| # taz.de -- Marie Skov über Punk in der Kunst: „No Future ist zurück“ | |
| > Punk hat Erfahrungen mit dem Gefühl der Ausweglosigkeit. Ein Gespräch mit | |
| > Marie Arleth Skov, die die erste Kunstgeschichte des Punk geschrieben | |
| > hat. | |
| Bild: Marie Arleth Skov in Berlin Kreuzberg, Ende November 2023 | |
| wochentaz: Frau Skov, wie sind Sie auf die Idee gekommen, ein Buch über | |
| Punk in der bildenden Kunst zu veröffentlichen? | |
| Marie Arleth Skov: Schon als Teenager habe ich gerne Punkmusik gehört und | |
| mochte seine visuelle Seite. Ich komme ursprünglich aus Dänemark und bin | |
| Ende der 1990er nach Berlin gegangen, um Kunstgeschichte zu studieren. Da | |
| habe ich gesehen, wie [1][viele Verbindungen es zwischen Punk und | |
| verschiedenen Avantgarde-Bewegungen] gibt, insbesondere des 20. | |
| Jahrhunderts. Obwohl es sehr ausgeprägt ist, gab es kaum Analysen davon. | |
| Was erscheint Ihnen an Punk 2023 zeitgemäß? | |
| Wir befinden uns in einer politischen und sozialen Schieflage, wo viele | |
| Menschen das Gefühl haben, dass wir uns in einer Ausweglosigkeit befinden. | |
| Vor allem für die junge Generation ist ein No-Future-Gefühl entstanden, für | |
| Ältere ist das Gefühl vielleicht eher zurückgekehrt. Punk hat Erfahrungen | |
| damit. Es ist eine Bewegung, in der Musik, Kunst, Selbstausdruck, Mode, | |
| Stil ineinander fließen. Es existiert großes Verständnis dafür, wie | |
| unterschiedlich man sein kann als Mensch; dass Identität frei konstruiert | |
| werden kann, bis hin dazu, dass der eigene Körper konstruiert werden kann. | |
| Es ist okay, sich auf jede erdenkliche Art auszudrücken und diese hybride | |
| Form des Seins kann Kunst sein und kann verschiedene Barrieren des Denkens | |
| durchbrechen. Dann wird es auch zu etwas Politischem, und also bleibt es | |
| wichtig. | |
| Billy Idols Song „Eyes without a Face“ läuft immer noch im Radio. Punk in | |
| dieser Form ist Oldie, andererseits sticht der Trash-Gedanke ins Ohr, der | |
| befreiend wirkt. | |
| Punk hat gezeigt, wie wichtig Trash sein kann. Trash ist Glamour, [2][ist | |
| Dreck, ist alles, was verpönt ist, aber total Spaß macht. Das ist auch in | |
| Punk-Kunst wichtig.] Fusionierte Geflechte zwischen Musik und Mode, | |
| Performance und Kunst, wo es darum geht, genau solche gewollt | |
| geschmacklosen Momente in den Mittelpunkt zu stellen und Spaß daran zu | |
| haben. Auch eine Figur wie die Dragqueen Divine gehört hier mit rein, denn | |
| sie hat aus Trash Kunst gemacht. Dieser Aspekt ist das, was wir an Punk | |
| lieben. | |
| „Sometimes Punk is art and sometimes art is Punk“, lautet Ihr erster Satz, | |
| ein paar Seiten später ist die Fotografie eines Gemäldes von Helmut | |
| Middendorf abgebildet. Es zeigt eine Person auf einer Bühne, die eine | |
| Mikrofonstange zertrümmert, was der Coverfotografie vom Album „London | |
| Calling“ von The Clash nachempfunden ist, die den Bassisten Paul Simonon | |
| zeigt, wie er seinen Bass zerstört. Wann ist Punk Kunst, wann nicht? | |
| Das Gemälde ist ein gutes Beispiel für „art that is Punk“. Das Zitat vom | |
| Zitat, wie bei Middendorf, ist etwas, was Ende der 70er häufig vorkommt. | |
| Die Kopie an sich ist im Punk zentral. Der Fotokopierer wird Mitte der 70er | |
| als Gerät entdeckt, mit dem sich Kunst generieren lässt. Die Kopie ist auch | |
| ein Mittel, um sich gegen den Kult und die Fetischisierung des Erhabenen in | |
| sogenannten Meisterwerken zu stellen, gegen das unerreichbare Kunstwerk, | |
| das teure Einzelstück, was nur für Reiche oder für Museen zu haben ist. Die | |
| Idee der Kopie spricht für die Verbreitung. Die Verbreitung einer Botschaft | |
| ist ein demokratischer Akt, das rückt Kunst gleich in eine andere Sphäre. | |
| Die Geste des Gemäldes wirkt heroisch-theatralisch. Durch Punk kam | |
| Heldenverehrung zugleich auf den Prüfstand. „No more Heroes“. Negation wird | |
| selbst zur heroischen Geste. | |
| Einerseits hat Punk sich gegen die Heroisierung gestellt, und zwar in der | |
| Kunst und in der Musik. Publikum und Band werden eins. Und in der Kunst | |
| ging es eben nicht mehr um einzelne männliche Genies, die in einer | |
| Edelgalerie ihre Meisterwerke als Einzelshow präsentieren. Typisch waren | |
| Gruppenausstellungen, in denen Leute gemeinsam ihre Arbeiten präsentiert | |
| haben. Die haben Street-Art gemacht, Zine-Art, da herrscht Egalität. | |
| Andererseits gibt es in der Punkszene eine fast romantische Sehnsucht nach | |
| Anti-Heroes. Gescheiterte werden zu Punk-Helden. | |
| Sie zitieren die [3][Berliner Künstlerin Käthe Kruse,] deren Vater ihr | |
| bescheinigt hat, sie sei nichts, sie könne nichts, aus ihr würde nie etwas | |
| werden. Das hat sie erst recht getriggert. Aus dem Mangel an Unterstützung | |
| wurde ein Dynamo für DIY. | |
| Das ist etwas Gleichzeitiges, es passiert in Medien, im Film, in Bildender | |
| Kunst und in der Musik. Man benutzt Geräte wie die Super-8-Kamera, es gab | |
| neue Übertragungsmöglichkeiten, die Audio-Cassetten-Kultur ist entstanden. | |
| Das geht über auf Orte, in denen man etwas macht: Kloschüssel reparieren | |
| genauso wie Kunst machen. Oder Performance. Oder Musik: Ich trommle, ich | |
| kann das. In den Städten gab es kaputte, leerstehende Häuser, in die man | |
| einziehen konnte. Dort entsteht neue Freiheit für Orte und | |
| Produktionsmittel, der kaputte Zustand und der niedrige Mietpreis | |
| begünstigen das. | |
| Amsterdam und Kopenhagen sind zentrale Städte in Ihrem Buch, dort waren | |
| Kunst, Literatur und Punk besonders eng verbunden. Warum? | |
| Punk manifestiert sich jeweils anders in unterschiedlichen kulturellen | |
| Sphären. In Amsterdam gab es enge Verbindungen zur „Provo“-Bewegung der | |
| 1960er Jahre, die eher kreativ-anarchistisch unterwegs war. In beiden | |
| Städten spielten Frauen wichtige Rollen in der Punk- und Kunstszene. | |
| Überall wurden sie rausgeschrieben aus der Geschichte, obwohl sie damals | |
| zentral waren, und jetzt müssen wir sie wieder reinholen. | |
| Durch die lokale Anbindung wurde Sprache wieder näher an den Alltag | |
| gerückt. | |
| Die Verknüpfung von Punk und Poesie ist in beiden Städten eng. Punk findet | |
| in der lokalen Sprache statt. Dadurch wurde auch Abstand genommen von einer | |
| klischeehaften, nichtssagenden Mainstream-Glamour-Sprache, wie sie etwa | |
| Abba benutzt haben. Es ging zurück zur eigenen Realität, zurück zur | |
| eigenen, auch harschen Lebenswelt. Zudem gibt es enge Verbindungen zu | |
| Kunstrichtungen der 1960er. CoBrA als Bewegung zwischen Politik und Kunst | |
| war maßgebend, [4][Asger Jorn war eine wichtige Figur.] Jorns Gesten der | |
| Zerstörung und seine kompromisslose Haltung wurden von den Punks bewundert. | |
| Jorn war bekannt für seine Übermalungen, bei denen er Kopien von Werken | |
| Alter Meister mit eigenen Mustern verunziert. | |
| Letztendlich geht es Jorn damit um eine Freisetzung der Kunst. Die Idee, | |
| eine Überraschung zu kreieren, indem man etwas Disruptives unternimmt, um | |
| den Morast des Alltags aufzuwirbeln und die Langeweile aufzuwerfen, ist | |
| archetypisch punk. Das macht Jorn auch mit den Bildern. Punk-Künstler:innen | |
| haben sich das von ihm abgeschaut. | |
| Zuletzt fiel mir bei einer Performance von Florentina Holzinger der | |
| Einfluss von Punk auf, ohne dass es da auch nur einen Hauch retro | |
| zugegangen wäre. Holzinger hat für den Zustand der Welt einen drastischen | |
| Ausdruck gefunden. | |
| Eine der Sachen, um die es bei Punk geht, ist, dahin zu gehen, wo es weh | |
| tut. Das ist wiederum sehr mutig. Es mag abstoßend sein, schwierig, | |
| unattraktiv, genau damit beschäftigt sich Punk. Das schafft eben auch die | |
| Glaubwürdigkeit, die mir an Punk sehr gefällt. [5][Ja, Florentina Holzinger | |
| hat auch so eine Kompromisslosigkeit in ihrer Kunst.] | |
| Nun ist der Begriff Punk inzwischen vollständig hohl. Siehe das | |
| Wirtschaftsmagazin „Business Punk“. Punk wird inflationär auf alles | |
| angewandt, was renitent sein will: Ist Friedrich Merz am Ende Punk? | |
| Nein, mit Punk hat das nichts zu tun, das ist nur bigotte Scheiße, was sich | |
| als Anti-Establishment zu verkaufen versucht. Das Problem, dass Punk | |
| kooptiert werden kann, existiert allerdings von Beginn an. Wenn man Punk | |
| auf Provokation reduziert, kann es leicht von allen Seiten missbraucht | |
| werden. Punk ist meist links, aber nicht auf Parteilinie, es hat libertäre | |
| Seiten. Wenn man sich an diese Wurzeln erinnert, minimieren sich | |
| Falschauslegungen. Es ist eine Bewegung von unten, gegen Macht, gegen | |
| Bigotterie, gegen Kapitalismus, gegen Protz, und trotzdem kann es Glam | |
| sein. Das ergibt nach wie vor Sinn und bleibt wichtig. So wichtig wie seit | |
| 1977 nicht mehr. | |
| Seit dem 7. Oktober lässt sich in der Kunstszene Ignoranz beobachten, was | |
| den Terror der Hamas angeht, der verharmlost oder verleugnet wird. Das | |
| setzt eine Welle von schlimmem Antisemitismus in Gang. | |
| Es ist eine Form von Dogma, wenn Kunst zur einseitigen Stellungnahme | |
| gezwungen und instrumentalisiert wird. Zumindest das, was ich an Kunst | |
| spannend finde, öffnet den Geist, anstatt ihn zu verschließen. Egal, ob man | |
| Punk ist oder nicht, es ist elementar, Menschlichkeit zu bewahren, egal, | |
| wer Aktivist, wer Künstlerin, wer Politikerin ist. Es geht im Punk eher | |
| darum, kritisch und empathisch zu denken. Wer das macht, wird | |
| antimuslimische und antisemitische Hetze verabscheuen. | |
| 3 Dec 2023 | |
| ## LINKS | |
| [1] /Wozu-es-Punk-gibt/!5322328 | |
| [2] /57-Jazzfestival-in-Montreux/!5946883 | |
| [3] /Archiv-Suche/!5926283&s=K%C3%A4the+Kruse&SuchRahmen=Print/ | |
| [4] /Archiv-Suche/!5526766&s=Asger+Jorn&SuchRahmen=Print/ | |
| [5] /Berliner-Musikfestival-Atonal/!5959137 | |
| ## AUTOREN | |
| Julian Weber | |
| ## TAGS | |
| Punk | |
| Bildende Kunst | |
| Geschichte | |
| Berlin Ausstellung | |
| Banksy | |
| Punk | |
| Street Art | |
| Punkrock | |
| zeitgenössische Kunst | |
| Punk | |
| Sex Pistols | |
| ## ARTIKEL ZUM THEMA | |
| Käthe Kruse in der Berlinischen Galerie: Von A wie „Abstiegsangst“ bis Z w… | |
| Als Künstlerin ordnet Käthe Kruse die Welt. Das zeigt auch die große | |
| Werkschau des einstigen Mitglieds der Anarcho-Musikgruppe „Die tödliche | |
| Doris“. | |
| Banksy-Bilder aufgetaucht: Heulende Wölfe | |
| Fünf neue Werke des Street-Art-Künstlers Banksy sind in und um London | |
| aufgetaucht. Zu sehen sind Tiere in unverfänglichen Posen. Unpolitische | |
| Kunst? | |
| Neues Punkalbum von Akne Kid Joe: Vom Banküberfall in den Spamordner | |
| Die Nürnberger Akne Kid Joe stellen sich dem drohenden Rechtsruck nach der | |
| Europawahl auf dem neuen Album „4 von 5“ mit Verve entgegen. | |
| Wirbel um Künstler-Enigma Banksy: Street-Art von der Straße geklaut | |
| Ein Stoppschild elektrisiert Großbritannien. Es wurde vom mysteriösen | |
| Künstler Banksy verziert, aber schnell abmontiert. Scotland Yard ermittelt. | |
| Musik-Subkultur in Palermo: Als Punk überlebenswichtig wurde | |
| Palermo war lange von existenzieller Gewalt geprägt. Gerade deshalb | |
| entstand in der Metropole Siziliens eine der lebendigsten Musikszenen | |
| Europas. | |
| Kunst in der Coronakrise: Nazipelz und ein Kilo Kokain | |
| Käthe Kruses Wortschau „Ich sehe“ ist zwar geschlossen. Durch die | |
| Schaufenster der Galerie lässt sie sich aber von außen betrachten. | |
| Wozu es Punk gibt: Seit 40 Jahren dagegen | |
| Im Sommer 1976 erschien die erste britische Punksingle. Wie die | |
| Jugendrevolte losging, was sie änderte und warum sie nach wie vor bedeutsam | |
| ist. | |
| Die Sex Pistols und die Stranglers: No Future – und was daraus wurde | |
| Ständig fliegen die Fetzen: John Lydon, Sänger der Sex Pistols, hat seine | |
| Autobiografie geschrieben. Allerdings waren die Stranglers reflexiver. |