| # taz.de -- Historiendrama aus Polen: Der sich den Mund zunäht | |
| > Der polnische Regisseur Bartosz Konopka erzählt in „Sword of God“ eine | |
| > Missionsgeschichte. Dabei findet er Bilder für Kritik an der Gegenwart. | |
| Bild: Mit Stärke Glauben durchzusetzen: Willibrord (Krzysztof Pieczynski) in �… | |
| Auch wenn die jüngste Präsidentenwahl den Rechtsruck des Landes noch nicht | |
| stoppen konnte: Die Zustände, die bei seinem weiter östlich gelegenen | |
| russischen Nachbarn herrschen, hat Polen noch nicht erreicht. Noch können | |
| Künstler sich frei äußern, ohne befürchten zu müssen, wegen windiger | |
| Vorwürfe eingesperrt oder zumindest an der Arbeit gehindert zu werden. Noch | |
| können Autoren wie die [1][Literaturnobelpreisträgerin Olga Tokarczuk] oder | |
| [2][Filmemacher wie Jan Komasa] im demnächst startenden „Corpus Christi“ | |
| oder wie nun Bartosz Konopka in „Sword of God“ unverhohlen Kritik an den | |
| dominanten Institutionen des Landes üben, nicht zuletzt an der | |
| katholischen Kirche. | |
| Während Komasas Film in der polnischen Gegenwart spielt, lässt Konopka in | |
| seinem archaischen Historienfilm Fragen nach Ort und Zeit bewusst | |
| unbeantwortet. Ohnehin ist „Sword of God“ kein Film vieler Worte, wirkt oft | |
| wie ein moderner Stummfilm, bei dem sich mehr über die Bilder vermittelt | |
| als über ohnehin oft missverständliche Worte. | |
| In völliger Orientierungslosigkeit beginnt „Sword of God“ dann auch, in | |
| einem Ruderboot, irgendwo auf dem Meer, irgendwann im Mittelalter, so viel | |
| kann man ahnen. Zwei Männer sind die einzigen Überlebenden einer wohl | |
| größeren Expedition: Willibrord (Krzysztof Pieczynski), der ältere der | |
| beiden, ein Priester und ein namenloser jüngerer Mann (Karol Bernacki), der | |
| ein Ritter ist oder war. | |
| Gemeinsam landen sie an einem verlassenen Strand, auf einer Insel, auf der | |
| in den Bergen ein wilder Stamm lebt. Die Aufgabe der beiden ist schnell | |
| klar: den Stamm der Heiden, die in Höhlen leben, meist mit Erde bedeckt und | |
| in Fell gekleidet sind, zu missionieren. Die Methoden des Duos könnten | |
| jedoch unterschiedlicher nicht sein. Während Willibrord versucht, seinen | |
| Glauben mit Stärke durchzusetzen, agiert der Ritter vorsichtiger. Er | |
| versucht sich den Heiden anzunähern, darunter einer Frau (Wiktoria | |
| Gorodecka), die die Tochter des Anführers des Stammes zu sein scheint. | |
| ## Duell im Feuer | |
| Nachdem Willibrord den Schamanen des Stammes zu einem Duell der Glauben | |
| herausgefordert hat und unverletzt durchs Feuer ging, während der Schamane | |
| von den Flammen ergriffen wurde, eskaliert die Situation. Zwei Fraktionen | |
| bilden sich: Anhänger des Priesters und des Ritters, der sich in einem | |
| radikalen Akt den Mund zunäht. | |
| Nicht erst mit dem tatsächlichen Verstummen einer der Hauptfiguren wird | |
| „Sword of God“ zunehmend zum bildgewaltigen Stummfilm. Von Anfang an | |
| verzichtet Bartosz Konopka auf jedes unnötige Wort, zumal er seine beiden | |
| Helden bewusst isoliert. Die Sprache der Heiden wird nicht untertitelt, der | |
| Zuschauer bleibt ebenso ein Außenstehender wie die Eindringlinge, die | |
| selbst ernannten Missionare. | |
| Diese Entscheidung, die nicht nur im Hollywoodkino normalerweise ein im | |
| besten Fall nachlässiges Ignorieren fremder Kulturen darstellt, ist hier | |
| eine bewusste filmische Entscheidung. Sie bewirkt, dass der Zuschauer mit | |
| den vorgeblichen Helden – dem Priester und dem Krieger – gleichgesetzt | |
| wird, mit ihrem Blick die Kultur der Heiden entdeckt. Durch die | |
| Sprachbarriere ebenso außen vorgelassen, zwingt Konopka den Zuschauer, die | |
| Rolle der Täter einzunehmen, die eine fremde Kultur nur durch ihre eigene, | |
| eine westlich geprägte Brille wahrnehmen. Die Folgen sind Intoleranz, | |
| Unverständnis und schließlich exzessive Gewalt, die im unausweichlichen | |
| blutigen Finale die Heiden auslöscht. | |
| ## Verfolgung Andersdenkener | |
| Man muss keine großen Gedankensprünge machen, um vom Mittelalter der | |
| filmischen Erzählung [3][zum Polen der Gegenwart zu kommen, wo | |
| Andersdenkende, Minderheiten,] Menschen, die die organisierte Kirche | |
| ablehnen, oft verfolgt werden. Gerade die Kirche predigt oft Intoleranz und | |
| nimmt für sich in Anspruch, den einen, den wahren Glauben zu kennen und zu | |
| predigen. | |
| Dennoch – und gerade das macht das zeitgenössische polnische Kino so | |
| spannend – geht es hier nicht um dezidiert atheistische oder | |
| kirchenfeindliche Erzählungen. Die Dichotomie, die aktuelle polnische Filme | |
| wie „Corpus Christi“ oder eben „Sword of God“ aufzeigen, besteht nicht … | |
| einem klaren Pro/Kontra Kirche. Vielmehr deuten sie verschiedene Formen von | |
| Religiosität an, erzählen von den Unterschieden zwischen organisierten | |
| Formen des Glaubens wie etwa der katholischen Kirche und den als | |
| wahrhaftiger gezeigten Formen, die aus dem Inneren einzelner Menschen zu | |
| kommen scheinen. Oder die eben im Anderen, in fremden Kulturen zu finden | |
| sind, wie sie Konopka hier zeigt. | |
| So unzivilisiert die sogenannten Heiden zunächst auch wirken mögen, am Ende | |
| erweisen sie sich im Kontrast zu den Vertretern der organisierten Kirche | |
| als friedlicher und, ja, zivilisierter. | |
| 23 Jul 2020 | |
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| ## AUTOREN | |
| Michael Meyns | |
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