# taz.de -- Kampf um die Kultur in Polen: Beten, schimpfen, schreddern | |
> Die Regierung in Polen versucht, die Richtung in Theatern und Kinos zu | |
> bestimmen. Die Bühnenhäuser verlieren dadurch an Publikum. | |
Bild: Gedenken in Polen an das Flugzeugunglück von Smolensk | |
In Warschau, im Teatr Powszechny, hat eine gewagte Inszenierung von Oliver | |
Frljić, „Klątwa“ („Der Fluch“) seit der Premiere im Februar für einen | |
erbitterten Streit gesorgt. Die Theaterarbeit des kroatischen Regisseurs | |
kritisiert unter anderem die Vorherrschaft der katholischen Kirche in | |
Polen. Über die Verwendung von drastischen künstlerischen Mitteln und | |
provokativer Szenen wie einer Fellatio mit der Denkmalfigur von Papst | |
Johannes Paul II. oder krasser „persönlicher“ Berichte der Schauspieler, | |
die in ihrer Kindheit von pädophilen Priestern belästigt wurden, sind die | |
Auffassungen geteilt. | |
Deshalb wundert es nicht, dass es hier nicht nur zwei gegensätzliche | |
Gruppen von Befürwortern (also Vertretern der Opposition) und Gegnern | |
(Unterstützern der PiS-Regierung) gibt, sondern eine breite | |
Meinungspalette. Die einen sehen hier „die wichtigste Inszenierung im | |
polnischen Theater seit „Apocalypsis cum figuris“ von Jerzy Grotowski“, | |
andere „eine Aufführung, die von bösen Menschen für andere böse Menschen | |
gemacht wurde“ oder gar „des Teufels Machwerk“ ist. | |
Es ist nicht das erste Mal, dass man in Polen über polnische Kultur und | |
darüber, wie ihre modernen Kunstwerke auszusehen haben, streitet. Und es | |
ist nicht der erste Versuch der seit 2015 amtierenden konservativen | |
Regierung, die Richtung zu bestimmen, indem man eine „reine, hohe“ Kultur | |
durchsetzen will und die aus rechtsnationaler Sicht „degenerierten, | |
pornografischen Auswüchse“ zu beenden versucht. | |
Einer der ersten Fälle war der Streit über eine Premiere von Elfriede | |
Jelineks „Der Tod und das Mädchen“ am Teatr Polski in Wrocław, die der im | |
November 2015 frisch gekürte Kulturminister Gliński zu verhindern suchte. | |
Die Auseinandersetzung, begleitet von Blockaden der Rosenkranz-Kreuzzügler | |
für das Vaterland, fiel zunächst zugunsten des Theaters aus, die Premiere | |
fand statt, die Vorstellungen waren überbucht. Einige Monate später wurde | |
jedoch ein neuer Intendant eingesetzt, das alte Ensemble zerschlagen, | |
unbequeme Inszenierungen wurden aus dem Spielplan genommen, ihre | |
Bühnenbilder sicherheitshalber geschreddert. Internationale Gastspiele | |
wurden abgesagt. | |
## Der Kampf um die Inhalte | |
Die Regierung hatte sich erfolgreich durchgesetzt. Sie hat jedoch eines | |
vergessen: das Publikum. Seit dem Intendantenwechsel bleibt es weg. In der | |
letzten Zeit machten im Internet zwei Fotos die Runde, die durch einen | |
Bericht der Gazeta Wyborcza weiter verbreitet wurden: das erste zeigt eine | |
Jelinek-Vorstellung mit vollbesetzten Sitzreihen einen Monat nach der | |
Premiere, das zweite eine neue Inszenierung „Der eingebildete Kranke“ von | |
Molière, die der früher auch in Deutschland arbeitende Regisseur Janusz | |
Wiśniewski übernommen hatte, aufgenommen zweieinhalb Wochen nach der | |
Premiere. Auf dem zweiten sind nur 48 von 340 Zuschauerplätzen belegt. Wer | |
hier an eine Ausnahme denkt, kann sich selbst auf der | |
[1][Internetbuchungsseite des Theaters einen Überblick] über den aktuellen | |
Verkaufsstand verschaffen: Auch andere neue Produktionen sind nicht | |
gefragt. Gut laufen nur über zwanzigjährige Boulevardhits, die noch aus dem | |
Altbestand des Theaters stammen. | |
Auch im Fall des berüchtigten Propagandafilms „Smoleńsk“ über das | |
Flugzeugunglück, in dem im April 2010 das polnische Präsidentenpaar und | |
viele hochrangige Politiker und Prominente Polens starben, war es nicht | |
viel anders. Dieser „Kulturkampf“ erreichte sogar Berlin, nachdem der neue | |
Botschafter den Film hier zu seinem Amtsantritt vorführen lassen wollte und | |
lange Zeit kein Kino dafür fand. Man braucht keine inhaltlichen | |
Diskussionen über den Film zu führen, um ihn ein Flop zu nennen: Nach einer | |
auffallend kurzen Laufzeit ist er aus den polnischen Kinos verschwunden. Es | |
lag vermutlich an mangelndem Interesse, selbst von PiS-Anhängern. | |
Diese scheinen sich mehr für die Frljić-Inszenierung zu interessieren, | |
allerdings nicht, um sie sich anzuschauen. Jede Vorstellung von „Der Fluch“ | |
wird von ihnen vor dem Theatergebäude beziehungsweise im Foyer begleitet, | |
um dort zu beten oder das Publikum zu beschimpfen. Landesweit fordern | |
Protestierende die Absetzung des Stücks. Sollten sie sich mit ihrer | |
Forderung durchsetzen oder, was nicht unwahrscheinlich ist, sollte der | |
Intendant und sein Team wie in Wrocław ausgetauscht werden, droht ein | |
weiteres Theater zu einem Ladenhüter zu werden. | |
Möglicherweise nicht das letzte, da auch im Teatr Polski in Bydgoszcz | |
gerade ein umstrittener Intendantenwechsel stattfindet und Mittel für das | |
Teatr Dramatyczny in Wałbrzych vom Kulturminister gestrichen wurden. Und ob | |
das neue, in Zukunft patriotisch ausgerichtete Museum des Zweiten | |
Weltkriegs in Gdańsk auf viele Besucher zählen kann, ist ebenfalls offen. | |
Der Versuch, den Kampf um Inhalte und Führung zu gewinnen, kann auf längere | |
Sicht auch zu einer Niederlage führen. Über Deutungen lässt sich streiten, | |
über Besucherzahlen weniger. | |
19 Apr 2017 | |
## LINKS | |
[1] http://www.teatrpolski.wroc.pl/bilety | |
## AUTOREN | |
Iwona Uberman | |
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