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# taz.de -- Netflix-Thriller „Things Heard & Seen“: Geister, Gaslight, Genr…
> Im Horror-Thriller „Things Heard & Seen“ geht es um eine toxische Ehe und
> um Geister. Die zwei Handlungsstränge überlagern sich dabei gegenseitig.
Bild: Schlechte Stimmung im Bett: George (James Norton) und Catherine Clare (Am…
Der Mensch ist dem Menschen ein Engel. Oder eben doch ein Dämon. In „Things
Heard & Seen“ hängt alles mit allem zusammen: Himmel, Hölle und das ominöse
Dazwischen, in dem sich neben den äußeren Menschen eben auch die inneren,
die Seelen der Verstorbenen, tummeln. Wobei die genau genommen gar nicht
tot, sondern lebendiger als die Lebenden sind – haben sie doch mit dem
Ablegen ihrer fleischlichen Hülle einfach nur die reinste Form des Seins
angenommen.
Die Welt dieses Horrorthrillers, der auf dem Roman „All Things Cease to
Appear“ von Elizabeth Brundage basiert, funktioniert so, wie sie Emanuel
von Swedenborg in seinen theosophischen Schriften in seiner zweiten
Lebenshälfte zur Mitte des 18. Jahrhunderts beschrieben hat. Der
schwedische Mystiker, der sich zuvor ein Ansehen als Wissenschaftler
erarbeitet hatte, wandte sich nach einem angeblichen spirituellen
Erweckungserlebnis einem christlich aufgeladenem Spiritismus zu.
In seinem zentralen Werk, auf Englisch titelgebend „Heaven and Its Wonders
and Hell From Things Heard and Seen“, das im Film mehrmals zu sehen ist und
rezitiert wird, [1][bezeichnet Swedenborg Himmel und Hölle als einen
Seelenzustand, den Geister annähmen], je nachdem, ob sie während ihres
irdischen Lebens hauptsächlich „Gutes“ oder „Böses“ getan hätten.
Als das Ehepaar Clare im Frühjahr 1980 in sein neues Zuhause in einem
kleinen, ländlichen Ort in Upstate New York zieht, ahnt es nicht, dass es
von Geistern beider Sorten heimgesucht wird. Doch der Umzug steht ohnehin
unter schlechten Zeichen: Ehefrau Catherine (Amanda Seyfried) arbeitet als
Restaurateurin und sieht dort keine berufliche Zukunft, der zusätzliche
Druck scheint ihre Bulimie-Erkrankung zu befördern.
## Wohlige Atmosphäre mit Landhaus-Charme
Aber Ehemann George (James Norton) hat nach seiner Dissertation eine
Anstellung als Dozent für Kunstgeschichte an einem kleinen College im
Hudson Valley ergattert – die Entscheidung steht also fest, Catherine soll
sich ganz und gar auf ihre dreijährige Tochter konzentrieren. Bereits hier
klingen simple feministische Grundtöne an, die im Laufe des knapp
zweistündigen Films zu einer Metaebene über weibliche Solidarität
ausgeweitet werden sollen. Wie viele andere Plot-Elemente verlaufen diese
Ansätze dann aber im Sande.
Das Regie-Duo Shari Springer Berman und Robert Pulcini („American
Splendor“), das auch das Drehbuch adaptierte, inszeniert den
„Haunted-House-Horror“ sehr konventionell: In der ersten Nacht, bevor
George seine Stellung antreten soll, riecht Catherine Abgase im
Schlafzimmer, das Töchterchen sieht ihr Nachtlicht flackern, ein
Schaukelstuhl beginnt aus dem Nichts zu wippen.
Nicht nur, weil diese Effekte altbekannt sind, sondern auch, weil sie in
„Things Heard & Seen“ in warmes Licht getaucht in eine beinahe wohlige
Atmosphäre mit Landhaus-Charme eingebettet werden, entwickeln sie keinen
großen Schrecken. Ohnehin zehrt der Plot weniger von seinen kurzlebigen
Gruselmomenten als von seiner schrittweisen Charakterentwicklung und
-entblößung sowie der damit verbundenen Spannung.
Während Erstere hauptsächlich durch die daheimgebliebene Catherine zustande
kommen, die nach und nach mehr über die brutalen Tode der Milchbauern,
denen das Haus zuvor gehörte, herausfindet, entpuppt sich George zusehends
als eine bösartigere Version des [2][„talentierten Mr. Ripley“ nach
Patricia Highsmith].
## Die Abgründe der Ehemänner
Die beiläufige Verführung einer Studentin (Natalia Dyer) steht zwar schon
im starken Kontrast zum Bild des treuliebenden Familienvaters und
idealistischen Intellektuellen, auf das George so erpicht ist, gehört aber
zu den kleineren seiner Vergehen, denen er sich noch schuldig macht oder
die er bereits begangen hat. Mutmaßlich mehrere Morde gehören dazu.
Als er sich immer mehr als manipulativer Narzisst entpuppt, der vor
extremem „Gaslighting“ seiner Ehefrau nicht zurückschreckt, scheint
Catherine nicht nur der engelhafte Geist der Vorbesitzerin, die von ihrem
tyrannischen Ehemann ebenfalls drangsaliert wurde, beizustehen, sondern
auch Institutskollegin Justine (Rhea Seehorn).
Leider wird die spannende scherbenweise Offenbarung von Georges
Geheimnissen von einem Zuviel an anderen, zuvor ausgelegten
Anknüpfungspunkten überlagert, die nicht richtig aufgeklärt werden.
Inwiefern die Geister der Milchbauern nun Einfluss auf das Geschehen
nehmen, bleibt offen. George wird zwar von der dämonischen Seele des
Ehemanns heimgesucht, seine boshafte Janusköpfigkeit war aber schon vorher
vorhanden. Das Paranormale schrumpft damit auf die Größe ornamentaler
Ausschmückung.
Im Grunde stecken in „Things Heard & Seen“ mindestens zwei Filme, die mehr
nebeneinander existieren als ineinander aufzugehen: die thrilleresken
Ausführungen zum Eheleben der Clares und eine Schauergeschichte um Geister,
die mit Querverweisen auf besagten Swedenborg poetisch aufgeladen wird.
Beide gipfeln in einem unstimmigen wie lückenhaften Finale.
28 Apr 2021
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## AUTOREN
Arabella Wintermayr
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