Introduction
Introduction Statistics Contact Development Disclaimer Help
# taz.de -- Schauspielerin Jane Birkin über Komplexe: „Ich zeigte mich gern …
> Früher überspielte sie mit auffälliger Kleidung ihre Komplexe, sagt Jane
> Birkin. Aber auch heute litten viele Frauen unter Selbstzweifeln.
Bild: „Fürs Fernsehen war ich die wunderschöne Puppe, die Serge Gainsbourgs…
taz: Jane Birkin, in Frankreich bleiben wegen der Pandemie nun auch die
Geschäfte geschlossen, genau wie die Kinos und Konzerthallen. Wie gehen Sie
mit dieser Situation um?
Jane Birkin: Ich habe Glück, weil ich gerade Promotion für mein Album „Oh!
Pardon tu dormais …“ mache und von morgens bis abends zoome. Jeden Tag
spreche ich mit Radio oder Fernsehjournalist:innen. Insofern bin ich
in einer komfortableren Situation als diejenigen, die ihre Filmprojekte
zurückstellen müssen. Der erste Lockdown war allerdings eine große
Herausforderung für mich. Ich war fast nur daheim und empfing keinen
Besuch. Einzig für einen Spaziergang mit meiner Bulldogge Dolly habe ich
das Haus verlassen.
Mit Serge Gainsbourg lebten Sie anders, Sie gingen dauernd aus. Die
Sängerin Lio hat Ihren Expartner kürzlich als „Weinstein der Songs“
bezeichnet.
Diese Frau hat zwei Dinge verwechselt: Serges Image und die Realität.
Sicher neigte er dazu, bei seinen Fernsehauftritten zu provozieren. Er
schrieb skandalöse Songs wie „Je t’aime … moi non plus“ und machte mit…
gewagte Fotos. Doch er hat weder mich noch andere zu irgendetwas gezwungen.
Ich ließ mich gerne nackt fotografieren.
Wie stehen Sie zu dem Duett „Lemon Incest“, das Serge Gainsbourg mit Ihrer
Tochter Charlotte aufnahm?
Serge war ganz bestimmt kein Pädophiler. Er hat Charlotte abgöttisch
geliebt und sie mit diesem Lied auf ein Podest gestellt – ohne unzüchtige
Hintergedanken. Ich habe Serge stets als einen tadellosen Mann und Vater
erlebt. Im Alltag entsprach er überhaupt nicht seinem Krawallmacher-Ruf. Er
war eigentlich schüchtern. Den hemmungslosen Typen spielte er bloß in der
Öffentlichkeit, um mehr Aufmerksamkeit zu bekommen.
Haben Sie sich jemals gefragt, wie Ihr Leben wohl verlaufen wäre, wenn Sie
Serge Gainsbourg nie begegnet wären?
Rückblickend war es ein Geschenk, dass mich mein Ehemann John Barry
verlassen hat. Sonst wäre ich gar nicht aus London rausgekommen. Vermutlich
hätte ich mich auf ewig damit begnügt, für John Suppe zu kochen und ihm ein
Bad einzulassen. Denn ich wollte ihm lediglich eine gute Ehefrau sein. Bis
er mit einer engen Freundin von mir nach Los Angeles ging. Allein aufgrund
der Entfernung wusste ich, dass unsere Trennung endgültig war.
Was machten Sie dann?
Ich zog zunächst zurück zu meinen Eltern. Das konnte natürlich keine
Dauerlösung sein, ich musste Geld für mich und meine Tochter Kate
verdienen. Also fuhr ich zu einem Casting nach Frankreich und bekam den
Job. Bei den Dreharbeiten für den Film „Slogan“ lernte ich schließlich
Serge kennen. Er fand mich schön. Das tat mir nach dieser furchtbaren Ehe
mit John gut. Plötzlich war ich wieder glücklich. Aus dieser Erfahrung habe
ich gelernt, dass sich aus einer schlimmen Situation durchaus etwas völlig
Unerwartetes entwickeln kann.
Hätten Sie Ihre Karriere nicht auch in England vorantreiben können?
Nein. Weil meine Mutter in meiner Heimat eine angesehene Schauspielerin
war, hätte ich mich nicht getraut, ihr nachzueifern. Hinzu kommt, dass mein
Vater aus einer bürgerlichen Familie stammte. Von ihr fühlte ich mich
beobachtet, das hemmte mich. Für mich war es ein Befreiungsschlag, nach
Frankreich zu ziehen. Dort konnte ich alles ausprobieren und Spaß haben.
Dennoch sagten Sie oft: „Serge Gainsbourg war das Genie, ich sah einfach
gut aus.“
Für die Fernsehsender war ich diese wunderschöne Puppe, die Serge
Gainsbourgs Songs sang. Es dauerte Jahre, bis ich mich aus dieser Rolle
befreit hatte. Mit fast 40 ließ ich mir die Haare abschneiden, ich
verzichtete auf Make-up und gab mein erstes Konzert im Pariser Bataclan.
Parallel dazu drehte ich mit Jacques Doillon den Film „Kleines Luder“. Er
wollte mich ungeschminkt vor der Kamera sehen. Auch für ihn wollte ich
perfekt sein. Ich brauchte wirklich lange, um mich von der Erwartungen
anderer zu lösen und ganz ich selbst zu sein.
Tun sich junge Frauen heute mit der Selbstverwirklichung leichter?
Selbstzweifel sind immer noch weit verbreitet. Genau wie in den Sechzigern.
Damals hatten wir stark geschminkte Augen und trugen auffällige Kleidung,
um unsere Komplexe zu überspielen.
Aber inzwischen fordern Frauen selbstverständlich Gleichberechtigung ein.
Sicher hat sich einiges getan. In meiner Generation heiratete man mit 17,
18 und kriegte ein Baby. Heute lassen sich viele Frauen mit der
Familienplanung Zeit. Sie werden vielleicht mit 40 schwanger, vorher
kümmern sie sich um ihre Karriere. Das liegt gewiss daran, dass viele
Scheidungskinder sind und sich finanziell nicht von einem Mann abhängig
machen wollen.
Was hat #MeToo für Frauen verändert?
Sie lassen sich nichts mehr gefallen. In meiner Jugend war es normal, dass
ein Mann einer Frau an den Po fasste. Nun wehren sich Frauen dagegen, zum
Sexobjekt degradiert zu werden. Manchmal denke ich allerdings, sie sollten
einiges etwas leichter nehmen. Wenn mir früher in Italien ein Mann auf der
Straße hinterher gepfiffen hat, fand ich das schmeichelhaft.
Trotzdem scheinen Sie sich erst jetzt mit Ihrem neuen Album endgültig von
Serge Gainsbourg emanzipiert zu haben.
Meine Songs sind auf jeden Fall glaubwürdig. Darum war es mir wichtig, in
„Cigarettes“ und „Ces murs épais“ über den Verlust meiner Tochter Kat…
sprechen. [1][Ihr Tod war für mich die größte Tragödie meines Lebens].
Warum basiert Ihr neues Album auf Ihrem 20 Jahre alten Bühnenstück „Oh!
Pardon tu dormais … “?
Der Musiker Etienne Daho sah mehrere Aufführungen und wollte meine Texte
vertonen. Dabei blieb es aber nicht. Es kamen auch Tagebuchauszüge oder
Themen, die mich intensiv beschäftigten, dazu.
1 Jan 2021
## LINKS
[1] /Jane-Birkins-Tochter-gestorben/!5052850
## AUTOREN
Dagmar Leischow
## TAGS
Jane Birkin
Musik
Paris
Jane Birkin
Musikerinnen
Spielfilm
Pop
Musik
Musik
Mode
Chanson
Charlotte Gainsbourg
## ARTIKEL ZUM THEMA
Nachruf auf Sängerin Jane Birkin: Halb gestöhnt, ganz geliebt
Frankreich und nicht nur Frankreich trauert. Die britische Schauspielerin
und Chanteuse Jane Birkin, ist 76-jährig gestorben. Ein Nachruf.
Pop-Ikone Jane Birkin hält Rückschau: „Ich habe zu wenig Regeln gebrochen“
Jane Birkin gilt heute als Ikone des Pop. Ein Gespräch mit der Sängerin und
Schauspielerin über ihr Leben, ihre Rolle als Frau, Mutter und Künstlerin.
Französisches Thrillerdrama: Prozess ohne Gewinner
Mit „Menschliche Dinge“ inszeniert Yvan Attal ein packendes Drama. Es geht
um einen Vergewaltigungsvorwurf.
Neues Album von Jens Friebe: Haltung bewahren
Zwischen Dandy und Handwerker: Der Berliner Popstar Jens Friebe
veröffentlicht mit „Wir sind schön“ ein nüchternes und zugleich elegantes
Album.
Debütalbum von Greentea Peng: Harte Schule, weiche Drogen
Die Londoner Künstlerin Greentea Peng veröffentlicht „Man Made“. Ihr
gefühlvolles Debütalbum changiert zwischen HipHop, Dancehall und R&B.
Neues Album von Lana Del Rey: Unschuld vom Lande trifft Vampire
Lana Del Rey ungeschminkt und countryesk: Ihr neues Album „Chemtrails over
the Country Club“ suggeriert trotzdem keine Idylle.
Revolution der Frauenmode: Das modische 20. Jahrhundert
Unterhaltsam, gelehrt und voll großartiger, amüsanter Bilder: Harriet
Worsleys bündelt „100 Ideas That Changed Fashion“.
Porträt der Chansonlegende Barbara: Versöhnung per Lied
Vor 20 Jahren starb die französische Diseuse Barbara. Ein Hommage-Album
erinnert an ihre Lebensgeschichte und ihren Song „Göttingen“.
Neues Album von Charlotte Gainsbourg: Radikale Trauer
Charlotte Gainsbourg singt jetzt wieder auf französisch. Herausgekommen ist
ein schönes, morbides Album. Ein Treffen mit der Sängerin in Berlin.
You are viewing proxied material from taz.de. The copyright of proxied material belongs to its original authors. Any comments or complaints in relation to proxied material should be directed to the original authors of the content concerned. Please see the disclaimer for more details.