Introduction
Introduction Statistics Contact Development Disclaimer Help
# taz.de -- Neuer Film über Hexenverfolgung: Die Inquisition der Frauenhasser
> Religiöser Wahn, Angst, Misogynie und Lustfeindlichkeit prägen das
> Verhältnis der Geschlechter im Film „Tanz der Unschuldigen“ von Pablo
> Agüero.
Bild: Treffen in der Dämmerung, sechs junge Frauen aus dem Dorf in der Zeit de…
„Nichts ist gefährlicher als eine tanzende Frau“. Rostegui (Alex
Brendemühl) bereist als Inquisitor das Spanien des Jahres 1609 und weiß,
was er sagt. Der religiöse Mann kennt die Geschichte, die sich einst in
Straßburg abspielte: Eine Frau, erzählt man, habe begonnen, sich manisch zu
einem inneren Rhythmus zu bewegen, so lange, bis sie vor Erschöpfung tot
zusammenbrach. Und sie steckte andere an – Hunderte Menschen tanzten sich
bei der im Mittelalter mehrfach auftretenden sogenannten „Tanzwut“ zu Tode.
So etwas kann nur Hexerei sein, davon ist Rostegui überzeugt. Die sechs
halbwüchsigen Mädchen aus einem Dorf an der baskischen Küste, die er wegen
ihrer angeblichen Teilnahme an Hexentänzen festnehmen und einsperren ließ,
sind demnach ebenfalls Hexen. Um ihnen den Prozess, einfacher gesagt den
Garaus per Scheiterhaufen zu machen, muss er ihnen nur den Pakt mit dem
Teufel nachweisen.
Aber die Clique um die fantasievolle Ana (Amaia Aberasturi) kommt dahinter,
was Rostegui und seine Schergen eigentlich umtreibt: Es ist kein Zufall,
dass sie sich ausgerechnet sechs junge Frauen holten, um sie bei der
„peinlichen Befragung“ zu foltern – und ihre entblößten Körper dabei n…
Teufelsmalen abzusuchen.
In Wahrheit wurden Menschen jeden Alters im Mittelalter Opfer der brutalen
Hexenverfolgung: Zwischen 40.000 und 60.000 verloren dabei in Europa ihr
Leben. Doch drei Viertel davon waren weiblich.
## Verklemmt-lüsterne Motive
Während der Hexen-Boom der letzten Jahre viele Narrative hervorbrachte, die
als Prämisse tatsächliche Magie anboten, fokussiert der
argentinisch-französische Regisseur Pablo Agüero auf die
verklemmt-lüsternen Motive des Inquisitors, den die Teenager durch ihr
Versprechen, ihm einen echten „Hexensabbat“ vorzuführen, ein paar Tage
hinzuhalten versuchen. Bei Vollmond, hofft Ana, kommen nämlich die mit den
Gezeiten fischenden Männer des Dorfes vom Meer zurück – und könnten ihre
Töchter retten.
Der zwischen der harten Realität des Gefängnisses und unwirklichen
Waldbildern wechselnde Thriller erzählt somit einerseits vom kaputten
Verhältnis der Geschlechter, geprägt durch religiösen Wahn, Angst,
Misogynie und Lustfeindlichkeit. Und davon, wie sich der
christlich-heteromännliche Hass auf die eigene Begierde mithilfe von
religiösem Unfug in Hass auf Frauen(körper) verwandelt.
Andererseits ist „Tanz der Unschuldigen“, im Original „Akelarre“ (baski…
für Hexensabbat), ein Kommentar zum komplexen Zusammenleben der Völker:
„Sprich wie eine Christin“, herrscht der aus der Region stammende
Franziskaner-Pater Cristóbal (Asier Oruesagasti) Ana an, als sie ihn in
ihrem (und seinem) Idiom um Beistand bittet. Die auch sprachliche Distanz
zu den spanischen Soldaten isoliert die Heranwachsenden somit noch stärker:
Sie haben nichts – außer jener ominösen Macht, wegen der ihre Peiniger sie
quälen, die sie ihnen aber damit auch zugestehen.
## Nachthemdmädchen am Lagerfeuer
Agüeros Film beherrscht dieses Spannungsverhältnis nicht immer: Zuweilen
zerfasert seine Dramaturgie und lässt die Erzählung, in der neben der
Selbstermächtigungs- auch die klassische Gut-gegen-Böse-Geschichte steckt,
in einem modernen Tanzfilm mit Lagerfeuer versickern, der sich ästhetisch
am Rande des Kitschs bewegt.
Doch vor allem Brendemühl und seine Nemesis Amaia Aberasturi spielen ihre
Gegnerschaft mit Würde und Passion. Und Agüeros Haltung ist eindeutig:
Trotz flirrender Bilder von langhaarigen Nachthemdmädchen fällt er nie in
den Male Gaze seiner porträtierten Frauenhasser. Stattdessen lässt er die
Protagonistinnen ihre eigenen Zaubersprüche spinnen: Wenn sie selbst dran
glauben, könnten diese sogar wirken.
15 Mar 2021
## AUTOREN
Jenni Zylka
## TAGS
Hexenverfolgung
Mittelalter
Sexualität
Empowerment
Netflix
Spielfilm
Hexenverfolgung
Horrorfilm
Spielfilm
Film
Film
Kino
## ARTIKEL ZUM THEMA
Russell Crowe als „The Pope's Exorcist“: Den Teufel auf der Lambretta austr…
Pünktlich zu Ostern kämpft Schauspielstar Russell Crowe als „The Pope's
Exorcist“ gegen Satan. Der Film ist inspiriert von einem echten Exorzisten.
Hexenprozesse: Die Hexenjäger-Universität
Die vor 400 Jahren gegründete Universität von Rinteln war mal eine
Autorität – in Sachen Hexenprozesse. Heute ist sie weitgehend vergessen.
Netflix-Thriller „Things Heard & Seen“: Geister, Gaslight, Genre-Mix
Im Horror-Thriller „Things Heard & Seen“ geht es um eine toxische Ehe und
um Geister. Die zwei Handlungsstränge überlagern sich dabei gegenseitig.
Film „The Jesus Rolls“ von John Turturro: Der Typ mit dem Haarnetz
Der Schauspieler John Turturro hat sich selbst ein Drehbuch geschrieben.
„The Jesus Rolls“ zeigt Formen sexueller Rebellion, die ziemlich daneben
sind.
Roald Dahls „Hexen hexen“ neu verfilmt: Erwachsene sind furchterregend
Robert Zemeckis hat Roald Dahls Klassiker „Hexen hexen“ neu verfilmt.
Anders als im Buch wird nicht geraucht. Disability-Aktivist*innen üben
Kritik.
Historiendrama aus Polen: Der sich den Mund zunäht
Der polnische Regisseur Bartosz Konopka erzählt in „Sword of God“ eine
Missionsgeschichte. Dabei findet er Bilder für Kritik an der Gegenwart.
Geschlechtergerechtes Märchen im Kino: Viel Action in den alten Knochen
Der US-Regisseur und Schauspieler Osgood Perkins nimmt sich „Gretel &
Hänsel“ vor. Sein Update der Brüder Grimm ist feministisch, aber zu
bildverliebt.
You are viewing proxied material from taz.de. The copyright of proxied material belongs to its original authors. Any comments or complaints in relation to proxied material should be directed to the original authors of the content concerned. Please see the disclaimer for more details.