# taz.de -- Käthe Kruse in der Berlinischen Galerie: Von A wie „Abstiegsangs… | |
> Als Künstlerin ordnet Käthe Kruse die Welt. Das zeigt auch die große | |
> Werkschau des einstigen Mitglieds der Anarcho-Musikgruppe „Die tödliche | |
> Doris“. | |
Bild: Käthe Kruse macht Wörterbilder, aus der Serie „Jetzt ist alles gut“… | |
Wenn stimmt, was Wolf Vostell 1961 formuliert, nämlich „Kunst ist Leben, | |
Leben ist Kunst“; wenn zudem stimmt, was der Volksmund seit jeher weiß, | |
nämlich „Ordnung ist das halbe Leben“ – ist Ordnung dann nicht auch Kuns… | |
Und umgekehrt? | |
In der Kunst Käthe Kruses, der die Berlinische Galerie unter dem Titel | |
„Jetzt ist alles gut“ eine Werkschau widmet, berühren sich diese Bereiche. | |
Sie werden evaluiert, kategorisiert, nummeriert – und neu strukturiert: | |
Bereits Kruses erste eigenständige Arbeit nach sieben Jahren mit der | |
Künstlergruppe „Die tödliche Doris“, gegründet 1980 von Wolfgang Müller… | |
Nikolaus Utermöhlen, beschäftigt sich mit dem Ordnen. „Der geregelte | |
Zustand“ von 1986 „regelt“ eine Sammlung von Automatenfotos, die Müller … | |
Utermöhlen einst fanden. Auf 30 mit der Schreibmaschine vollgeschriebenen | |
Blättern werden verwaschene Kopien der Fotos einer hochkomplizierten, | |
absichtlich nebulös formulierten „Überordnung“ aus Seriennummern, Gruppen | |
und Beschreibungen zugewiesen: „Serie 17, Nr. 3, Gruppe A, zwei Frauen | |
sitzen auf einem Tisch, schauen in eine Karte. Ich kann Teile ihrer Körper | |
sehen: zwei Beine, eine Hand und zwei Köpfe.“ Die sachlichen Schilderungen | |
erinnern an eine Auktion, doch im gleichen Ton werden in den eng getippten | |
Zeilen Rückschlüsse eingestreut: „Ich glaube die Frauen wollen einen Ort | |
auf der Welt finden, an dem sie ihre Ferien verbringen können. Das wird | |
immer schwieriger. Kennst du einen Platz, an dem noch Frieden herrscht, und | |
keine Kontamination?“ | |
Jenes Ordnen, das Käthe Kruse mit Farben, mit Garn, selbst mit Worten | |
betreibt, wie in ihrer großartigen Serie „Von Abstiegsangst bis | |
Zuwanderungsrekord“, die Worte aus Schlagzeilen zwischen 2015 und 2020 | |
erschienener Tageszeitungen zu alphabetischen „Wörterbildern“ zusammenfüg… | |
ist dabei stets politisch: Dadurch, dass die Worte aus einem Zusammenhang | |
herausgenommen und in einen neuen überführt wurden, kommt ihre eigentliche | |
Bedeutung zutage. Sie belegen den Anstieg von rechtsradikalen Haltungen und | |
Ereignissen in der Gesellschaft, die sich naturgemäß in Schlagzeilen | |
spiegelt. „Drohungen, Diktatur, Dramatik“ liest man auf einem Bild, | |
„Todeszone, Trauma, Terrorattacke“ auf einem anderen. | |
Für die Schau hat Kruse siebzehn Wörterbilder gehängt, jedes repräsentiert | |
einen Buchstaben. Fügt man sie zusammen, liest man die Frage, die man einer | |
Gesellschaft ebenso stellen kann wie seinem Gegenüber: „Wie geht es dir | |
jetzt“ – und eine weitere „Überordnung“ ist entstanden. Kruses Ordnung… | |
Regeln hat Kreativität erschaffen. Und die Antwort auf ihre Frage ist der | |
Name der Ausstellung. | |
## Die Ex-Hausbesetzerin | |
Im Kataloginterview spricht Kruse von ihrer Bewunderung für [1][die | |
Konzeptkünstlerin Hanne Darboven]. Im Vergleich mit deren penibel-manischen | |
Ziffernbildern sind Kruses Arbeiten jedoch – trotz und wegen der | |
politischen Ebene – hoffnungsvoller, humorvoller. Als 1958 geborene | |
Ex-Hausbesetzerin und Wahlberlinerin brechen sich in ihrem Werk auch | |
Popkultur und Feminismus Bahn – davon zeugen Beschäftigung mit | |
„hauswirtschaftlichen“ und damit traditionell weibliche besetzten | |
Materialien (Knüpfteppiche, Nähgarne). Vor allem mit der auch als | |
Bandkollektiv funktionierenden „Die tödliche Doris“ hatte Kruse sich immer | |
wieder akustischer Kunst gewidmet. Die Vinylplatte als Medium, das nicht | |
nur Kunst wiedergibt, sondern Kunst ist, zieht sich durch ihre Arbeiten: In | |
der Berlinischen Galerie sind sechs Kofferplattenspieler zu sehen, auf | |
denen mit Ölfarbe bemalte Scheiben liegen – Kruse hat die Platten mit dem | |
klassischsten aller Künstlerwergzeuge, der Farbe, unhörbar gemacht. | |
[2][„Die tödliche Doris“ kreierte bereits Mitte der 80er] eine „imaginä… | |
Platte, die nur entsteht, wenn man zwei Platten der Gruppe gleichzeitig | |
hört – diese Arbeit ist ebenfalls zu sehen. Die mit Leder bezogenen | |
Instrumente, zu denen neben Kruses Schlagzeug eine Gitarre, ein Bass, eine | |
Geige und eine Klarinette gehören und auf denen Kruse zuweilen gemeinsam | |
mit ihren Töchtern performt, treiben die Unhörbarkeit auf die Spitze: Man | |
kann sie noch spielen, doch sie sind fast stumm. | |
Um den Urheberkomplex aufzubereiten, ist am Anfang der Ausstellung der Film | |
„Der Vertrag“ von 2013 zu sehen: Nackt sitzt Kruse an einem Tisch und liest | |
eine Vereinbarung vor, die den Umgang der Gruppenmitglieder der „tödlichen | |
Doris“ mit den gemeinsamen Werken regelt. Auch das Zeigen gemeinsamer Kunst | |
in einer Käthe Kruse-Soloschau hat also seine Ordnung – ein Glück. | |
16 Mar 2025 | |
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## AUTOREN | |
Jenni Zylka | |
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