Introduction
Introduction Statistics Contact Development Disclaimer Help
# taz.de -- 3-D-Kunst in Gelsenkirchen: Sympathie für E-Roller
> Der Mensch verlässt die Erde: Die Israelin Alona Rodeh kreiert im
> Kunstmuseum Gelsenkirchen einen Parcours durch 3D-animierte Stillleben.
Bild: Fliegende Drohnen, aus der Perspektive eines PKW-Fonds: „Core Dump“ v…
Eine schmutzige Gasse im Halbdunkel einer späten Nacht, illuminiert von
künstlichen Leuchtmitteln der Stadtbetriebe; ein elektrischer Straßenpoller
dient den noch glimmenden Tabak- und Zigarettenresten als vorerst letzte
Ruhestätte, im Hintergrund parkt ein Reinigungsfahrzeug rückwärts ein.
Mit dem Szenario holt die israelische Künstlerin Alona Rodeh
Besucher*innen ihrer Ausstellung „Interzone“ im Gelsenkirchener
Kunstmuseum bereits im Foyer des [1][postmodernen Achtzigerjahrebaus] ab.
Ein tristes und zugleich geschäftiges urbanes Stillleben auf zwei hochkant
gestellten Bildschirmen in der Größe mittelformatiger Malereien.
Still steht hier natürlich nichts: Rodeh, die 1979 im Moschaw Ben Ami
geboren wurde und heute in Berlin lebt, arbeitet seit einigen Jahren mit
zeitbasierten Medien, oft sind es hochaufgelöste 3D-Animationen.
Wie das Video „Bollards as Ashtrays“, in dem der elektrische Poller dauernd
und regelmäßig auf und ab fährt, samt seiner schmauchenden Ladung. Das
Reinigungsfahrzeug schiebt sich ins Bild und vermutlich springen gleich
Putzkräfte raus, um den Müll der (Abend-)Gesellschaft zu verräumen.
## Entvölkerte Welten
Sicher ist das nicht, da Rodehs digital repräsentierte Welten entvölkert
sind – stets sieht man nur Überreste dessen, was Menschen bauen, nutzen,
konsumieren: In den acht Werken der Schau, die vor allem auf Displays und
[2][als spielbares Videogame] zu sehen sind, tauchen Straßen auf, Technik
und Dreck sowie die Bürde der nicht abklingenden Akkumulation von Geld und
Waren. Wo Menschen fehlen, treten bei Rodeh Maschinen an ihre Stelle.
Offenbar hat die Künstlerin Sympathien für die sonst eher unbeliebten
E-Roller. Diese sind gleich zweimal die Protagonisten. In „Runway Freefall“
tanzt ein Rollerduo ein Duett in der kalten Glattheit eines HDR-Filters zum
Hawaiigitarren-Swing, was lose an die Filme von US-Underground-Regisseur
Jack Smith erinnert.
So gleiten die Roller auf den Zufahrtsstraßen eines Industriegebäudes wie
ein Eislaufpaar durch die Kür – bis Hunderte Roller plötzlich vom Himmel
fallen und alles demolieren. Man möchte fast meinen, dass es im
Kapitalismus keinen Platz für ein Happy End gibt, nicht einmal, wenn der
Mensch darin schon ausgeschaltet ist.
In „The Juicer“ hingegen dreht sich alles um die namensgebenden
Transporter, die nachts den E-Rollern die Akkus aufladen, damit diese
tagsüber im Weg stehen können. Hier stimuliert ein pumpender Elektrobeat
die Roller. Dass Rodehs Kunst nicht nur aus solchen, als kurze Clips
wahrnehmbaren Videos besteht, beweist sie in dieser ersten großflächigen
Einzelausstellung in Deutschland.
Den architektonischen Besonderheiten des Gelsenkirchener Museumsbaus
begegnet sie mit einer gewissen Gelassenheit: Architekt Albrecht Egon
Wittig plante den Ausstellungsbereich in den frühen 1980ern mit vielen
Ebenen und Plateaus, die wiederum durch Fenster, Treppen oder Balkone
miteinander verbunden sind.
Für die Präsentation von Videoarbeiten hätte diese Durchlässigkeit und
Lichtsituation durchaus zum Problem werden können. Doch Rodeh, die auch als
Bühnenbildnerin für das Theater gearbeitet hat und ein Gefühl für die
Inszenierung von Räumen mitbringt, kontert feinsinnig mit kürbisfarbenen
Folien, die den Räumen jegliche Natürlichkeit nehmen – was das bizarre
Flair und den hoch artifiziellen Anklang ihrer Arbeiten unterstreicht.
## Burroughs Interzone
Viele Bilder haben Wiedererkennungswert, werden dann aber ins Absurde
gebrochen und hinterlassen Befremden. Womit wir zum Titel der Schau kommen:
Man kann die „Interzone“ nicht denken, ohne auch [3][William S. Burroughs]
Roman „Naked Lunch“ zu erwähnen. Das Buch schlingert von einer Vision zum
nächsten Drogentrip und wieder zurück. [4][In dieser „Zwischenzone“
zwischen real Erlebtem und Herbeifantasiertem können auch die Maschinen ein
Eigenleben entwickeln.]
Die maschinelle Welt zieht weiter, selbst wenn ihre menschlichen
Protagonisten betäubt und regungslos bleiben. Wenn aber bei Burroughs die
Menschen noch in den „Interzonen“ der modernen Welt gefangen sind, dann
sind es bei Alona Rodeh eben auch die Maschinen und Produkte. Es ist klar:
Wir alle sind Gefangene der gleichen Zustände – egal ob ein Motor oder doch
das Herz das Wesen antreibt.
29 Nov 2024
## LINKS
[1] /Ausstellung-in-der-Bundeskunsthalle-Bonn/!5962104
[2] /Mutterschaft-in-Videospielen/!6039030
[3] /Daniel-Craig-in-Luca-Guadagninos-Queer/!6031308
[4] /Neues-Buch-von-Filmemacher-Klaus-Maeck/!6050774
## AUTOREN
Lars Fleischmann
## TAGS
Installation
Bildende Kunst
Ausstellung
Kunstmuseum Wolfsburg
Punk
Braunschweig
US-Literatur
## ARTIKEL ZUM THEMA
Wolfsburg zeigt Gary Hill: Der Video-Sezierer
Gary Hill hat das Video radikal verändert, Gesprochenes zerlegt und Farben
manipuliert. Das Kunstmuseum Wolfsburg widmet ihm eine Retrospektive.
Neues Buch von Filmemacher Klaus Maeck: Das Virus im Quicktime-Garten
Das Buch „Volle Pulle ins Verderben“ des Hamburger Produzenten Klaus Maeck
beleuchtet die Punk-Frühzeit. Es zeugt von einem Leben für den
Undergroundfilm.
Entwürfe für Braunschweigs Lichtparcours: Dürfen wir das?
Im Sommer wird Braunschweig wieder zu einem Schauplatz für aufwendige
Lichtkunst. Erstmals geht es inhaltlich auch um Nachhaltigkeit und
Umweltschutz.
Literarischer Übersetzer Carl Weissner: Das Bedürfnis, oben mitzuspielen
Er war der große Übersetzer und Vermittler des US-Undergrounds: Carl
Weissner. Nun ist eine Sammlung journalistischer Texte von ihm erschienen.
You are viewing proxied material from taz.de. The copyright of proxied material belongs to its original authors. Any comments or complaints in relation to proxied material should be directed to the original authors of the content concerned. Please see the disclaimer for more details.