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# taz.de -- Filmförderung in Norddeutschland: Push für Frauen im Film-Business
> Die Filmbranche ist noch immer von Männern dominiert. Doch die Moin
> Filmförderung hat neue Ansätze, um an diesem Dauerzustand zu rütteln.
Bild: ​Roadmovie ohne Männer: Hauptrollen und Regie übernehmen im Kinofilm …
Hamburg taz | Nichts läuft wie geplant, als sich drei Frauen in einer
gelben Familienkutsche auf den Weg zur Hochzeit ihrer Freundin in Italien
machen. Im Gepäck haben sie einen Vibrator und später eine Leiche – vor
allem aber ganz unterschiedliche Lebensgeschichten. „Mir war es wichtig,
eine Geschichte zu erzählen, die Frauen in ihrer Vielschichtigkeit zeigt“,
sagt Julia Becker, die Drehbuchautorin und [1][Regisseurin des Roadmovies
„Over & Out]“. Gefördert hat den Kinofilm die Moin Filmförderung Hamburg
Schleswig-Holstein mit 400.000 Euro.
So ein Film mit vier weiblichen Hauptdarstellerinnen und einer weiblichen
Regisseurin [2][ist immer noch keine Selbstverständlichkeit] im deutschen
Kino. Der Branche mangelt es seit Jahren an Geschlechtergerechtigkeit vor
und hinter der Kamera. Eine Studie der Universität Rostock von 2021 zeigt
zum Beispiel, dass bei 390 deutschen Kinofilmen zwischen 2017 und 2020 in
fast 75 Prozent der Fälle Männer Regie führten.
Die Moin Filmförderung Hamburg Schleswig-Holstein will das ändern und hat
im Jahr 2020 die eigenen Förderrichtlinien umgekrempelt. Das Ziel: mehr
Geschlechtergerechtigkeit, so beschreibt es Moin, ein öffentliches
Unternehmen der Länder Hamburg und Schleswig-Holstein, auf der eigenen
Webseite.
Zum einen müssen Antragstellende einen Fragenkatalog ausfüllen: Sind die
Geschlechter in der Geschichte ausgeglichen repräsentiert? Werden
klischeehafte Rollenbilder vermieden? Gibt es Möglichkeiten, um Beruf und
familiäre Verpflichtungen miteinander zu vereinbaren? Das sind einige der
Fragen, denen sich Filmschaffende stellen müssen, wenn sie Geld von der
Moin Filmförderung bekommen wollen.
Die [3][sogenannten „Diversity Checklisten“] gibt es für verschiedene
Förderbereiche und sind verpflichtend auszufüllen – ein Novum im deutschen
Filmfördersystem.
## Gremien werden diverser besetzt
Die zweite wichtige Änderung ist eine Umstellung in den Fördergremien, wie
Moin auf taz-Anfrage mitteilte. „Für uns war es schon immer wichtig, dass
in unseren Fördergremien möglichst genauso viele Frauen wie Männer sitzen,“
sagt Claudia Hartmann, Pressesprecherin der Moin Filmförderung. So ist es
auch im Hamburgischen Gleichstellungsgesetz festgelegt.
Darüber hinaus entscheiden seit einer Neuaufstellung im Jahr 2020 auch
Branchenfachleute, die marginalisierten Gruppen angehören, über die
Mittelvergabe. Seitdem fließe ein sehr breites und inspirierendes
Meinungsbild in die Förderentscheidungen ein. „Neben den
Diversitätschecklisten ist die Besetzung der Gremien unsere entscheidende
Maßnahme, mit der wir dazu beitragen wollen, die Filmbranche diverser
aufzustellen.“
Als Regisseurin Becker die Fördermittel erhielt, galten diese Maßnahmen
bereits. Sehen Kinobesucher*innen künftig also mehr Filme à la „Over
& Out“ – oder hat die Filmförderung [4][noch keinen echten Schritt in
puncto Geschlechtergerechtigkeit gemacht]?
Die taz hat die Zahlen aus der Antragsdatenbank der Moin Filmförderung im
Bereich der Produktionsförderung angefragt und ausgewertet. Die Produktion
ist der wichtigste Förderbereich. Sie umfasst die Vorbereitung und
Umsetzung der Dreharbeiten sowie den finalen Schnitt des Films. Dort
entsteht das, was die Zuschauenden später auf den Kinoleinwänden und
TV-Bildschirmen zu sehen bekommen. Laut aktuellem Jahresbericht der
Filmförderung Hamburg Schleswig-Holstein entfielen im Jahr 2021 rund 74
Prozent der gesamten Fördermittel von 11.885.000 Euro auf die Produktion.
Moin erfasst bei der Antragstellung, wer Produzent*in, Regisseur*in und
Drehbuchautor*in des Filmprojekts sind. Das sind die drei Gewerke, die
zum Zeitpunkt der Antragsstellung in der Regel bereits besetzt sind. Ein
Blick auf die Zahlen im Jahr 2019 zeigt, dass 38 Prozent der
Produktionsförderungen an Frauen gingen – alle Funktionsbereiche
zusammengenommen. Im Jahr 2021 lag dieser Wert schon bei 44 Prozent. Im
Zeitraum von 2019 bis 2021 hat die Moin Filmförderung sukzessive weniger
Männer gefördert.
## Das große Geld geht an Männer
Das Verhältnis von Frauen und Männern bewegt sich somit zunehmend auf 50:50
zu. Erreicht ist das Ziel aber noch nicht. „Das große Geld geht an
männliche Film- und Serienmacher“, sagt Cornelia Köhler, Vorständin von
Women in Film and Television Germany (WIFT), einem Businessnetzwerk, das
sich für mehr Geschlechtergerechtigkeit und Diversität in der Branche
einsetzt. „Frauen erhalten immer noch deutlich weniger Fördermittel und
sind dadurch in ihren Möglichkeiten beschränkt.“ Auch die taz-Auswertung
zeigt hinsichtlich der Gelderverteilung Nachholbedarf.
In den Förderkategorien „Director’s Cut“ und „Kurz + Innovativ“ stel…
Frauen im Jahr 2021 zwar sogar die Mehrheit. Allerdings sind die Mittel in
diesen beiden Bereichen begrenzt, wie ein Blick auf die Moin-Website
verrät. In „Kurz + Innovativ“ werden kleine Projekte wie zum Beispiel
Kurzfilme von bis zu 50.000 Euro gefördert.
Im „Director’s Cut“ landen Filme und Serien mit Herstellungskosten von bis
zu 3,5 Millionen Euro. Alles darüber gehört zur Kategorie „High End“ – …
werden die großen Fördersummen vergeben. Und dort dominieren weiterhin
männliche Produzenten, Regisseure und Autoren. Ihr Anteil im „High
End“-Bereich lag 2021 bei 78 Prozent.
Ähnlich lesen sich die Zahlen des aktuellen Jahresberichtes der
Filmförderung, der eine Analyse zum Gewerk Regie in der
Produktionsförderung enthält. Von knapp 19 Millionen Euro Fördermitteln in
den Jahren 2020 und 2021 gingen 70 Prozent an männliche Regisseure.
Das Zwischenzeugnis fällt also gemischt aus. Sind die Moin-Ansätze da
ausreichend?
Dazu hilft ein Blick auf die deutsche Filmbranche insgesamt. Schon im Jahr
2017 erscheinen zwei viel beachtete Publikationen zum Thema Vielfalt und
Geschlechtergerechtigkeit – eine Studie der Universität Rostock im Auftrag
von ARD und ZDF und die Studie „Gender und Film“ der Filmförderungsanstalt,
Deutschlands nationaler Filmförderinstitution.
Beide Untersuchungen kommen zu demselben Schluss. Männer sind in der
Filmbranche klar überrepräsentiert. Die ARD- und ZDF-Studie zeigt, dass bei
rund 1.400 Produktionen der beiden Sender zwischen 2011 und 2015 in nur 17
Prozent der Fälle eine Frau oder ein Team aus Frauen Regie führte.
## Bequemlichkeit macht es Frauen schwer
„Es tut sich was in der deutschen Filmbranche, aber in Baby-Schritten“,
sagt Vorständin Köhler von WIFT. „Die Filmbranche verlässt sich häufig
immer noch auf Netzwerke, die schon lange bestehen und von Männern
dominiert werden.“ Produktionsfirmen und Entscheider gingen zu häufig nach
dem Motto „Das haben wir schon immer so gemacht“ vor. Diese Bequemlichkeit
mache es Frauen schwer, Regie- und Drehbuchaufträge zu erhalten.
Dass die Moin Filmförderung da mit ihren Ansätzen schon ziemlich weit vorne
steht, zeigt auch ein Vergleich zur niedersächsischen Filmförderung
Nordmedia. Die teilt auf taz-Anfrage mit, dass sie anders als Moin bisher
keine Daten zum Thema Diversität erhebt.
Anette Unger ist Produzentin bei der unabhängigen Hamburger
Produktionsfirma Leitwolf. Sie hält viel von den Diversitätschecklisten,
die Moin verbindlich eingeführt hat: Diese „haben bei uns schon zu einer
Umstellung und einer bewussteren Auswahl des Teams geführt“. Leitwolf hat
seit Einführung der Listen für mehrere Projekte Fördermittel erhalten.
„Die Diversitätscheckliste sollte sich flächendeckend durchsetzen“, meint
auch Esther Gronenborn, Vorständin der Initiative „Pro Quote Film“. „Es
schärft das Bewusstsein, wenn Firmen im Vorfeld darüber nachdenken, was ein
Film erzählt, oder wie das Team vor und hinter der Kamera besetzt ist.“
Fragenkataloge allein reichten aber nicht aus: „Es braucht weitere
Maßnahmen, um die tief verwurzelte strukturelle Benachteiligung zu
beseitigen“, sagt Gronenborn.
Die Initiative schlägt, ihr Name lässt es vermuten, eine feste
Quotenregelung vor. Öffentliche Mittel sollten demnach
geschlechterparitätisch vergeben werden. „Eine Quote ist deswegen sinnvoll,
da sie verbindlicher als eine Checkliste ist und ein wirkliches Umdenken
stattfinden kann“, sagt Gronenborn. Um eine Quote zu erfüllen, müssten
Redaktionen und Produktionsfirmen ihre Netzwerke schärfen und könnten sich
nicht auf eingespielte Wege verlassen.
Bei der Moin Filmförderung gibt es eine solche Geschlechterquote aktuell
noch nicht. „Eine Quote kann in bestimmten Bereichen durchaus ein
hilfreiches Instrument sein. Aber nur, wenn sie intelligent eingesetzt
wird“, sagt Moin-Pressesprecherin Hartmann. Eine pauschale Quote sei nicht
die beste Lösung, weil die Tücken im Detail lägen.
So gebe es zum Beispiel im Highend-Segment zu wenige Anträge mit weiblicher
Regie. „Hier wünschen wir uns ein stärkeres Engagement der Player, die in
diesem Marktsegment aktiv sind. Das Empowerment muss ganz klar schon vor
der Einreichung bei der Förderung stattfinden“, sagt Hartmann. Die
Filmförderung arbeite gerade an weiteren Diversitätsmaßnahmen, sei aber
noch in der Entwicklungsphase.
Wie wichtig die Suche nach weiteren Lösungen und Maßnahmen ist,
unterstreicht Gronenborn: Es gehe bei der Debatte um Diversität und
Geschlechtergerechtigkeit durchaus um das Überleben der Film- und
Kinolandschaft. „Es braucht dringend einen Kulturwandel und Innovation.“
Mika Dittler studiert Journalistik und Kommunikationswissenschaft an der
Uni Hamburg. Dieser Text ist im Rahmen eines Recherche-Seminars in
Kooperation mit der taz nord entstanden.
17 Sep 2022
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## AUTOREN
Mika Dittler
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