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# taz.de -- Soloalbum von Kristof Schreuf: Antifa meets Popkanon
> Kristof Schreuf hat bei "Kolossale Jugend" und "Brüllen" stilbildende
> Songs mit deutschen Texten komponiert. Nun nimmt er Werke des Popkanons
> nach allen Regeln der Kunst auseinander.
Bild: "In den letzten 13 Jahren habe ich bewiesen, dass ich einiges nicht kann"…
Manchmal hätte man den Kerl schon durchs geschlossene Fenster schmeißen
mögen. Denn der Gitarrist und Sänger Kristof Schreuf hat die Angewohnheit,
jeweils von der Bildfläche zu verschwinden, wenn seine Songs am
dringendsten gebraucht werden. Etwa in den Nullerjahren, als
befindlichkeitsfixierte Emobands wie Tomte oder Kettcar das Jammern zum
Kammerton der deutschsprachigen Rockmusik erhoben.
Damals hieß es, Schreuf habe der Musik komplett den Rücken gekehrt. Man
hörte von seinem angeblich bei Suhrkamp erscheinendem Romandebüt "Anfänger
beim Rocken" - bisher hat das Buch niemand je zu Gesicht bekommen.
Sagenumwoben auch Schreufs jahrelange Aufbauhilfe für den befreundeten
Singer-Songwriter Ingo Koglin - davon existieren gerüchteweise noch nicht
mal Demoaufnahmen. Solche unvollendeten Projekte ziehen sich durch die
gesamte Karriere des inzwischen 47-jährigen Hamburger Musikers.
"In den letzten 13 Jahren habe ich bewiesen, dass ich einiges nicht kann",
erklärt Kristof Schreuf. Um jetzt mit einem Soloalbum namens "Bourgeois
with Guitar" endlich die Funkstille zu beenden. Dass sie so lange gedauert
hat, ist keinem ausgeklügeltem Marketingrezept geschuldet. Wäre auch zu
schön, hätte Kristof Schreuf versucht, sich durch die lange Absenz
künstliche Unberechenbarkeit zu erhalten. Dafür ist er wiederum nicht
abgefeimt genug. Eher schon lebt er getreu der alten Antifa-Maxime
"Remembering is fighting". Dieser Kampf klingt auf "Bourgeois with Guitar"
nie einsam, auch wenn Schreuf nur Gitarre und Gesang einsetzt, manchmal
sogar nur einzelne Strophen a cappella singt. Er pocht eh darauf,
"Bourgeois with Guitar" sei kein Soloalbum. Es ist entstanden als
Gemeinschaftswerk mit dem Hamburger Mitschüler Tobias Levin an den Reglern
am Mischpult und befreundeten Musikern. Dass in diesem Dunstkreis Wert auf
delikate Arrangements gelegt wird und der Raumklang von Levins Electric
Avenue Studio Mal um Mal neu vermessen wird, versteht sich ja von selbst.
"Bourgeois with Guitar" basiert zum Großteil auf Fremdkompositionen. Texte
und Musik stammen aus dem kollektiven Popgedächtnis: Etwa "Search &
Destroy" (Iggy & the Stooges), "I Feel Love" (Donna Summer), oder "Rockin
in the Free World" (Neil Young). Alles Melodien und Slogans, die
Allgemeingut sind. "Auch wenn ich mich jetzt offensiv auf eine
Vergangenheit beziehe, dann haben wir immer noch 2010", benennt Schreuf das
Dilemma. Deshalb hat er die Eindeutigkeiten der Gesangs- und
Instrumentalspuren gründlich verwischt. Das Ausgangsmaterial ist zwar
mächtig, aber Schreuf verweigert den Originalen falsche Ehrfurcht.
"Bourgeois with Guitar" ist keine Ansammlung geschmackvoller
Coverversionen. Er sehe keinen Sinn darin, so Kristof Schreuf, Songs
originalgetreu zu covern. Schließlich mache er keinen Servicerock. "Die
Aufgabe für mich war, einen persönlichen Umgang mit der Musik zu finden."
Also spielt Schreuf intertextuellen und musikkontextuellen Freejazz, eine
Gleichung mit mehreren Unbekannten. Musik, die bis auf die Knochen gehäutet
ist, noch mal durchpassiert und wieder anverwandelt. Auch die Songtexte
bleiben nicht immer unangetastet. "Meine Musik legt eine Distanz zurück,
aber sie weiß durch die Songtexte, wo sie herkommt", erklärt Schreuf diese
Arbeitsweise. Dem Musiker gelingt damit das Kunststück, auf solipsistischen
Positionen zu beharren, während er Standards des Popkanons
auseinandernimmt. "Weil ich das gut kann", antwortet er mit den Worten von
Nicholas Cage. Die dieser als Waffenhändler Juri Orlow in dem Film "Lord of
War" auf die Frage nach der Berufswahl gibt.
Wie lange die zurückgelegte Wegstrecke tatsächlich ist, zeigt Schreufs
Mash-up des Dancefloor-Peitschenhiebs "Last Night a DJ Saved My Life". Sein
Refrain, basierend auf den Gesangsmelodien von "Miss you" der Rolling
Stones und "Dont Let Me Be Misunderstood" von Santa Esmeralda, mündet in
den New Yorker Punkklassiker "Blank Generation" (Richard Hell). Die
natürliche Feindschaft von Disco und Punk oder die monströse Aura der
Stones, all das interessiert Schreuf nicht. Im Gegenteil, er reißt die
Textpassagen aus dem Zusammenhang, verbindet sie durch die überirdische
Klangschönheit seines Arrangements neu. Bis ein anderer Gedankenstrom
entsteht, bis "I belong to the blank Generation and I can take or leave it
each time" in "Im just a soul, whose intententions are good" aufgeht und
neuer Sinn entsteht, bei dem ein Vibrato-Effekt aus einem Verstärker
klarmacht, dass der DJ letzte Nacht wirklich jemand das Leben gerettet hat.
"Bourgeois with Guitar" musste dem Vernehmen nach zweimal hintereinander
aufgenommen werden, bis die verschiedenen Kraftfelder aufeinander
abstrahlten. Früher zogen schon mal zwei, drei Jahre ins Land, ohne dass
Schreuf entscheidende Schritte vorangekommen wäre, nun hat er eine Arbeit
abgeschlossen.
Bekannt wird Kristof Schreuf als Sänger der Band Kolossale Jugend. Ihre
beiden Alben "Heile, heile Boches" und "Leopard II" markieren 1988 und 1989
nicht nur den Beginn der sogenannten Hamburger Schule. Sie bedeuten manchem
mehr als deren gesamte Hinterlassenschaft. Schreufs rausgeschriene Texte
zum enervierenden Spätachtziger Abstrakt n Roll sind der Beweis, dass das
umständliche Pathos des Deutschen treffend als Antigesang nutzbar ist.
Diese Stimme lässt sich von nichts und niemandem vereinnahmen; die Musik
ist schlau und gleichzeitig so Arschtritt, wie es vielleicht sonst noch dem
großen Postpunk-Deklamierer Mark E. Smith gelingt. Aber bevor es richtig
ernst wird, löst sich die Kolossale Jugend Anfang der 90er standesgemäß
auf. Nicht viel anders ergeht es Schreufs Nachfolgeprojekt Brüllen; der
einen Single "Laufe Blau" des Trios und ihrem bis jetzt einzigen Album, dem
fantastischen "Schatzitude" (1997), folgt trotz überschwänglicher Kritiken
und hartnäckiger Fanbekundungen nichts Neues nach. Der Bandname Brüllen ist
Programm. Das Übergeschnappte, lustvoll am Rande des Nervenzusammenbruchs
tänzelnde Schreien von Kristof Schreuf bricht sich mit dem metallischen
Funk und schrottigen Rocksounds.
"Wenn ich rumschreie, mache ich etwas Ähnliches wie Henry Rollins, der
seine Muskeln spielen lässt. Allein, dass Gesang laut ist und Muskeln dick,
tut schon so, als wäre es eine Aussage, die für etwas steht." Kristof
Schreuf hat inzwischen eine ganz andere stimmliche Balance gefunden, weg
vom Sturm und Drang der Anfangstage. Er kann nun merkwürdig gefasst
klingen, fast schon in sich ruhend. "Bourgeois with Guitar" ist schmerzhaft
transparent. Wie Schreuf den Text von The Whos "My Generation" mit der
Gesangsmelodie von Simon & Garfunkels "Scarborough Fair" fusioniert und aus
der provokativen Sprachlosigkeit von Pete Townshend unbehagliche Trauer
entsteht, ist schlicht und einfach anrührend.
Schreuf singt die Texte nicht nur so, als sagten sie ihm etwas. Sie haben
etwas mit ihm zu tun, mit seiner Musiksozialisation, mit dem Gefühl, wie
alte Songs mit einem wachsen, über die Jahre andere Bedeutungen annehmen.
"Die Unterscheidung zwischen authentisch und fake bringts nicht. Im Pop
fällt alles zusammen." "Bourgeois with Guitar", der Titelsong stammt aus
der Feder von Kristof Schreuf. Sein Text beginnt mit der Behauptung "Ich
komme aus der Wonne". Am Ende steht die Befürchtung, die Leute halten ihn
für übergewichtig. Dazwischen liegen wenige schlanke Gitarrenakkorde, die
die Worte von Kristof Schreuf sanft wegtragen. Die Gitarre immer im
Anschlag.
15 Apr 2010
## AUTOREN
Julian Weber
Julian Weber
## TAGS
Musik
Hamburg
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