# taz.de -- Kultfilm „Decoder“ einmalig im Kino: Als Bildschirmkrieg noch S… | |
> Es ist ein Kultfilm des Cyberpunks: Vom Widerstand gegen den | |
> Konsumkapitalismus erzählt „Decoder“, der jetzt erneut gezeigt wird. | |
Bild: Christiane F. und FM Einheit in „Decoder“ | |
1981 setzen sich vier von Punk infizierte junge Menschen an das Drehbuch zu | |
einem Film, der sein Leinwanddebüt im Orwell-Jahr 1984 auf der Berlinale | |
erleben und danach einer jener Geheimtipps mit Kultstatus und wenigen | |
Aufführungsterminen werden wird: [1][„Decoder“ von Klaus Maeck, Muscha, | |
Volker Schäfer und Trini Trimpop.] | |
1982 besucht Ronald Reagan die besondere politische Einheit West-Berlin. | |
Dem US-Präsidenten wird von Kreuzberg ein heißer Empfang bereitet. Im | |
selben Jahr kommt die urbane Dystopie „Blade Runner“ in die Kinos. | |
In Australien wird MicroProse gegründet; das Unternehmen spezialisiert sich | |
auf den Bildschirmkrieg. Noch ist er Spiel. Der Heimcomputer Commodore 64 | |
kommt auf den Markt; das erste Computervirus zirkuliert. „Decoder“ legt die | |
Frage nahe, inwieweit in den frühen Achtzigerjahren die Welt Form annimmt, | |
mit der wir uns jetzt auseinanderzusetzen haben. | |
## Widerstand gegen den Konsum- und Unterhaltungskapitalismus | |
Der Film handelt von nicht weniger als dem Widerstand gegen Konsum- und | |
Unterhaltungskapitalismus. Ein Einzelkämpfer wird zum Partisanen: [2][FM | |
Einheit, zur Drehzeit Metallperkussionist der Einstürzenden Neubauten, | |
spielt im Grunde sich selbst.] Der Soundtüftler FM lebt in einer Dachstube | |
mit Blick auf die Kräne und Boote des Hamburger Hafens. Seine Bude ist ein | |
einziger Instrumentenpark aus Bandmaschinen, Verstärkern, Oszillatoren und | |
Geräuscherzeugern aller Art. | |
Christiana, gespielt von Christina Felscherinow, die nicht mehr Christiane | |
F. vom Bahnhof Zoo sein möchte, arbeitet in der Peepshow und ist mit FM | |
zusammen. In einer Szene telefonieren sie; die Kamera fährt zurück und | |
offenbart: Beide sitzen dabei nebeneinander. Christianas Wohnung hat etwas | |
von einem Regenwaldhaus und sie es mit Fröschen, denen sie magische und | |
tödliche Kräfte zuschreibt. | |
FM entdeckt, dass er die Hintergrundbeschallung einer Burgerkette, die | |
Muzak, mit enervierenden Klängen aus der Unter- und Zwischenwelt | |
konterkarieren kann. „Decoder“ propagiert keine Maschinenstürmerei, sondern | |
die Umpolung der Geräte. In den richtigen Händen wirkt die | |
Unterhaltungselektronik nicht sedierend, sondern aufwiegelnd. | |
## Auch Genesis P-Orrige spielt mit | |
Die Burgerkette und die Regierung engagieren einen Agenten: Jäger wird | |
verkörpert von Bill Rice. Der New Yorker Independent-Schauspieler ist | |
später bekannt geworden durch Jim Jarmuschs „Coffee and Cigarettes“. Mit | |
melancholisch wehendem Mantel und immer müder werdendem Blick versucht | |
Jäger seinen Job zu machen. Von Christiana in den Bann geschlagen und | |
seiner Mission überdrüssig, wird Jäger selbst zur Fehlstelle im System. | |
Mehr sei nicht verraten. | |
Dazwischen jedoch gibt es in „Decoder“ Denkstoff. William S. Burroughs und | |
Genesis P-Orridge, zwei Ikonen der Gegenkultur, treten auf. In London ist | |
eine Szene mit dem Schriftsteller Burroughs als kauziger Ladeninhaber | |
gedreht. Natürlich ist er mehr als das und gibt FM in wenigen Sätzen | |
theoretisches Rüstzeug auf den Weg. Industrial-Mitbegründer P-Orridge | |
spielt einen Hohepriester, dessen Kult in einer leerstehenden Fabrik | |
bruitistische Rituale abhält. Mit Blitz und Donner schwört P-Orridge FM auf | |
die subversive Kraft von Information ein. | |
Teil der Unterweisung ist eine bewusstseinsverändernde Sitzung vor der | |
Dream Machine. FM wird an die von den Beatnik-Künstlern Brion Gysin und Ian | |
Sommerville konzipierte, rotierende Leuchte geschleift. Die Jünger des | |
Kultes wie überhaupt die Sub- und Gegenkultur werden nicht als Beispiele | |
zarter Umgangsformen gezeichnet. Die Aura von P-Orridges Priester | |
beispielsweise atmet mehr /law/ als /love/. | |
## Licht spielt eine tragende Rolle | |
Der Antrieb der Dream Machine ist ein Plattenspieler. Der Soundtrack von | |
„Decoder“ versammelt die großen Namen des Industrial und Art Pop: Neben FM | |
Einheit selbst, den Neubauten, Jon Caffery, David Ball, Genesis P-Orridge | |
und Matt Johnsons The The sorgen zwei Hitparaden-Abgesandte für einen | |
leitmotivischen Moment: „Seedy Films“, eine träge und laszive | |
Elektro-Ballade des Duos Marc Almond und David Ball alias Soft Cell, | |
erklingt immer dann, wenn Jäger in die Rotlichtwelt abtaucht. | |
Licht spielt, wie Raum und Interieur, eine tragende Rolle in „Decoder“. | |
Christianas Motivfarbe ist grün, die von FM blau. Selten hat man Neonröhren | |
und Verwaltungsgebäude so kalt gesehen wie in diesem Film. Ein | |
dialektischer Kniff ist, wie die Überwachungsapparaturen in dem Büro Jägers | |
und seines Assistenten mit den Aufbauten in FMs Laboratorium | |
korrespondieren. „Happy Treff“ heißt einer der Tische in dem | |
Burgerrestaurant und vermittelt dabei Tristesse pur. | |
Und dann ist „Decoder“ ein Film aus einer unwiederbringlich verlorenen | |
Welt: Aus der von Telefonen mit Drehscheibe und Autos mit Heckflosse, | |
Baulücken und begehbaren Dächern, Parolen an unsanierten Häuserwänden und | |
einer Dunkelheit, die nicht ausschließlich düster sein muss. Im Moment des | |
Aufstands sieht man Christiana und FM lachend und in inniger Umarmung. | |
1 Apr 2025 | |
## LINKS | |
[1] /Neues-Buch-von-Filmemacher-Klaus-Maeck/!6050774 | |
[2] /Blixa-Bargeld-spricht/!6000961 | |
## AUTOREN | |
Robert Mießner | |
## TAGS | |
Berlin im Film | |
Punk | |
Berlin | |
wochentaz | |
Berlin Ausstellung | |
Punk | |
## ARTIKEL ZUM THEMA | |
Ausstellung von Vaginal Davis in Berlin: Schminke bringt Wahrheit hervor | |
Vaginal Davis, das ist die Genre sprengende Künstlerin und | |
Universalgelehrte aus dem queeren Underground. Nun zeigt der Berliner | |
Gropius Bau ihr Werk. | |
Käthe Kruse in der Berlinischen Galerie: Von A wie „Abstiegsangst“ bis Z w… | |
Als Künstlerin ordnet Käthe Kruse die Welt. Das zeigt auch die große | |
Werkschau des einstigen Mitglieds der Anarcho-Musikgruppe „Die tödliche | |
Doris“. | |
Neues Buch von Filmemacher Klaus Maeck: Das Virus im Quicktime-Garten | |
Das Buch „Volle Pulle ins Verderben“ des Hamburger Produzenten Klaus Maeck | |
beleuchtet die Punk-Frühzeit. Es zeugt von einem Leben für den | |
Undergroundfilm. |