| # taz.de -- Fidel Bastro Records: Eigensinn in extremo | |
| > Das Hamburger DiY-Label Fidel Bastro ist eine Bastion für musikalische | |
| > Randgruppen von Noise bis Industrial. Eine Würdigung zur 100. | |
| > Veröffentlichung. | |
| Bild: Boy Division mit Bernd Kroschewski, zweiter von links, live auf der Schan… | |
| Es gibt kein richtiges Leben im Falschen, höchstens ein lautes. | |
| [1][Noiserock war Ende der 1980er, Anfang der 1990er eine Variante des | |
| Soundtracks zum Untergang]: übersteuerte Gitarren, Keksdosen-Schlagzeug, | |
| massiver Grollbass und stark verzerrtes Gekeife, das Psychotisches | |
| suggerierte. Die Untergangsbewegung war hier oft der Strudel in den Abgrund | |
| eines an sich und der Welt irre gewordenen Ichs, das auf dem Weg nach unten | |
| noch möglichst viele anschreien und sich unbedingt mitteilen wollte. | |
| Das US-Label Amphetamine Reptile hatte es vorgemacht: Die Stimmung in | |
| Noiserocksongs war oft heiter, obwohl edgy und doch frei drehend gelöst. | |
| Man ließ es laufen, das Innerste zuerst. Inzwischen ist die Party | |
| weitgehend vorbei, [2][nur die US-Noiserockpioniere Jesus Lizard touren ab | |
| und an noch und die Melvins waren nie weg.] Und doch ist ein | |
| Noiserockrevival bislang ausgeblieben. In Hamburg braucht es auch keins. | |
| Von hier aus ballert eine kleine Zelle immer weiter unbeirrt anstrengende | |
| Musik in die Welt. Das Label Fidel Bastro um den Sänger, Schlagzeuger und | |
| Gitarristen Bernd Kroschewski veröffentlicht jetzt die Katalognummer 100, | |
| ein Album mit Stücken der Hamburger Band Stau. | |
| ## In angemessener Lautstärke | |
| Die Musik von Stau macht so etwas wie einen klanglichen Kern der | |
| Labelgeschichte aus. Instrumente und Stimme geifern und röcheln gewaltig, | |
| und wenn man diesen Lärm in angemessener Lautstärke hört, fühlt man sich, | |
| als sei ein Planierraupenfahrer mit seiner Baumaschine manisch grölend | |
| mehrmals über einen rübergefahren. | |
| Stau eignen sich perfekt als Einstieg in die Labelveröffentlichungen. „Das | |
| waren vier extrem charismatische, seltsame Vögel, die auf der Bühne was | |
| gebaut haben, das schwer in Worte zu fassen ist“, erzählt Bernd | |
| Kroschewski. „Jim, ein verrückter Trommler aus Detroit, und Thomas, der | |
| Bassist, haben sich fast jeden Abend zum Proben getroffen und so präzise | |
| reingeprügelt, das klang unfassbar.“ | |
| Darüber legten sich infernalische Gitarrengeräusche und das manische | |
| Gebrabbel des kürzlich verstorbenen Sängers Eckat Lohse. Die Musik von Stau | |
| ist maximal fordernd. „Echt harte Typen auf der Bühne, aber eigentlich | |
| totale Herzchen. Diese ganzen furchtbaren Geschichten in den Texten, das | |
| hat Eckat so erlebt, der hat wirklich einen Schicksalsschlag nach dem | |
| anderen verdaut. Das haute einen wirklich um.“ | |
| ## Popgeschichte zerschreddern | |
| Ein zweiter Einstieg ins Fidel-Bastro-Universum sind Live-Videos von | |
| Kroschewskis Band Boy Division, die seit gut 30 Jahren Klassiker der Rock- | |
| und Popgeschichte zerschreddern. Und das in verschiedenen Kontexten: | |
| Konzerte, Theaterperformances, Straßenmusik. Alljährlich spielt die Band | |
| auf dem Schiff MS-Hedi, Ausschnitte des Konzertdebüts sind auf Youtube zu | |
| finden. | |
| Eine Coverversion von Tears for Fears’ „Mad World“, infernalisch und | |
| bedeppert schön. „Verzerrer an, dreimal so schnell, Soli und Scheiß | |
| weglassen, fertig.“ Fidel-Bastro-Humor ist derbe, eigen und kündigte sich | |
| bereits im Fanzine Heft an, eines der lustigsten Fanzines der | |
| Neunzigerjahre. Um das Verhältnis dieses Konglomerats zur Hamburger Schule | |
| zu beschreiben, kursiert für den Kreis ums Label der stolze Begriff | |
| „Hamburger Sonderschule“. Die Wortherkunft lässt sich nicht mehr | |
| verifizieren, aber es ist liebevoll gemeint. | |
| Auch wenn Musik und Haltung näher am Punk und Hardcore zu verorten sind und | |
| auf Fidel-Bastro-Abenden vermutlich mehr gesoffen wird als auf anderen, ist | |
| die Ausstrahlung von alldem nie antiintellektuell. Dazu waren die | |
| Label-Veröffentlichungen auch viel zu experimentierfreudig. | |
| ## Seltsames Nicht-Verhältnis | |
| Das seltsame Nicht-Verhältnis des sendungsbewussten Schlaumeiertums der | |
| Hamburger Schule und der Sonderschule nebenan [3][wurde bei der Debatte um | |
| das Erbe der Musik aus Hamburg noch einmal deutlich]. Fidel Bastro blieb | |
| bei den Kämpfen ums kulturelle Kapital unerwähnt und Kroschewski hat sich | |
| auch nicht daran beteiligt. „Einige haben sich richtig manisch | |
| reingesteigert. Ich saß vorm Rechner und dachte nur, lasst doch mal gut | |
| sein jetzt.“ | |
| Fidel Bastro war nur lustiger und offener als vieles sonst aus Hamburg. | |
| Noiserock bildet den Kern, von da ausgehend hatte sagenhaft viel Platz. | |
| Vertrackter Jazzcore (Ilse Lau), Unheilbarer Lärm (Happy Grindcore), | |
| Zeitlupen-Country-Tapeloops (Halb), abstrakter Postrock ([4][die erste | |
| Label-Veröffentlichung war das Gastr-del-Sol-Debüt] „A Serpentine | |
| Similar“), [5][Lo-Fi (das aktuelle Soloalbum des Mutter-Sängers Max | |
| Müller)], Hamburger-Schule-Musik („These Rooms Are Made For Waiting“ vom | |
| Trio Sport). | |
| Was diese Werke über alle Dissonanzen und Eskapaden hinweg verbindet, ist | |
| ihr ausgeprägter Eigensinn, der damit auch den Wesenskern von Fidel Bastro | |
| bildet. Hier stimmt es wirklich mal mit DiY, die einem aber nicht als | |
| entbehrungsreiche Heldenerzählung entgegenkommt, sondern als heitere | |
| Scheißegal-Haltung. | |
| Ein Album der geschätzten Melvins wollte Kroschweski nicht veröffentlichen, | |
| weil das halt eine schlechte Platte war (die kam dann auf Amphetamine | |
| Reptile raus). Was sich an zarten Chancen auf Erfolg anbot, wurde intuitiv | |
| treffsicher torpediert. Geld verdient mit dem Label niemand. „Ich sag das | |
| den Bands immer: Wenn ihr viel verkaufen wollt, geht woanders hin.“ | |
| [6][Künstlerische Freiheit entsteht hier aus dem Wissen, dass man auf den | |
| schönen Quatsch finanziell nicht angewiesen ist.] Voraussetzung ist ein | |
| Brotjob. Die entfremdete Arbeit erlaubt mehr Autonomie in der Kunst. | |
| Führt man sich vor Augen, in welchen kulturindustriellen Zusammenhängen | |
| Menschen gemeinsam konsequent ihren eigenen Interessen nachgehen können, | |
| bleibt nicht viel. Irgendwann muss ein Förderantrag gestellt werden, | |
| Markenbildung betrieben oder was der Markt an Unheil eben sonst noch | |
| verlangt. Im Programm von Fidel Bastro kann man etwas finden, das die | |
| schönsten Aspekte von Punk bis heute weiterführt und ins musikalisch Offene | |
| schubst. | |
| 15 May 2025 | |
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| ## AUTOREN | |
| Benjamin Moldenhauer | |
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