# taz.de -- Kolumne Draußen im Kino: Die Berlinale ist wie die Liebe... | |
> ... also immer gleichzeitig vertraut und neu: Fahrradfahren als Teil des | |
> Festivals, die Zigarette vor dem Film - und die Regisseure im Kampf gegen | |
> die Gameindustrie. | |
Bild: Fahrradfahren ist Teil des Festivals. | |
Eigentlich braucht man nicht hinauszugehen. Die Wohnung ist ein | |
Unterhaltungscenter mit vielen Medien, von denen man sich massieren lässt. | |
Man unterhält sich mit Leuten, die im Computer sind, Fernseher und Radio | |
erzählen, was in der Welt los ist, zwischendurch fährt man ein paar | |
Autorennen oder lässt einen entsprechend präparierten Rennfahrer für sich | |
fahren und schaut dabei zu. Die Medien sind weiche Möbel, in die man sich | |
schmiegt. So wohnt man im Gewohnten, so könnte es weiter gehen. Bis man | |
darin erstickt. | |
Man fährt nach draußen, wo die Filme sind. Das Fahrradfahren ist Teil der | |
Berlinale; das Zielorientierte sozusagen, wenn man versucht, den Weg | |
schnell zu vernichten, das Luxuriöse, wenn man vom Potsdamer Platz zum | |
Delphi fährt, das Gemächliche in der Nacht, wenn man die Leipziger Straße | |
entlanggleitet und das Gesehene nachklingen lässtt. Die Berlinale ist wie | |
die Liebe, immer gleichzeitig neu und vertraut. Morgens riecht sie nach | |
Seife, und manchmal eiert der Ton des Trailers ein bisschen. Die Filme sind | |
eigenständige Wesen. | |
Ich stehe vor dem CinemaxX und frage nach der Zeit. "Wollen Sie noch in | |
einen Film?" - "Ja. Ich überleg nur, ob ich es schaffe, davor noch eine zu | |
rauchen." - "Dafür ist immer Zeit." Erst will sie in ihrem Handy | |
nachschauen, dann guckt sie doch auf ihre Armbanduhr. Sie ist mit Smaragden | |
und Diamanten geschmückt. | |
Vor dem Film verlesen zwei italienische Unterhaltungsaktivisten ein | |
Schreiben, in dem sie dagegen protestieren, dass die italienische | |
Kulturförderung in den letzten zwei Jahren halbiert wurde. Giulio | |
Manfredonia, der Regisseur der folgenden Schmonzette "Qualunquemente", | |
reagiert mit keinem Wort. Wieland Speck, der Leiter der Panoramasektion, | |
sieht inzwischen wie der ältere David Bowie (von Weitem) aus. | |
Der koreanische Regisseur Ryoo Seung-wan ist schwarz-weiß und sehr elegant | |
gekleidet. Vor Beginn seines schönen Thrillers "The Unjust", in dem es | |
actionreich um korrupte Polizisten geht, sagt er: "Bitte denkt daran, dass | |
auch ich im Publikum bin, wenn ihr meinen Film seht." | |
"Suicide Room", das im Panorama gezeigte Spielfilmdebüt des 29-jährigen | |
polnischen Regisseurs Jan Komasa, erzählt von dem jungen Dominik, der auf | |
eine Eliteschule geht. Die reichen Eltern sind gewohnt, alles zu | |
delegieren. Nach demütigenden Erlebnissen mit seinen Mitschülern zieht sich | |
der 18-Jährige in sein Zimmer zurück und emigriert ins Internet. Dort lernt | |
er Sylwia kennen. Sie ist eine depressive Prinzessin in einer "Suicide | |
Room" genannten Internetgegend, die ähnlich buntkitschig gestaltet ist wie | |
"Second Life". Hier fühlt sich Dominik verstanden. Er verlässt sein Zimmer | |
nicht mehr. Die Eltern engagieren Ärzte, die ihren Sohn rausholen sollen. | |
Sylwia verlangt von dem verliebten Dominik, er soll Symptome faken, um | |
Tabletten verschrieben zu bekommen, mit denen sie sich umbringen will. Es | |
kommt zur finalen Krise. | |
Man merkt dem mitreißenden Film an, dass Jan Komasa selber Gamer ist, sich | |
also auskennt. Als Regisseur weiß er gleichzeitig, dass Internet und | |
Gameindustrie die natürlichen Feinde der Filmindustrie sind, die um die | |
endliche Ressource unserer Zeit kämpfen. | |
Das weiß auch Dante Lam, der Regisseur des beeindruckenden | |
Hongkong-Thrillers "The Stool Pigeon", der bei einer Verfolgungsjagd | |
tatsächlich den Playstationklassiker "Need For Speed - Most Wanted" | |
zitiert. | |
14 Feb 2011 | |
## AUTOREN | |
Detlev Kuhlbrodt | |
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