| # taz.de -- Musikproduzent Alfred Hilsberg gestorben: Er war der Punk-Papst | |
| > Alfred Hilsberg war Betreiber des ZickZack-Labels und Schlüsselfigur des | |
| > Underground. Er prägte die Neue Deutsche Welle, die Hamburger Schule und | |
| > vieles mehr. | |
| Bild: Das Album und das Festival „Geräusche für die Achtziger“ sind auch … | |
| Der Musikproduzent Alfred Hilsberg ist am Montag im Alter von 77 Jahren | |
| gestorben. Das erfuhr die taz aus seinem persönlichen Umfeld. Das hier | |
| stehende Portrait erschien ursprünglich im Jahr 2016. Wir publizieren es | |
| aus Anlass seines Todes erneut. Ein Nachruf folgt. | |
| Alfred Hilsberg ist nicht der Friedrich Merz der deutschen Phonoindustrie, | |
| wenngleich der Manager der unabhängigen Hamburger Plattenfirma ZickZack | |
| 1981 mit dem Sänger [1][Blixa Bargeld] den Plattenvertrag über „Kalte | |
| Sterne“ – die erste Doppelsingle von Bargelds [2][Band Einstürzende | |
| Neubauten] – und „Kollaps“ – deren kurz darauf erschienenes Debütalbum… | |
| auf einem Bierdeckel abgeschlossen hat. | |
| Wer ist Hilsberg dann? „Punk-Papst“, „Begründer der NDW“ wird er in �… | |
| ZickZack-Prinzip“, einem Buch des Berliner Autors Christof Meueler, | |
| genannt. „Alfred Hilsberg – Ein Leben für den Underground“ ist sein | |
| Untertitel. Meueler habe, schreibt [3][der Musiker Kristof Schreuf] im | |
| Vorwort, „die erste Biografie eines erstaunlichen Labelbetreibers und | |
| Kulturmachers“ verfasst. | |
| Tatsächlich dürfte Alfred Hilsberg auch über die Grenzen Deutschlands | |
| hinaus bekanntester Musikmanager des Landes sein. Schon weil er es seit | |
| mehr als 35 Jahren schafft, interessante Musik abseits des Mainstreams zu | |
| veröffentlichen. Obwohl diese KünstlerInnen kommerziell oftmals wenig | |
| erfolgreich sind, Hilsberg hat es bisher vermocht, aus jeder Krise | |
| herauszukommen, wozu mehr als ein Leben nötig ist. | |
| Ursprünglich war „Das ZickZack-Prinzip“ als Autobiografie von Hilsberg mit | |
| Meueler als Koautor gedacht, jedoch, es „konnte in dieser Form nicht | |
| vollendet werden“, wie eine Vorbemerkung informiert und zeitliche und | |
| gesundheitliche Gründe geltend macht. Fast zehn Jahre nachdem die Idee für | |
| die Autobiografie geboren wurde, ist sie nun doch in veränderter Fassung | |
| erschienen. Zunächst beginnt das Buch wie eine konventionelle Biografie, | |
| dann werden immer mehr und immer längere Zitate eingespielt, was die | |
| Lektüre erschwert. | |
| ## „Mit dem Jungen stimmt was nicht!“ | |
| Erste Stationen von Hilsbergs Jugend werden pflichtbewusst abgeklappert, | |
| eine Jugend, die sich einfügt in die Lebensläufe anderer westdeutscher | |
| 68er-Linker. Geboren 1947 und aufgewachsen in einem VW-Arbeiter-Haushalt in | |
| Wolfsburg, wird Hilsberg in der Kindheit mit dem Rock-’n’-Roll-Virus | |
| infiziert. Sein Vater schickt ihn daraufhin zum Psychiater mit der | |
| Begründung „Mit dem Jungen stimmt was nicht!“. | |
| In der Schule beginnt Hilsberg für eine Schülerzeitung zu schreiben und | |
| gründet eine Film-AG. Kino sei neben der Musik „einzige Fluchtmöglichkeit“ | |
| gewesen, „ein dunkler Raum, um auf andere Gedanken zu kommen“. Hilsberg | |
| entwickelt früh Organisationstalent: 1967 veranstaltet er sein erstes | |
| Konzert und holt die Münchner [4][Krautrockband Amon Düül II] nach | |
| Wolfsburg. | |
| Beim Trampen zu den Hofer Filmtagen wird er von dem Hamburger Regisseur | |
| Kurt Rosenthal aufgegabelt. Ein Zufall mit Folgen: 1968 zieht Hilsberg nach | |
| Hamburg und wird Geschäftsführer der „Filmmacher Cooperative“. | |
| Der Kampf um die Produktionsmittel wurde mit harten Bandagen geführt. Nicht | |
| nur werden angehende Filmemacher wegen ihrer politischen Haltung von der | |
| Hochschule ausgeschlossen, auch Verleihe und Kinos sind um 1968 umkämpfte | |
| Schauplätze. „Das ZickZack-Prinzip“ schildert diese Agitprop-Phase als | |
| unübersichtliche Zeit, geprägt von Debatten, die teils mit körperlicher | |
| Gewalt ausgetragen werden. Hilsberg, dem Kiefer und Nasenbein gebrochen | |
| werden, zählt zu den Maoisten, spendet aus einem Erbe Geld an den | |
| Kommunistischen Bund. | |
| Er promotet damals Zielgruppenfilme, Werke für Lehrlinge, Rocker oder | |
| Ausreißer. Diese Filme „lebten vom Versprechen, verraten zu können, wo sich | |
| das von allen Kräften links der SPD verzweifelt gesuchte revolutionäre | |
| Subjekt versteckt haben könnte“. Meueler, Redakteur der Jungen Welt, kommt | |
| bei den Schilderungen nicht immer über den Konjunktiv hinaus. Mitunter | |
| verfällt er auch ins Dogmatische, um ein Leben eines Linken nachzuerzählen, | |
| der nie linientreu war. | |
| So lehnte Hilsberg, der zeitweilig mit dem [5][RAF-Mitglied Ulrich Wessel] | |
| in einer WG wohnte, den bewaffneten Kampf strikt ab. Während sich Wessel | |
| beim [6][RAF-Überfall auf die Deutsche Botschaft in Stockholm 1975] in die | |
| Luft sprengte, hatte Hilsberg bald genug. Er wechselte damals von der | |
| Filmarbeit zur Stadtteilarbeit und machte mit an der Großen Freiheit, einer | |
| alternativen Stadtteilzeitung. | |
| Dort publizierte er im Februar 1977 den Text „Rock-’n’-Roll-Rebellion – | |
| Punk-Rock aus England in Hamburg“ – aus Anlass eines Konzerts mit der | |
| Londoner Band The Vibrators. Einige Zeit zuvor war er zusammen mit seinem | |
| Kumpel Moishe Moser nach London gefahren – „wie eine Forschungsexpedition�… | |
| erinnert sich Moser –, hatte The Damned live gesehen und lud auf der | |
| Rückfahrt den Kofferraum mit Punk-Platten voll. | |
| „Die Revolution ist vorbei – wir haben gesiegt“, schrieb Hilsberg 1978 im | |
| Musikmagazin Sounds und propagierte eine neue Welle von jungen Bands, die – | |
| und das war das Besondere – an den Produktionsbedingungen der | |
| Musikindustrie rüttelte. | |
| ## Schlechte Zahlungsmoral | |
| Im Frühjahr 1980 werden die ersten beiden Platten auf Hilsbergs Label | |
| ZickZack, Singles der Hamburger Bands Geisterfahrer und Abwärts, | |
| veröffentlicht. Bis heute sind mehr als 180 Platten auf ZickZack | |
| erschienen, mit Hits wie [7][Andreas Dorau]s [8][„Fred vom Jupiter“] (1982) | |
| oder „Ich-Maschine“ (1992), das Debütalbum von [9][Blumfeld], aber auch | |
| viele Nieten. „Das beste Label der Welt, mit der schlechtesten | |
| Zahlungsmoral der Welt“, urteilt der österreichische [10][Musiker Xao | |
| Seffcheque] retrospektiv über den Arbeitsethos von Hilsberg. | |
| Neben Seffcheque kommen in „Das ZickZack-Prinzip“ mehr als 60 weitere | |
| WegbegleiterInnen vor: ein Flickenteppich an Meinungen und Haltungen. | |
| Gelegentlich entfernt sich Meueler damit etwas weit vom Gegenstand, | |
| verliert sich in Grabenkämpfen der provinziellen DDR-Punkszene oder in den | |
| Kaffeeklatsch ehemaliger ZickZack-PraktikantInnen. | |
| Etwas zu kurz kommen dagegen Hilsbergs Verbindungen ins angloamerikanische | |
| Ausland, das für Indie-Deutschland immer eine große Rolle gespielt hat. | |
| Seltsam auch, wie der Autor aus altlinker Perspektive BRD-Geschichte | |
| umschreibt und etwa die bleiernen Jahre unter Helmut Kohl im Vergleich zur | |
| Kritik an der Regierungszeit von Rot-Grün verniedlicht. Bei „Das | |
| ZickZack-Prinzip“ wäre mehr drin gewesen als ein realsozialistischer | |
| Eiertanz. | |
| 5 Apr 2016 | |
| ## LINKS | |
| [1] /Blixa-Bargeld-spricht/!6000961 | |
| [2] /Einstuerzende-Neubauten-in-Berlin/!5998929 | |
| [3] /Nachruf-auf-Musiker-Kristof-Schreuf/!5894264 | |
| [4] /Amon-Dueuel-Saengerin-ueber-neues-Projekt/!5430042 | |
| [5] /Die-Spur-fuehrt-zu-einem-Toten/!1172170/ | |
| [6] /Schwedische-Miniserie-auf-Arte/!5466685 | |
| [7] /Neues-Album-von-Andreas-Dorau/!6078716 | |
| [8] https://youtu.be/sPEIDW2KKRg?si=HwVaQBIh6gkoGR3N | |
| [9] /Musik-der-Hamburger-Schule/!5510145 | |
| [10] /Xo-Seffcheque-ist-tot/!5934938 | |
| ## AUTOREN | |
| Julian Weber | |
| ## TAGS | |
| Punkrock | |
| Postpunk | |
| 80er Jahre | |
| Hamburger Schule | |
| Neue Deutsche Welle | |
| Popmusik | |
| Punk | |
| Punk | |
| New Wave | |
| Musik | |
| Kunstverein Wolfsburg | |
| Westberlin | |
| Pop | |
| Post-Punk | |
| Achtziger Jahre | |
| Iggy Iop | |
| Punkrock | |
| Popkultur | |
| ## ARTIKEL ZUM THEMA | |
| Neues Album von Andreas Dorau: Unheimlich weich | |
| Popmusiker Andreas Dorau hat ein Konzeptalbum über die österreichische | |
| Hauptstadt gemacht. Bedeutungsschwangerer Titel: „Wien“. Jetzt geht er auf | |
| Konzertreise. | |
| Neues Buch von Filmemacher Klaus Maeck: Das Virus im Quicktime-Garten | |
| Das Buch „Volle Pulle ins Verderben“ des Hamburger Produzenten Klaus Maeck | |
| beleuchtet die Punk-Frühzeit. Es zeugt von einem Leben für den | |
| Undergroundfilm. | |
| Abwärts-Sänger Frank Z. ist tot: Der Westen ist einsam | |
| Mit der Hamburger Postpunkband Abwärts sang Frank Z. früh auf Deutsch und | |
| spielte verzinkten Sound. Nachruf auf einen unbequemen Künstler. | |
| Xão Seffcheque ist tot: „Gestern war es noch hier und dort“ | |
| Er komponierte, schrieb und rockte. Xão Seffcheque, der Renaissancemensch | |
| der Düsseldorfer New Wave, ist gestorben. | |
| Nachruf auf Musiker Kristof Schreuf: Der Text war seine Party | |
| Der Musiker und taz-Autor Kristof Schreuf ist gestorben. Seine Band | |
| Kolossale Jugend schrieb deutsche Popgeschichte. Er wurde nur 59 Jahre alt. | |
| Ausstellung „Punk oder so ähnlich“: Als Wolfsburg wild war | |
| Der Wolfsburger Kunstverein zeigt Punk- und andere Subkultur-Fotos von | |
| Werner Walczak aus den 1980er-Jahren. | |
| Klassikerwerdung einer Avantgardeband: Lauthals die Stille hörbar machen | |
| Eine Band, die mehr vorhatte, als Spießern wohltuende Wutanfälle zu | |
| bereiten. In Berlin diskutierte man über die Einstürzenden Neubauten. | |
| Neues Album von Der Plan: Europa ist ein Punk | |
| Ein flammendes Plädoyer für Europa und die Grundrechte – das ist das neue | |
| Album „Unkapitulierbar“ des legendären Düsseldorfer Trios Der Plan. | |
| Französische Punkmusik: Der Frustration die Ehre erweisen | |
| Mit ihrem neuen Album „Empires of Shame“ sorgt die Pariser Punkband | |
| Frustration für interessante und anarchische Perspektiven. | |
| Popdiskurs im HAU: Begehre deine Jugend | |
| Im Berliner HAU diskutierten Michaela Melián und Diedrich Diederichsen mit | |
| Alfred Hilsberg und Christof Meueler über die achtziger Jahre. | |
| Neues Album von Iggy Pop: Das Tier kriecht aus der Höhle | |
| Wer pisst da genüsslich auf die smarten Laptop-Poser von heute? Iggy Pop | |
| mit seiner Platte „Post Pop Depression“, einer Kooperation mit Josh Homme. | |
| Memoiren von Rockstar Chrissie Hynde: Anführerin der Gitarrengang | |
| Chrissie Hynde, US-Powerpop-Ikone und Augenzeugin des britischen Punk, hat | |
| mit „Reckless“ eine unterhaltsame Autobiografie veröffentlicht. | |
| Kulturkritiker über das Jahr 1966: Die Explosion des Pop | |
| Der Brite Jon Savage beschreibt, wie sich vor fünfzig Jahren ein | |
| subversiver Urknall ereignete. Besonders gelungen sind die Kontraste. |