# taz.de -- Film „Love, Spells and All That“ auf DVD: Gelöstes kann sich n… | |
> Der Spielfilm „Love, Spells and All That“ von Ümit Ünal erzählt vom | |
> schwierigen Wiedersehen zweier Frauen. Seine Hauptdarstellerinnen sind | |
> großartig. | |
Bild: Verzaubert: Eren (Ece Dizdar) in „Love, Spells and All That“ | |
Erst ist da nur eine Frau, die einer anderen folgt, beide sind so Ende | |
dreißig. Die eine ist gerade angekommen, auf einer kleinen türkischen | |
Insel, das Meer im Hintergrund, viele Bäume, steile Hänge, nicht viel los | |
auf den Straßen. Die Verfolgte wehrt, angesprochen, die andere ab. Es ist | |
nicht so, dass sie sie nicht erkennt. Sie will sie nicht kennen. | |
Die Vorgeschichte, die die beiden verbindet, liegt lange zurück. Von dieser | |
Vorgeschichte erzählt der Film „Love, Spells and All That“ in der | |
Auseinandersetzung, die sich zwischen den beiden entspinnt. Er erzählt von | |
einer zunächst fast gewaltsamen Wiederannäherung, davon, wie Vergangenes | |
nicht vergangen sein soll, wie zwei darum ringen, ein begrabenes Glück neu | |
zu gewinnen. | |
Die Frau, die der anderen folgte, heißt Eren (Ece Dizdar), trägt ärmelloses | |
Top und Kurzhaarfrisur. Sie hat in Paris studiert, über [1][Lacan] | |
promoviert, ist auf dieser Insel aufgewachsen, war zwanzig Jahre lang nicht | |
mehr hier. Die verfolgte Frau heißt Reyhan (Selen Uçer), trägt wenig | |
modische Kleidung und Verbitterung im Gesicht. | |
Die gemeinsame Vergangenheit der beiden, stellt sich in den Dialogen | |
zwischen ihnen heraus, liegt zwanzig Jahre zurück. Sie hatten als Teenager | |
eine Affäre, die große Liebe, dachten sie beide, dann hat sie Reyhans | |
Mutter im Bett erwischt, statt großer Liebe großer Skandal, sie wurden | |
getrennt und sahen sich nie wieder. | |
## Zauberbann für ewige Liebe | |
Bis jetzt. Das Leben ging jeweils sehr anders weiter. Wobei sie auch damals | |
schon aus sehr verschiedenen Verhältnissen stammten. Erens Vater ein | |
wichtiger Mann, Minister mit Geld, Reyhans Vater war nur der Gärtner im | |
schönen Haus auf der Insel. Und so war Erens Unglück privilegiert bis nach | |
Paris. | |
Reyhan dagegen wurde von der Insel vertrieben, kehrt erst zurück, als sich | |
keiner mehr an sie erinnert. Sie führt eine freudlose Existenz, knappes | |
Auskommen, die Bücher verkauft, die Neugier vergessen, lebt zusammen mit | |
einem Mann, den sie nicht liebt. Und doch fühlt sie sich von Eren, die aus | |
heiterem Himmel hier auftaucht, zunächst eher gestalkt als erlöst. | |
In ihrer Verzweiflung hat sie einst einen Zauberbann über Eren aussprechen | |
lassen: Sie möge sie immerdar lieben. Den will sie nun zurücknehmen lassen. | |
Eren kann gar nicht glauben, dass Reyhan an solche Praktiken glaubt. Reyhan | |
hält ihr die komplette Ahnungslosigkeit der Privilegierten vor, der die | |
Spur ins Leben der Reichen und Intellektuellen trotz allem gebahnt blieb. | |
## Bewegung der Körper und der Wörter | |
Die Klassendifferenz, der Skandal, den eine lesbische Beziehung in der | |
traditionellen Gesellschaft ausgelöst hat, die fast gewaltsame | |
Wiederannäherung als Verschränkung von Gestern und Heute – das klingt zwar | |
nach einer etwas schematischen Konstruktion. | |
Das Großartige am Film des Regisseurs und Drehbuchautors Ümit Ünal ist | |
aber: Die beiden Hauptdarstellerinnen verleihen der Konstruktion blühendes | |
Leben. Es ist eine Freude, ihrem Sprechen, Zögern, Drängen zu folgen, | |
Reyhans Kampf nicht nur mit Eren, sondern auch mit sich selbst, Erens | |
Verzweiflung angesichts des Widerstands der Freundin, bis hin zum Zweifel, | |
ob sie das Richtige tut. Sie sind, wie der Dialog, fast ständig in | |
Bewegung, Hügel hinauf, Straßen hinab, zur Magierin, die den Bann sprach | |
(nur deren Sohn lebt noch da), zum Haus, in dem Eren einst lebte. | |
Erst in dieser doppelten Bewegung, der der Körper und der der Wörter, | |
beginnen sich Dinge, Erinnerungen, Verhärtungen und Widerstände zu lösen. | |
Und was sich gelöst hat, kann sich neu und wieder und anders verbinden. Der | |
Film lebt auch von der Spannung, ob das Unmögliche möglich sein, ob alles | |
zwanzig Jahre zu spät doch noch gut ausgehen kann. In Wahrheit ist aber der | |
Weg schon das Ziel, die beglückende Zeit, die man mit Eren und Reyhan | |
verbringt. | |
15 Sep 2022 | |
## LINKS | |
[1] /Lacans-Schriften-auf-deutsch/!5398184 | |
## AUTOREN | |
Ekkehard Knörer | |
## TAGS | |
DVD | |
Spielfilm | |
Türkei | |
lesbisch | |
Spielfilm | |
Türkei | |
Filmbranche | |
Paarbeziehungen | |
Spielfilm | |
Kino | |
## ARTIKEL ZUM THEMA | |
Spielfilm „Two“ über Kinderwunsch: Der Hund ist stets zugegen | |
In ihrem Film "Two" erzählt die Regisseurin Astar Elkayam von einem | |
lesbischen Paar mit Kinderwunsch. Die Sache ist einfach und kompliziert | |
zugleich. | |
Film über türkischen Zoodirektor: Die Farben des Winters in Ankara | |
Blick vom Stadtrand: „Der anatolische Leopard“ ist das Spielfilmdebüt von | |
Emre Kayış. Es schildert den Wandel der Türkei in leisen Tönen. | |
Filmförderung in Norddeutschland: Push für Frauen im Film-Business | |
Die Filmbranche ist noch immer von Männern dominiert. Doch die Moin | |
Filmförderung hat neue Ansätze, um an diesem Dauerzustand zu rütteln. | |
Dokumentarfilm zu Patricia Highsmith: Eine ewig Suchende | |
Die Doku „Loving Highsmith“ beleuchtet das Leben der Schriftstellerin | |
Patricia Highsmith. Der Film ist auch ein Porträt queerer Zeitgeschichte. | |
Film „Benedetta“ über lesbische Nonne: Begehren stärkt den Glauben | |
Der Spielfilm „Benedetta“ von Provokateur Paul Verhoeven erzählt von einer | |
lesbischen Nonne in der Renaissance. Aktuelle Fragen stellt er nebenbei. | |
Queerfilmnacht geht online: Gegen die Unsichtbarkeit | |
Die Queerfilmnacht bringt queeres Kino auf Kleinstadtleinwände in Parchim | |
oder Weiterstadt. Wegen des Lockdowns findet sie digital statt. |