# taz.de -- Blixa Bargeld spricht: „Ich bin in meiner Rembrandt-Phase“ | |
> Die Einstürzenden Neubauten haben eine neue Platte gemacht. Blixa Bargeld | |
> spricht über freie Improvisation, Insomnie und Coverkleben in der taz. | |
Bild: Klingen auf ihrer neuen Platte auffallend ungemütlich: die Einstürzende… | |
wochentaz: Guten Tag, Herr Bargeld. | |
Blixa Bargeld: Guten Tag. Die taz! Da habe ich unsere frühen Plattencover | |
gemacht. Die Schriften habe ich geschrieben. In der Layout-Abteilung gab’s | |
zum Ausschneiden so weißes Zeug zum Aufkleben. Quasi gedruckt, dann | |
ausgeschnitten, dann hinten mit Klebe bestrichen, um es auf die Fläche zu | |
bringen, dieses ganze Layout per Hand, dann wieder Reprokamera. So habe ich | |
das Cover unseres Debütalbums „Kollaps“ gemacht, „Durstiges Tier“, die | |
Doppelsingle „Kalte Sterne“, alles entstanden bei der taz. Und diesen | |
Schriftzug verwenden wir jetzt wieder. Als Prägedruck wie beim „White | |
Album“ von den Beatles. | |
Hätten Sie sich 1981 auf die Beatles bezogen? | |
Na ja, Andrew war immer der größte Beatles-Fan unter der Sonne. | |
Ausgerechnet N.U. Unruh, den Alexander Hacke einmal zitiert hat mit den | |
Worten: „Ich interessiere mich überhaupt nicht für Musik, ich will nur | |
nerven?“ | |
Ja, Andrew ist ein paar Jahre älter als ich. Geboren in New York, hat er | |
zwei ältere Schwestern, die komplett in dieser Beatlemania aufgegangen | |
waren. Andrew hat alle US-Beatles-Veröffentlichungen, alle Alben, alle | |
Singles. | |
Das ist eine Überraschung. | |
Kommt noch eine. Was ist seine zweite Lieblingsband? | |
Verraten Sie es uns. | |
Santana! | |
Och nee! | |
Doch. Da kommt Andrew her. Hör mal, ick bin Jahrgang 59, ick komm nicht von | |
Punk. (Blixa Bargeld berlinert mehrmals im Gespräch). | |
Das dachten wir uns. | |
Ich komm natürlich aus dem klassischen Katalog der Rockmusik und dem | |
speziellen Deutschrock jener Zeit: Can mit ihrer telepathischen | |
Improvisation, ich habe sie mehrmals live gesehen. Kraftwerk, Neu! Das ist | |
meine musikalische Sozialisation. Davor natürlich genauso Rolling Stones, | |
Beatles, Velvet Underground und Doors und Blues. Und im Deutschen Ton | |
Steine Scherben. | |
Ihr [1][neues Album als Einstürzende Neubauten] klingt auffallend | |
ungemütlich. | |
Ach ja? Das hat bis jetzt noch niemand gesagt. | |
Am Anfang der Musik steht eine Frage. | |
„Wie lange noch?“ Genau. | |
Das setzt Assoziationen frei. | |
Das Stück hat in unserem Abstimmungsprozess erst einmal die meisten | |
Sternchen gekriegt. Das „Wie lange noch?“ bezieht sich aber auf den Beginn | |
der Aufnahmen. Zu diesem Zeitpunkt habe ich mich noch gesträubt, einfach | |
wieder in diese Studiosituation psychisch abzurutschen. In dem Sinne, ich | |
gehe abends damit schlafen, werde nachts darüber nachdenken, werde morgens | |
darüber nachdenken. Ich bin dann für meine Familie verloren, weil ich | |
komplett in meiner Welt lebe. Ich bin dann eingetaucht. Ich weiß, das ist | |
scheiße, und da will ich nicht hin. Ich muss da schon überlistet werden. | |
Danach geht’s. Musikalisch ist das ein guter Auftakt, hat auch so einen | |
klaren Krautrock-Hang. | |
So perkussiv wie auf „Ist Ist“, dem zweiten Stück, haben die Neubauten | |
lange nicht mehr geklungen. | |
Das hat nun die wenigsten Sternchen bekommen, aber Rudi wollte das | |
unbedingt machen, und dann fanden wir es alle toll. Da wir auf der Bühne | |
noch Felix Gebhardt haben, der die Samples macht, statt Streicher, die wir | |
live nicht bringen können, und Keyboards und Piano spielt, hat er auch | |
seinen Anteil. Er hat von uns ganze Datenbänke gekriegt und in unsere | |
Live-Improvisationen, auf denen das Album beruht, eingegriffen. Für „Ist | |
Ist“ habe ich ihm eine Sammlung an Phonemen gegeben, „brzzzt“ oder „gmp… | |
wie bei Kurt Schwitters. Das sind Lautgedichte aus Phonemen und Fragmenten, | |
die da hinter dem „Ist Ist“ laufen, das meine Stimme ist, die aber von | |
Felix angespielt wird. | |
Improvisation spielt im Jazz und im Krautrock eine große Rolle. Wo kommt | |
das bei Ihnen her? | |
Am Anfang haben wir nur improvisiert. Wir hatten ja noch nicht einmal eine | |
Veröffentlichung. Mit „Kollaps“, dem Debüt, waren dann Stücke da, die wir | |
wiederholen konnten. Angefangen, Sets zu spielen, haben wir erst 1989 zu | |
Zeiten von „Haus der Lüge“. Aber da war immer der Platz drin, der sich | |
„Rampe“ nannte, wo mitten im Set improvisiert wurde. Das Übertragen von | |
Improvisationen auf Studioaufnahmen, das wir auf dem neuen Werk machen, ist | |
auch uralt. Das erste Mal, als wir das gemacht haben, war, denke ich, in | |
Nürnberg. „Letztes Biest (Am Himmel)“, das dann für „1/2 Mensch“ | |
aufgenommen wurde. „Redukt“, „Alles“, „Von Wegen“ sind genauso ents… | |
Haben Sie einmal überlegt, diese Improvisationen in grafischen Notationen | |
festzuhalten? | |
Ich mache öfter landschaftliche Zeichnungen, wie es durch ein Lied | |
durchgeht, aber das hat mit diesen Improvisationen nichts zu tun. Was da | |
passiert, ist ja kollektiver Egoismus. Da macht jeder, was er jetzt gut | |
findet, aber jeder reagiert auch auf die anderen. Ich glaube, [2][Kim | |
Gordon] hat mal gesagt, das Schöne und das Schreckliche an Improvisation | |
ist, dass du nie weißt, was der andere machen wird. | |
Und bei Ihnen? | |
Denken mit Musik, das ist ja mein Punkt bei der ganzen Angelegenheit. Ich | |
erwarte von der Musik einen Erkenntnisgewinn. Ich erwarte, dass ich durch | |
die Musik vorwärts-, weg-, weiterdenken kann, wo ich vorher nicht war. | |
Wie halten Sie es mit der KI? | |
Ich habe sie tatsächlich einmal gebeten, Texte von mir zu schreiben. Das | |
war schockierend! Ein dermaßen bescheuerter Quatsch! Ich konnte darin nur | |
erkennen, was mein Bild im Internet wohl sein muss. Da ging es wirklich nur | |
um Ruinen und Schrottplätze. Man kann sicher auch genauere Anweisungen | |
geben, aber ich habe mich nicht viel damit auseinandergesetzt. | |
„Everything Will Be Fine“ heißt eines der neuen Stücke. „Wer’s glaubt… | |
selig“ heißt es weiter im Text. | |
Ich habe mir vor der Session zum zweiten Mal dasselbe Bein gebrochen, saß | |
im Rollstuhl und bin ganz allmählich immer weiter in eine vollständige | |
Insomnie abgeglitten. Ich habe nicht mehr geschlafen, weil ich nicht mehr | |
liegen konnte. Am Ende konnte ich nicht einmal mehr stehen, liegen, sitzen, | |
irgendwas. Dann bin ich in einer Spezialklinik behandelt worden. Für die | |
Aufnahmen habe ich mir Auszeiten genommen. Und das konnte ich, im | |
Mutterleib meiner Mitmusiker, die ich alle seit Jahrzehnten kenne. In | |
dieser Insomnie perforiert sich auch die Schranke zwischen Unbewusstem und | |
normal Bewusstem, und ich konnte ununterbrochen Stream of Consciousness | |
raushauen. Das hört man auch auf den verschiedenen Takes des Stückes. In | |
jedem erzähle ich etwas völlig anderes. | |
Wann wurde das Album fertiggestellt? | |
Geschrieben habe ich den letzten Text am 7. Oktober 2023 nach der | |
„Tagesschau“, in einem Gespräch mit meiner Frau wieder. Es braut sich immer | |
mehr zusammen, ich brauche nicht aufzählen, kann sich jetzt jeder | |
ausrechnen, was ich damit meine. Aber es ist für uns wirklich eine | |
Gesprächsrealität, dass wir uns Gedanken darüber machen müssen, wo wir denn | |
als Nächstes hinsollen. Meine Frau ist Chinesin, meine Kinder sind | |
Halbchinesen. Der ganze Müll, der hier gerade passiert, von | |
Kriegsbereitschaft, über den Hamas-Überfall, über das Wiedererstarken der | |
Rechten nicht nur in Europa, sondern überall auf der Welt, bis zu Agent | |
Orange, wie Spike Lee das immer nennt, dass der auch wiederkommt. Das | |
findet sich dann da alles. Natürlich ist es zynisch, wenn ich dann singe | |
„Everything will be fine“. Toller Titel. Ich glaube, das ist Alex’ | |
Lieblingslied. Meins ist „Gesundbrunnen“. | |
Das längste Stück ist „Planet Umbra“. | |
Von der psychedelischen Seite 3, mit dem einen durchgehenden Stück, auf dem | |
alles durchfließt, wie im klassischen Krautrock. Jochen fängt an, Rudi, ich | |
und Alex spielen, Felix Gebhardt spielt die Orgel. Und Andrew macht nix. | |
Nachdem das nun gesungen war und so weiter befand Andrew: Da fehlt Wasser. | |
Planet Umbra braucht Wasser. Das ist Andrew, so denkt Andrew musikalisch. | |
Wenn man genau hinhört, bemerkt man, wie in Zeitlupe aus dem Wasser größere | |
Flüsse werden. Ich bin jetzt in meiner Rembrandt-Zeit. Ich trete vom Bild | |
zurück. Der Geruch der Farbe macht krank, aber ich fange an zu begreifen, | |
was ich da in die Welt gesetzt habe. Ich bin glücklich mit dem Album. | |
6 Apr 2024 | |
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## AUTOREN | |
Robert Mießner | |
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