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# taz.de -- Nachruf auf Musiker Kristof Schreuf: Der Text war seine Party
> Der Musiker und taz-Autor Kristof Schreuf ist gestorben. Seine Band
> Kolossale Jugend schrieb deutsche Popgeschichte. Er wurde nur 59 Jahre
> alt.
Bild: Kristof Schreuf (1963-2022)
Kristof Schreufs Gesang hatte unendlich Spaß am Lärm, war fast ein Sirren,
ein sirenenhaftes Insistieren und durchaus zorniges Zurechtrücken. Er war,
wie alle, angloamerikanisch sozialisiert, und versuchte, das Befreiende von
Rock’n’Roll – allen Lügen und Mythen zum Trotz – für sich zu klären,…
sang er auf Deutsch: „Morgenstunde/Lautlos kreischen“; „Mein, mein/Noch
einmal sagen/Nicht genau und Ende klar“, „[1][Der Text ist meine Party]“.
Er klopfte die Sprache nach Resten von Brauchbarem ab und gab dem Lärm mit
seinem hellen Organ wichtigen und richtig enervierenden Drive. Das musste
so. Als lang-anhaltende Rückkoppelung auf den kommerziellen Erfolg von Punk
und Neuer Deutscher Welle, welcher ab 1982 in Westdeutschland zu
ästhetischer Verheerung und sprachlicher Banalisierung führte. Aus dem
tiefen Schlund von Profimuckertum und Provinzialisierung gelang es Schreuf
und seiner Band Kolossale Jugend mit ihren beiden Alben „Heile Heile
Boches“ und „Leopard II“ (1989 und 1990 veröffentlicht), das Kaputte von
Pop in Deutschland als Trümmer einzusammeln, umzudrehen und wie einen heile
heile Ziegelstein wieder rauszuhauen.
Schreuf sang an gegen Selbstzufriedenheit und eherne Machtverhältnisse.
Sein Vater war ein Konstrukteur des titelgebenden Panzers. Bereits vor,
aber besonders nach der deutschen Wiedervereinigung 1989 belastete die
Vereinnahmung von Rockposen auch für nationalistische Zwecke das
Unbeschwertsein der Kolossalen Jugend und nicht nur der.
Kolossale Jugend stehen auch am Anfang dessen, was dann als Hamburger
Schule zur Bezeichnung einer Künstlergeneration wurde. Um die Band gründete
sich das Indie-Label L’age D’or. Zugleich entstanden weitere unabhängige
Strukturen in der hanseatischen Subkultur, Clubs und Kneipen, Orte, um
Kontakte zu knüpfen.
Das hat rein gar nix mit dem „Genre“ Indierock zu tun. Künstler:Innen
wie Blumfeld, die Sterne, Tocotronic, Die Braut haut ins Auge half das
etwas später in ihrer Logistik und in ihrem Selbstverständnis als
deutsch-singende, unabhängig agierende Rockbands. Nur Kolossale Jugend, die
die unmittelbar wichtige Vorarbeit geleistet hatten, lösten sich auf. Das
war fast ein Running Gag in der Karriere von Kristof Schreuf, der immer
dann abgetaucht war, wenn man seine Songs, seine Wortmeldungen, sein
Querkopfsein am dringendsten gebraucht hätte.
## Sein Roman erschien nie
Es dauerte bis 1997, als Schreuf mit dem Trio Brüllen (und den
Musiker:Innen Luka Rothmann und Martin Buck) sein Meisterwerk
veröffentlichte: [2][„Schatzitude“ hieß das Album], eine irrlichternde,
strohig-krachige Operation am offenen Herzen des Noisepop. Songtexte als
Psychogramme und atemberaubende Bulletins der eigenen Kompliziertheit,
launige Losungen, um den Löwen innendrin zu bändigen.
In den frühen Nullerjahren sollte ein Roman erscheinen, „Anfänger beim
Rocken“, er kam nie. Stattdessen veröffentlichte Kristof, der seit den
1990ern und [3][bis zuletzt für die taz als Autor] schrieb, [4][2010 ein
Soloalbum, „Bourgeois with Guitar“]. Wie eine Ziehharmonika stülpte er
darin in freien eigenen Fassungen berühmte Songs der Pop- und
Rockgeschichte zusammen zum semi-eigenen Dekonstruktions-Blasebalg.
Im August stand Schreuf zuletzt in Hamburg bei einem Festival auf der
Bühne, spielte den Discoklassiker „Stayin' Alive“ der Bee Gees. Am Mittwoch
ist Kristof Schreuf völlig überraschend im Alter von 59 in Berlin
gestorben. Er bleibt ein großer, ein eckiger Unvollendeter.
11 Nov 2022
## LINKS
[1] https://youtu.be/CyLURUgRHuI
[2] https://www.youtube.com/watch?v=sfFzjFiZ4EU&list=OLAK5uy_nO80ax8i-X1RyZ…
[3] /Neues-Album-von-Jens-Friebe/!5884537
[4] /Soloalbum-von-Kristof-Schreuf/!5144375
## AUTOREN
Julian Weber
## TAGS
Musik
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Rezension
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