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# taz.de -- Französisches Thrillerdrama: Prozess ohne Gewinner
> Mit „Menschliche Dinge“ inszeniert Yvan Attal ein packendes Drama. Es
> geht um einen Vergewaltigungsvorwurf.
Bild: Hier ist noch Frieden: Suzanne Joannet als „Mila“ und Ben Attal als �…
Ihre [1][Vorliebe für das Obskure in der Kunst erklärte Charlotte
Gainsbourg] einmal damit, dass die dunklen Seiten des Lebens doch viel
interessanter seien als die heile Welt. In ihrem neuen Film bringt sie
beides zusammen. Wie der Titel vermuten lässt, geht es in „Menschliche
Dinge“ nicht um das übersinnlich-aufgeladene Böse, für das die
französische Schauspielerin etwa aus Filmen von [2][Lars von Trier
(„Antichrist“)] bekannt ist, sondern um eine Form des Übels, das sich
gerade in seiner Alltäglichkeit manifestiert.
Unter der Regie ihres Ehemanns Yvan Attal („Der Hund bleibt“) übernimmt
Gainsbourg in „Menschliche Dinge“ die Rolle der Essayistin Claire Farel,
angelegt als eine diskursprägende Stimmen der französischen Öffentlichkeit.
Deren Selbstbild als vehemente Streiterin für den Feminismus zerfällt, als
ausgerechnet ihr Sohn Alexandre, gespielt von ihrem echten Sohn Ben Attal,
der Vergewaltigung bezichtigt wird.
Wie es typisch für die meisten Projekte Gainsbourgs ist, blickt auch
„Menschliche Dinge“ mit einer gewissen Ambivalenz in gesellschaftliche
Abgründe und interessiert sich mehr für die Tragödie, die ein solcher
Vorwurf zunächst für alle Beteiligten bedeutet, für den Angeklagten wie die
Klägerin, für seine Familie wie die ihre, anstatt sich voll und ganz auf
die Seite einer eindeutig Betroffenen und ihren Schmerz zu fokussieren.
## Familiäres Umfeld
So verwendet das Drama, noch bevor es zur verhängnisvollen Nacht kommt,
viel Zeit darauf, Alexandre und sein familiäres Umfeld vorzustellen. Dem
Bild des verwöhnten Studenten einer Elite-Universität, der sich seiner
Macht als Sohn eines ebenso einflussreichen wie wohlhabenden
Star-Journalisten-Vaters sehr wohl bewusst ist, werden dabei vereinzelt
sympathischere Seiten gegenübergestellt.
Beim Treffen mit seiner Mutter Claire etwa, die mit ihrem neuen Partner
Adam (Mathieu Kassovitz) zusammenlebt, zeigt er sich als liebevoller Sohn.
Gegenüber Adams 17-jähriger Tochter Mila (Suzanne Jouannet) tritt er
höflich, beinahe schüchtern auf.
Mila ist es allerdings, die am nächsten Morgen Anzeige gegen Alexandre
erstattet. Von hier an wechselt der Film mehrmals zwischen der Perspektive
des potenziellen Täters und des angeblichen Opfers, zeigt aber nie, was im
Schuppen geschah, in den sich die beiden während einer Party zurückzogen.
## Bemühte Vieldeutigkeit
„Menschliche Dinge“ führt so überaus effektvoll die Erniedrigungen, die
beide Seiten beim Versuch der Aufklärung der Vorfälle über sich ergehen
lassen müssen, vor Augen. Die bemühte Vieldeutigkeit kann allerdings nicht
aufrechterhalten werden. Dafür wird Alexandre bereits im Vorfeld zu
eindeutig als ein Mann gezeichnet, der sich schon in der Vergangenheit von
Frauen nahm, was ihm seiner Auffassung nach „zusteht“. Dass Mila durch
Alexandre sexuelle Gewalt angetan wurde, lässt sich auch anhand des bis
hierhin Gezeigten annehmen.
Gegen eine echte Unvoreingenommenheit spricht zudem die Tatsache, dass das
von Attal mit Yaël Langmann verfasste Drehbuch, ebenso wie die gleichnamige
Romanvorlage von Karine Tuil, vom „Fall Stanford“ inspiriert ist, der 2016
eine neuerliche Debatte um die Bedeutung von ausdrücklicher Zustimmung zu
sexuellen Handlungen lostrat.
In einem überaus intensiven Gerichtsprozess geht es daher zumindest für
Zuschauer, die immerhin etwas mehr als die Justiz wissen, bald nur noch um
die Klärung von Feinheiten, etwa inwieweit sich Alexandre bewusst war, was
er tat. Anders ausgedrückt: Ob er zumindest von Einvernehmlichkeit ausging
oder ob er absichtlich von Mila gezogene Grenzen überschritt.
Das solide inszenierte und herausragend besetzte Drama schafft es so, die
Schwierigkeiten bei der gerichtlichen Bewertung von Vergewaltigungen zu
beleuchten, auch welche Rolle unterschiedliche sozioökonomische
Hintergründe spielen mögen. Dass „Menschliche Dinge“ unaufhörlich betont,
welchen Einschnitt eine solche Tat im Leben aller Beteiligten bedeutet, ist
richtig. Die mitschwingende Sympathie für den Täter hinterlässt allerdings
einen unangenehmen Beigeschmack.
6 Nov 2022
## LINKS
[1] /Charlotte-Gainsbourg-ueber-Schmuddeliges/!5150792
[2] /Lars-von-Trier-ueber-seinen-Film-Antichrist/!5156779
## AUTOREN
Arabella Wintermayr
## TAGS
Spielfilm
Schwerpunkt Frankreich
Charlotte Gainsbourg
Bataclan
Französischer Film
Jane Birkin
Charlotte Gainsbourg
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