# taz.de -- Neues Buch von Filmemacher Klaus Maeck: Das Virus im Quicktime-Gart… | |
> Das Buch „Volle Pulle ins Verderben“ des Hamburger Produzenten Klaus | |
> Maeck beleuchtet die Punk-Frühzeit. Es zeugt von einem Leben für den | |
> Undergroundfilm. | |
Bild: Hinten hängen Buttons: Klaus Maeck, dritter von links mit Stammkunden im… | |
„Lass es mich so sagen: Gibt es auf der Welt irgendwo Stunk, ist meistens | |
Kunst am Werk“, behauptet der reiche Schnösel Bertie Wooster seinem Butler | |
gegenüber im Roman „Der unvergleichliche Jeeves“ von P. G. Wodehouse. | |
Wodehouse, der britische Autor des Fin de Siècle, liefert keine weiteren | |
Belege für die etwas herablassend vorgetragene steile These. Kammerdiener | |
Jeeves pflichtet ihm pflichtbewusst bei. | |
Bestätigen lässt sie sich auf jeden Fall am Werk des Hamburger | |
Musikverlegers und Filmproduzenten Klaus Maeck. Anders als Bertie Wooster | |
stammt Maeck aus eher bescheidenen Verhältnissen in Hamburg-Poppenbüttel. | |
In diese kehrt er nun nochmal symbolisch zurück. | |
„Volle Pulle ins Verderben“ ist Maecks Buch mit Erinnerungen und Storys | |
betitelt, das Täuschungsmanöver nimmt schon beim Titel seinen Lauf. Was | |
nach „lustigem Taschenbuch“ und Speedpunk-Actionthriller klingt, ist einer | |
mexikanischen Raubkopie von [1][Fatih Akins Erfolgsfilm „Gegen die Wand]“ | |
entlehnt. | |
## Spärliche Glücksmomente | |
Mal blinkt Maecks Leben in der Subkultur darin autobiografisch auf, dann | |
wieder wird es fiktional aufgeladen und mit surrealer Verve versehen. | |
Anders auch, als es der Titel vermuten lässt, sind darin Scheitern und | |
Neubeginn unsentimental geschildert. „Immerhin habe ich gelernt, spärliche | |
Glückmomente zu nutzen, um Energie zu tanken.“ | |
Die Energie ist in „Volle Pulle ins Verderben“ spürbar. Trotz inzwischen | |
großem Œuvre fällt Klaus Maeck oft hinten runter. Das sagt er selbst auch, | |
obwohl viele Fäden über ihn zusammenlaufen, Themen multipliziert und Leute | |
miteinander verzahnt werden. Für das, was er seit den späten 1970ern für | |
die Subkultur hierzulande erreicht hat, müsste er viel bekannter sein. | |
Angefangen mit dem Plattenladen „Rip Off“, den er im April 1979 in Hamburg | |
eröffnete und bis 1983 führte. | |
Zum Gespräch sind wir an den alten Tatorten im Karolinenviertel verabredet. | |
Nach Punk sieht dort im Herbst 2024 nichts mehr aus, die meisten Häuser | |
sind auf Hochglanz renoviert, die Gegend ist weitgehend gentrifiziert, | |
schmucke Boutiquen reihen sich an hippe Cafés. In nächster Nähe befinden | |
sich vier Plattenläden, scheinbar funktioniert ihr Nebeneinander. | |
## Feldstraße/Glashüttenstraße | |
An der Ecke von der Feldstraße zur Glashüttenstraße eröffnete Maeck im | |
April 1979 seinen eigenen Laden ([2][den es unter dem Namen Ruff Trade noch | |
an gleicher Stelle gibt]). Damals existierte weder ein Treffpunkt für die | |
lokale Punkszene noch ein Laden, der ihre unabhängig produzierten Alben und | |
Singles angeboten hätte. Mindestens so wichtig wie Tonträger war das | |
Geschäft mit Badges, Ansteckern, die Maeck zunächst aus England importiert | |
und dann selbst herstellt. | |
Zufall war ein Faktor. [3][Den Konzertveranstalter Alfred Hilsberg lernt er | |
1977 kennen], während er seinen Unterhalt als Taxifahrer verdient. Hilsberg | |
unterhält sich mit einem weiteren Passagier über Punk, Maeck schaltet sich | |
ins Gespräch ein, Beginn einer langen Freundschaft. Während Maeck ins | |
Hinterzimmer von „Rip Off“ zieht, gründet Hilsberg zwei Häuser weiter in | |
seinem Zimmer in einem Hinterhaus an der Glashüttenstraße ein eigenes | |
Label. Gearbeitet wird meist vom Bett aus, erinnert Maeck. | |
Das Karoviertel war damals Zentrum der Hamburger Subkultur, um die Ecke in | |
der Markstraße ist die Buchhandlung „Welt“ von Hilka Nordhausen und die | |
Kneipe „Markstube“. An die Buchhandlung erinnert inzwischen an ehemaliger | |
Stätte eine Plakette. | |
## Musik im Drehbuch mitdenken | |
Den 1954 geborenen Maeck nimmt man heute am ehesten als Produzent der Filme | |
von Fatih Akin wahr. Um die Jahrtausendwende hatte Maeck Akin, der genervt | |
war von den Publishing-Consultants der Major Labels, in Musikfragen | |
beraten. Sie gründeten eine Produktionsfirma. Maeck lobt seinen | |
Geschäftspartner, dieser würde „bereits im Drehbuch die Rolle von Musik in | |
seinen Filmen mitdenken“. Das sei zu Punkzeiten anders gewesen. | |
Damals mussten erst mal die Produktionsmittel angeeignet werden. Kleine | |
Labels gegründet, Platten selbst herausgebracht werden. An dieser Umwälzung | |
in Westdeutschland war Maeck von Anfang beteiligt. Er weitet „Rip Off“ vom | |
Plattenladen zum Tonträgervertrieb aus, geht damit allerdings pleite, als | |
Major Labels die Neue Deutsche Welle mit Schlager zu Tode reiten. Mehr | |
Glück hat Maeck bei der Gründung des Musikverlags Freibank, mit dem er etwa | |
[4][Abwärts] und [5][den Einstürzenden Neubauten] die Rechte an ihrer Musik | |
sichern hilft. | |
Von Anfang an hatten es ihm auch die Bilder angetan. Erste | |
Super-8-Filmrollen wurden noch im Fotoladen geklaut. 1979 schuf er dann | |
selbst Filme. Zuerst Flickerfilme, etwa „Denn sie wissen nicht, was sie tun | |
sollen“: eine zehnminütige „Westside Story“ im Hamburger Subkulturmilieu, | |
die Hauereien zwischen Punks und Teds in einer Art Choreografie festhält. | |
## In Deutschland kein Kultfilm | |
Dann zusammen mit Trini Trimpop und Muscha (Jürgen Muschalek) den Spielfilm | |
„Decoder“ (1982), für den Maeck das Drehbuch geschrieben, den er produziert | |
hat. Er gründet die Produktionsfirma „Fettfilm“. Zumindest im Ausland ist | |
„Decoder“ zum Kult avanciert. In Italien hat sich eine unorthodoxe linke | |
Zeitschrift nach dem Film benannt, aus diesem Umfeld ging in den Achtziger | |
die Hackerszene hervor. | |
In Japan, USA und England kamen jeweils Videoversionen, später DVDs des | |
Films auf den Markt. Der Soundtrack, komponiert von Dave Ball (Soft Cell), | |
FM Einheit (Abwärts/Neubauten) und Genesis P-Orridge (Throbbing Gristle), | |
ist so gut, dass er auch ohne Film als Industrial-Funk-Synthpop-Meisterwerk | |
funktioniert. In Deutschland bleibt „Decoder“ bestenfalls Geheimtipp. | |
Dabei hat der Film eine prophetische, medienkritische Botschaft. Im Zentrum | |
steht ein Konzern, der die Kunden einer Fastfood-Kette mit Muzak einlullt, | |
wogegen ein Musiker (FM Einheit) aufbegehrt, der die Muzak mit Krach und | |
Feedbackschleifen aus dem Walkman subvertiert. An seiner Seite ist die | |
Sexarbeiterin Christiane (Christiane F), damals Sündenbock der | |
Springerpresse. In Klaus Maecks kreativem Umfeld fand sie Wege aus ihrer | |
Drogensucht. | |
## Elektronische Revolution | |
Auch der Schriftsteller William S. Burroughs taucht in „Decoder“ in einem | |
Cameo auf und nimmt einen Kassettenrekorder auseinander. [6][Wie in seinem | |
Essay „Elektronische Revolution“] angeleitet, werden in „Decoder“ Gerä… | |
gegen die Gebrauchsanweisung benutzt und stiften Aufruhr. In den | |
postorwellianischen Zeiten von Elon Musk und Google wirkt „Decoder“ null | |
Komma null naiv, wie er von der bornierten deutschen Filmkritik in den | |
1980ern heruntergeputzt wurde. „Information ist wie eine Bank. Unser Job | |
ist es, die Bank auszurauben“, bekundet Genesis P-Orridge, der in „Decoder�… | |
als Sektenführer auftritt. | |
Schon zu Schülerzeiten war Maeck an angloamerikanischer | |
Underground-Literatur interessiert, begeisterte sich für die Werke von | |
William S. Burroughs. Mitte der 1970er brachte er die Zeitschrift „Cooly | |
Lully“ heraus, arbeitete im linken Hamburger Buchladen „Schwarzmarkt“. Da | |
ist er längst von zu Hause weg. Als Fünfjähriger erlebt Maeck, wie sein | |
jüngerer Bruder Max von einem Lkw überrollt wird. | |
Die Mutter kommt über den Tod nie hinweg. Seinen Vater, in der NS-Zeit bei | |
der Waffen-SS, erlebt Klaus Maeck nur als prügelndes Ekel, das die Mutter | |
misshandelt. Das Text-Ich sucht sich bald Ersatzväter in Literatur und | |
Musik (Captain Beefheart). Familiäres Trauma wird Maecks Leben begleiten, | |
auch wenn er schon in der Pubertät gegen die Enge des Alltags rebelliert, | |
die Schule vorzeitig abbricht und auszieht. | |
## Dias de los Muertos | |
In „Volle Pulle ins Verderben“ findet Maeck Trost auf Reisen. Mexiko, Peru, | |
China, reportageartig taucht er ein in fremde Welten und blendet ab, bevor | |
es zu ethnografisch wird. Nach Mexiko kehrt er regelmäßig zurück, um der | |
mehrtägigen traditionellen Totenfeier „Dias de los muertos“ beizuwohnen. | |
Die elf Kapitel im Buch mischen Autofiktion mit Interviewausschnitten und | |
Drehbuchskizzen. Zwischen jedem Kapitel ist eine Collage gesetzt. Zum | |
Finale in einem lakonisches Cut-up-Gedicht mit unterschiedlichen | |
Schrifttypen, blitzt die Medienguerilla kurz auf: „Virusarten im | |
Quicktime-Garten der Ewigkeit“, Ende offen, trotzdem alles gut. Die | |
Begebenheiten mögen haarsträubend sein, Klaus Maeck hat sie aufgeschrieben, | |
das Anverwandeln hilft ihm beim Sortieren des Erlebten. | |
21 Nov 2024 | |
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## AUTOREN | |
Julian Weber | |
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