# taz.de -- Film von Gaspar Noé auf DVD: Hexen, überall Hexen | |
> In „Lux Æterna“ sprechen Béatrice Dalle und Charlotte Gainsbourg über | |
> zudringliche Männer und Hexen. Sie spielen sich dabei selbst, aber als | |
> Fiktion. | |
Bild: Der argentinische Regisseur Gaspar Noé in Cannes, 2016 | |
Mit Schrifttafeln gleich zu Beginn reißt Gaspar Noé ganz schön das Maul | |
auf. Es sind nicht seine eigenen Worte, wenn da steht: „Wir Regisseure | |
tragen eine große Verantwortung. Es ist unsere Pflicht, den Film von der | |
Ebene der Industrie auf die der Kunst zu heben.“ Wer hier zitiert wird, | |
ist Carl Theodor Dreyer, der dänische Regisseur, der mit dem Filmemachen zu | |
Stummfilmzeiten begann. | |
Noé jedoch eignet und maßt sich diese Worte, indem er sie kommentarlos in | |
lateinischen Schriftzeichen auf seine eigene Leinwand meißelt, durchaus an. | |
Es kommen im weiteren Verlauf noch Aussprüche von Jean-Luc Godard, auch | |
[1][Rainer Werner Fassbinder] dazu, oder von Luis Buñuel. | |
Andererseits ist nie so richtig zu sagen, wie ernst Noé, der in seinen | |
Filmen („Irréversible“, [2][„Climax“]) vor wenig zurückschreckt, das … | |
was er sagt, treibt und tut; oder ist es doch, behelfsweise, falls er es | |
nämlich doch schrecklich ernst meinen sollte, nicht so, dass man, um den | |
Filmen etwas abgewinnen zu können, ihn wirklich ernst nehmen muss. Hier zum | |
Beispiel ruft er, ich habe keine Ahnung warum, die Meister der | |
Vergangenheit immerzu nur mit Vornamen auf. | |
Nicht Dreyer steht da, sondern Carl Th, nicht Godard, sondern Jean-Luc, | |
nicht Fassbinder, sondern Rainer W. Das Ganze setzt sich fort bis in den | |
Abspann, wo kein einziger Nachname auftaucht, also etwa der Regisseur | |
selbst nur als Gaspar figuriert, aber auch der Komponist, dessen | |
sinfonische Musik mit elektronischeren Gegenwartssounds kontrastiert, nicht | |
Mahler heißt, sondern Gustav. | |
## Hier haben alle Akteur*innen nur Vornamen | |
Auch für die beiden Hauptdarstellerinnen wird keine Ausnahme gemacht: | |
Béatrice Dalle heißt nur Béatrice, Charlotte Gainsbourg ist Charlotte. | |
Nicht nur im Abspann, auch im Film. Die beiden spielen sich selbst, aber | |
als Fiktion: „Lux Aeterna“ ist ein Film über das Kino, sein Setting sind | |
die Dreharbeiten zu einem Film. | |
Erst sitzen da, Noé hampelt die ganze Zeit mit Splitscreen herum, | |
Gainsbourg und Dalle erzählen von Grenzüberschreitungen beim Dreh anderer | |
Filme. Béatrice, sehr lässig in ihren Sessel gelümmelt, erzählt von | |
Regisseuren, die sich als Tyrannen aufspielen; Charlotte, aufrechter | |
sitzend, berichtet von einer Sexszene, bei der ihr Partner versehentlich | |
auf ihr kam. | |
Von Anfang an geht es um Hexen, schon in Filmausschnitten am Anfang, die | |
man noch vor den Schrifttafeln sieht. Es geht darum, mindestens assoziativ, | |
wie Schauspielerinnen von Regisseuren als Hexen behandelt werden, in | |
Übergriffen aller Art. | |
## Film-im-Film, Me-Too-Diskurs und Hexenverbrennung | |
Beim chaotischen Dreh, in den, weiterhin mit viel Splitscreen, der Film | |
springt. Es hüpfen ein nervtötend aufdringlicher älterer Filmjournalist, | |
ein präpotenter Möchtegern-Jungregisseur und ein Kameramann, der sich für | |
den wahren Maestro hält, weil er schon mit Jean-Luc gearbeitet hat (während | |
eigentlich Béatrice Regie führen will und soll), auf dem Set herum. | |
Irgendwann sind dann drei Frauen in vage mittelalterlich anmutender | |
Szenerie an Pfähle gefesselt, Charlotte mit Sonnenbrille in ihrer Mitte, | |
hinter ihnen lodern schon Feuer. | |
Das ist in seiner Vermischung aus Film-im-Film, Me-Too-Diskurs, | |
Hexenverbrennung und Zitat großer Meister also reichlich komplex, oder eher | |
doch, es ist schließlich Noé, etwas wirr. Man fragt sich schon, wie Noé da | |
jetzt wieder rauskommt, zumal bei der schlanken Laufzeit von fünfzig | |
Minuten. | |
Er tut dann aber, was ein Noé eben tut: Endet mit einer großen | |
psychedelischen beziehungsweise Epilepsie evozierenden Lichtshow in Grün, | |
Blau und Rot. Aus Diskurs wird Spektakel, an die Stelle des Worts tritt das | |
Bild. Es ist eine Form der Sprachlosigkeit, die Noé für eminent filmisch | |
hält. Und ganz Unrecht hat er damit vielleicht auch wieder nicht. | |
21 May 2021 | |
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## AUTOREN | |
Ekkehard Knörer | |
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