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# taz.de -- Neues Album von Jens Friebe: Haltung bewahren
> Zwischen Dandy und Handwerker: Der Berliner Popstar Jens Friebe
> veröffentlicht mit „Wir sind schön“ ein nüchternes und zugleich elegan…
> Album.
Bild: Multichecker Jens Friebe trägt Make-up und Balalaika-Bluse
Auf den Berliner Musiker und Schriftsteller Jens Friebe lässt sich mühelos
neidisch werden. Denn dem 46-Jährigen gelingt nicht nur alles, sondern das
auch noch mit Leichtigkeit. Ob Friebe Gitarre spielt und singt, Artikel für
Feuilletons verfasst, ein Buch veröffentlicht oder in Unterhaltungen
Bemerkungen fallen lässt – nichts davon scheint ihm Mühe zu bereiten.
Für diverse Zeitungen hat [1][er] neue Literatur und aktuelle Musik
rezensiert, als würde F. Scott Fitzgerald seine Freizeit gestalten. Und als
ein großer Verlag Friebe ein Angebot unterbreitete, arrangierte der
Angefragte für einen Blog verfasste Essays und Kurzgeschichten zum
unterhaltsamen, gedankenblitzenden Band [2][„52 Wochenenden“.]
Am nachdrücklichsten jedoch hat sich Friebe seit den Nullerjahren mit
geschmackvollen, nüchtern arrangierten Popsongs, diesen handlichen
Verbindungen aus Gedanken und Gesang, zu Wort gemeldet.
## Weniger Macho kommt besser
Beim Komponieren lässt sich Friebe seit jeher von der Einsicht leiten, dass
ein Mann nicht umso besser aussieht, je mehr Maskulinität – also eine stolz
zur Schau gestellte Wortkargheit, die sich mit Monologen aus Angst vor
einem Gespräch abwechselt – er raushängen lässt. Um diese Einsicht
nachhaltig zu entfalten, benötigt Friebe eine Form, an der gearbeitet
werden muss. Der Künstler findet sie, indem er sich für Aufnahmen mit dem
apart nervösen Musikerkollegen Chris Imler im Studio des Produzenten
Berend Intelmann trifft.
Die dort entstehende Musik dokumentiert in Albumform eine Mischung aus
Dandy-Attitüde und Handwerkerehre. Friebes Lieder tun dabei verschmitzt
so, als wollten sie erst mal gar nicht viel. Doch schnell lässt sich
erkennen, wie gekonnt Friebe sie mit Bonmots und Charme ausgestattet hat.
Das gilt auch für das Stück „Microdoser“, welches das neue Werk „Wir si…
schön“ eröffnet. Zu saumselig hingetupften Keyboard-Tönen, welche der
Auftrieb von einem Ostinatobass und einem Handclap zur Wasseroberfläche
drücken, singt Friebe so pointierte Konsumkritik, als hätte er sich von den
frühen Fehlfarben anregen lassen: „Nimm, bis du bist, wie du willst.“
## Keine Profilneurose
Die „Microdoser“ kann man sich danach als Menschen vorstellen, die sich
schon lange vor dem Eintritt ins Berufsleben eine profilkompatible innere
Haltung zulegen. Sie erlaubt ihnen, sich bestimmte Aussagen wie diese zu
sparen: Wir sind froh, wenn wir gut bezahlte Jobs kriegen. Vielmehr können
die Microdoser umgekehrt verkünden: Die gut bezahlten Jobs können froh
sein, dass wir sie machen. Wie dieses so intakte Selbstbewusstsein
entsteht, besingt Friebe bezeichnend: „Sie stellen sich ein.“
Das folgende Titelstück „Wir sind schön“ baut auf vollmundigen
Klavierakkorden auf. Friebe klingt darauf wie ein unwiderstehlich wütender
[3][Rio Reiser]. Bloß, dass der Traum von der Gesellschaftsveränderung bei
Friebe im Gegensatz zu Reiser nicht aus ist, sondern gleich anfängt, indem
er Funkhäuser besetzt, um sich von dort selbst in den Äther zu schicken:
„Und wir nehmen die rostigen Säbel von den Wänden. Und wir rennen in die
Sender, aus den Kellern in die Höhen“.
Der mit viel Hall und den Chorstimmen von Elektrik-Diva Malonda und Pola
Lia Schulten ergänzte Refrain „Wir sind schön“ ist großes Kino. Es hört
sich tatsächlich so an, als hätten Ton Steine Scherben Tipps von Phil
Spector bekommen.
Auf die Revolution folgt “Am Ende aller Feiern“ allerdings eine private
Trennung. Dieses Ende und die Beziehung davor wird mit einem Schwung
skizziert, als wäre Friebe die Feder von Mascha Kaléko geführt worden: „Wir
haben uns alles erzählt. Nur zuletzt wollt' ich nicht alles wissen. Ich
glaube, das hast du gemerkt und mich zum Abschied gebissen“.
Anschließend kandidelt Friebe herrlich über, indem er Tonleitern rauf und
runter singt und sich das Klavier nun wie ein hysterisch lachendes Cembalo
aufspielt. Klangfarbenfrohe Dekadenz liegt da in der Luft. Stolz und
Verletztheit versuchen mit ihrem Gewicht ihre jeweilige Waagschale auf den
Boden zu drücken.
Auf „Wir sind schön“ ist musikalisch und lyrisch eine Menge los. Das hat zu
einem Text über einen Berliner Sänger geführt, in dem sich berühmte Namen
womöglich zu sorglos verteilen. Aber das liegt an Jens Friebe. Denn „Wir
sind schön“ ist sein bis dato bestes Album.
29 Sep 2022
## LINKS
[1] /Popsaenger-Jens-Friebe/!5131580
[2] https://blogs.taz.de/_album_des_monats_oktober_platz_2_jens_friebe_-_abaend…
[3] /Jubilaeumsfeiern-fuer-Ton-Steine-Scherben/!5772003
## AUTOREN
Kristof Schreuf
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