstills, Schenkungen aus Ottingers | |
Privatsammlung an die Berlinische Galerie, zeigen, wie eng die beiden | |
einmal waren. Die Posen, in die sich Blumenschein etwa als unterkühlter | |
Dandy mit stilechtem Menjou-Bärtchen oder als Marlene Dietrich ähnelnde | |
Filmikone wirft, wirken intim. Gegenseitiges Vertrauen bei den Shootings | |
muss selbstverständlich gewesen sein. | |
Die hemmungslose Queernes, die sich durch die Fotos zieht, konnte man in | |
den Siebzigern selbst im vergleichsweise offenen Westberlin vielleicht auch | |
ein Stück weit leichter herausarbeiten, wenn man wusste, man macht das | |
nicht alleine, sondern im Duo. | |
Die Themen von Ottingers Fotoarbeiten, die Ausgestaltung fantasiereicher | |
Selbstinszenierungen und Persönlichkeitsverwandlungen, spinnte Blumenschein | |
dann gewissermaßen in ihren gemalten Bildern aus den Neunzigern weiter. Die | |
bunten Gemälde, die etwa mit Farb- und Goldlackstiften, Kreide und Tusche | |
angefertigt wurden, sind prall gefüllt mit subkulturellen und queeren | |
Codes. Immer wieder haben die Portraitierten Tattoos, der Matrose als | |
schwule Projektionsfläche taucht immer wieder auf und bei der Miniserie | |
„Bartfrauen“ tragen Frauen Vollbärte aller Art, rote Vollbärte, schwarze | |
Vollbärte und sogar geflochtene oder welche mit einem Schleifchen darin. | |
Blumenschein, die sich zeit ihres Lebens mit dem Begriff „Heimat“ | |
auseinandergesetzt hat und mit der Frage, was dieser für ihr eigenes Leben | |
bedeuten könnte, schaffte es am Ende sogar, das deutsche Brauchtum zu | |
queeren. In den beiden Portraits von Besuchern eines bayrischen Bierfests | |
sehen ein Mann und eine Frau jedenfalls weniger so aus, als wollten sie | |
gleich unbedingt eine Maß Bier im Bierzelt stemmen, sondern als freuten sie | |
sich auf den nächsten Tuntenball. | |
30 Aug 2022 | |
## AUTOREN | |
Andreas Hartmann | |
## TAGS | |
Bildende Kunst | |
Kunst Berlin | |
Fotografie | |
Malerei | |
Bart | |
Hamburg | |
Surrealismus | |
Berlin-Neukölln | |
Westberlin | |
Kunstverein Wolfsburg | |
## ARTIKEL ZUM THEMA | |
Liebeserklärung an den Schnurrbart: Respekt für den Balken | |
Schnurrbart, Schnorres, Moustache – das Haar auf der Oberlippe hat viele | |
Namen und ist weit mehr als Deko. Unser Autor trägt es aus Überzeugung. | |
Ausstellung „Exzentrische 80er“: Banden gebildet, Kunst geschaffen | |
Tabea Blumenschein, Hilka Nordhausen und Rabe perplexum wurden vom | |
Kunstbetrieb der 80er ignoriert. Eine Hamburger Ausstellung zeigt ihre | |
Arbeiten. | |
Premiere in Kammerspielen München: Wo bleibt der Sinn für die Sünde? | |
Die Texte der Surrealistin Claude Cahun sind eine Entdeckung. Pīnar | |
Karabulut inszeniert ihr Spiel mit Identitäten und Geschlechterrollen. | |
Berliner Punkrockklassiker Beton Combo: Zurück zum Beton | |
Mit Songs wie „Nazis Raus!“ schrieb die Band Beton Combo | |
Punkrockgeschichte. Jetzt ist ihr Debütalbum frisch gepresst wieder zu | |
haben. | |
Austellung über Tabea Blumenschein: Frau ohne Eigenschaften | |
Tabea Blumenschein setzte sich künstlerisch mit dem Erbe des Faschismus | |
auseinander. Ihre Gesten waren der Inbegriff des Queeren. | |
Ausstellung „Punk oder so ähnlich“: Als Wolfsburg wild war | |
Der Wolfsburger Kunstverein zeigt Punk- und andere Subkultur-Fotos von | |
Werner Walczak aus den 1980er-Jahren. |