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# taz.de -- Film „Benedetta“ über lesbische Nonne: Begehren stärkt den Gl…
> Der Spielfilm „Benedetta“ von Provokateur Paul Verhoeven erzählt von
> einer lesbischen Nonne in der Renaissance. Aktuelle Fragen stellt er
> nebenbei.
Bild: Bedarfsgerecht geschnitzt: Novizin Bartolomea (Daphné Patakia) und Bened…
In Abwandlung eines bekannten Sprichworts könnte man in Bezug auf den
niederländischen Regisseur Paul Verhoeven sagen: „Ist der Ruf erst
ruiniert, filmt es sich ganz ungeniert.“ Als Provokateur, als
Skandalregisseur ist Verhoeven bekannt, seit er mit „Türkische Früchte“ in
seiner Heimat bekannt wurde. In Hollywood drehte er Satiren wie „Basic
Instinct“, „Starship Troopers“ oder „Showgirls“, die so offensiv Sex …
Gewalt zeigten, dass den Tugendwächtern die Spucke wegblieb.
Nach einer Hüftoperation musste selbst der unermüdliche Verhoeven etwas
kürzer treten, bevor er [1][2016 mit „Elle“ einen der besten Filme seiner
Karriere] vorlegte, dessen „Skandal“ vor allem darin bestand, eine Frau zu
zeigen, die nach einer Vergewaltigung alles andere sein wollte als ein
Opfer. Auch das war wie die meisten Filme Verhoevens durch und durch
feministisch zu verstehen, und eine ähnliche Lesart ist wohl auch in
„Benedetta“ angelegt, dem jüngsten Film des inzwischen 83-jährigen
Regisseurs.
Er basiert auf einem Sachbuch der amerikanischen Historikerin Judith C.
Brown, dessen deutscher Titel „Schändliche Leidenschaften“ sich wie gemacht
für Verhoeven anhört. Dem Kern des Inhalts näher kommt allerdings der
deutlich sachlichere Untertitel: „Das Leben einer lesbischen Nonne in
Italien zur Zeit der Renaissance.“ Brown beschrieb in ihrem 1986
erschienenen Buch akribisch die Ereignisse, die sich im 17. Jahrhundert in
einem Kloster in der kleinen italienischen Ortschaft Pescia zugetragen
haben.
Die Novizin Benedetta (gespielt von Virginie Efira), die seit ihrem neunten
Lebensjahr im Kloster lebte, behauptete, Visionen von Jesus zu haben,
Stigmata an Händen und Füßen scheinen das Wunder zu bestätigen. Skeptischer
ist die Äbtissin Felicita (Charlotte Rampling), die jedoch die politischen,
vor allem wirtschaftlichen Vorteile erkennt, ein Kloster zu führen, in dem
angeblich ein Wunder geschehen ist.
Dementsprechend sieht sie lange über das lesbische Verhältnis hinweg, das
Benedetta mit der jungen Nonne Bartolomea (Daphné Patakia) beginnt, doch
nach ihrer Absetzung hat Felicita genug. Sie sucht in Florenz den
zuständigen päpstlichen Nuntius (Lambert Wilson) auf, der endgültig klären
soll, ob Benedetta tatsächlich Visionen hat oder ob sie eine Betrügerin
ist.
## Fasziniert von christlichen Legenden
Paul Verhoeven ist zwar bekennender Atheist, aber fasziniert von
christlichen Erzählungen und Legenden. Selbst ein Film wie „Robocop“ spielt
mit dem Bild der Auferstehung, auch wenn es hier ein Polizist ist, der als
halber Roboter in einer Dystopie für brutale Ordnung sorgt.
Verhoeven plante lange einen Film über die Grauen der Kreuzzüge, der kurz
vor Drehstart abgesagt wurde, und er war während seiner Zeit in Hollywood
Mitglied des sogenannten „Jesus-Seminars“, einer Gruppe von
Wissenschaftlern und Forschern, die ein möglichst genaues Bild des Menschen
Jesus zeichnen wollen. In diesem Zusammenhang entstand Verhoevens 2009
veröffentlichtes Sachbuch „Jesus – Die Geschichte eines Menschen“, der d…
Person Jesu Christi frei von den Ausschmückungen der Evangelien beschreibt.
Mehr als einen Atheisten muss man Verhoeven wohl als einen Kritiker der
Institution Kirche verstehen, der zwischen einem wie auch immer gearteten
Glauben an höhere Mächte und den machtpolitischen und wirtschaftlichen
Interessen einer Organisation unterscheidet, die den Glauben der Menschen
ausnutzt.
Dass er mit dieser Haltung inzwischen offene Türen einrennt, lässt
„Benedetta“ weniger bemerkenswert wirken, als es vielleicht beabsichtigt
war. Wenn Äbtissin Felicita gleich zu Beginn eine Mitgift für die Aufnahme
von Benedetta fordert und betont, dass eine Hochzeit ihren Vater viel
teurer kommen würde, wird überdeutlich, wo das eigentliche Übel sitzt.
## Querdenker und falsche Propheten
Ob Benedetta eine Betrügerin ist oder nicht, ob sie tatsächlich Visionen
hat, in denen sie Jesus am Kreuz begegnet, oder sich ihre Stigmata mit
einer Scherbe selbst zufügt, spielt keine Rolle. Viel wichtiger ist, dass
es gerade ihr sexuelles Erwachen ist, das Benedetta in ihrem Glauben
bestärkt. Emotionen also, die gerade in den Mauern eines Klosters von der
Institution Kirche verdammt werden – zumindest nach außen hin.
Doch trotz betont provokanter Momente wie softpornoartigem lesbischen
Nonnensex oder einem aus einer Marienstatue geschnitzten Dildo muten gerade
die expliziteren Momente von „Benedetta“ ein wenig berechnend an. Gerade
das westliche, liberale Publikum, für das Verhoeven seinen Film gedreht
hat, dürfte der Kirche gerade in ihrer institutionellen Form inzwischen
ohnehin deutlich kritischer gegenüberstehen, als es noch vor wenigen
Jahrzehnten der Fall war.
Angesichts solcher, betont auf Skandal getrimmten Bilder droht ein
überraschend zeitgemäßer Aspekt der Geschichte übersehen zu werden: der
Fanatismus, den eine kaum zu bremsende Plage auslöst, die das Kloster und
die es umgebende Stadt erfasst. Die Pest wütet und mit ihr [2][Querdenker
und falsche Propheten]. Zumindest in dieser Hinsicht hat Paul Verhoeven den
Finger am Puls der Zeit.
2 Dec 2021
## LINKS
[1] /Spielfilm-Elle-von-Paul-Verhoeven/!5384791
[2] /Innenminister-gegen-Coronaprotest/!5819264
## AUTOREN
Michael Meyns
## TAGS
Spielfilm
Nonne
lesbisch
Renaissance
Italien
DVD
Film
Spielfilm
Isabelle Huppert
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