# taz.de -- „Woman make film“ im Arsenal: Vom Regime aus dem Verkehr gezogen | |
> Erst das Graben in der Filmgeschichte lässt viele Regisseurinnen wieder | |
> sichtbar werden. Ob aus China oder Bulgarien, das Arsenal stellt sie vor. | |
Bild: Binka Zhelyazkova gilt heute als erste und wichtigste Regisseurin Bulgari… | |
Lange Zeit schien es eine Tatsache zu sein, dass nur wenige Frauen Filme | |
gedreht und noch weniger zum Weltkino gehört hätten. Noch 2004 erschien ein | |
Ratgeber zur Filmbildung, in dem deutsche Filmfachleute unter den hundert | |
besten Filmen, die man gesehen haben müsse, keinen einzigen von einer | |
Regisseurin nannten. Im Nachhinein wusste niemand so recht, wie das | |
passieren konnte, aber da liegt die Crux. | |
[1][Viel wird nicht erst seit diesem Beispiel über die | |
Ausschlussmechanismen nachgedacht], die solche Fehlleistungen verursachen, | |
klar ist aber, dass sie nachwirken und neue produzieren. Inzwischen | |
entstehen jedoch immer mehr Initiativen, die interessante Regisseurinnen | |
wiederentdecken und die kulturellen und politischen Bedingungen ihrer | |
vergessenen Arbeit erforschen. | |
Eine solche Grabungsarbeit unternahm der britische Filmemacher und | |
Journalist Mark Cousins, als er 2018 beim Filmfestival in Venedig seine | |
14-stündige Dokumentation „Women make Film“ vorstellte – ein Projekt zur | |
Wiedergutmachung, weil er zuvor über die Geschichte des Dokumentarfilms | |
gearbeitet hatte und erst nach Fertigstellung bemerkte, dass er keine | |
einzige Frau an Bord seines filmgeschichtlichen Riesentankers genommen | |
hatte. | |
## Markierung als exotische Fundstücke | |
Bedauerlich ist, dass Cousins', vom British Film Institute veröffentlichte | |
Studie die Galerie der (vergessenen) Regisseurinnen wieder als besondere, | |
fast exotische Fundstücke markiert. Bis zu einer selbstverständlichen | |
Wertschätzung in einem neu zu schreibenden Filmkanon scheint es noch ein | |
weiter Weg. | |
[2][Das Arsenal Kino unternimmt ab heute eigene Schritte, um | |
Filmemacherinnen zur verdienten Sichtbarkeit zu verhelfen]. Es präsentiert | |
über vier Monate lang Arbeiten von dreizehn kaum bekannten Regisseurinnen | |
aus unterschiedlichen Ländern und Epochen und führt in die spannenden | |
Hintergrundgeschichten ihrer Biographien und gebrochenen Karrieren ein. In | |
mehreren Blöcken, beginnend am 11. September, steht auch Mark Cousins | |
„Women make Film. A new Road Movie through Cinema“ (Teil 1. am 11. 9. 19:30 | |
Uhr) auf dem Programm. | |
Jeder Film läuft nur einmal, daher empfiehlt sich eine gute Planung. Den | |
Anfang macht „Dong Fu Ren“ (The Arch, 1970), ein Schwarzweißfilm der aus | |
Südchina stammenden, in Hongkong basierten und in Kalifornien lebenden | |
Regisseurin Tang Shu Shuen, die heute zu den frühen Leitfiguren des neuen | |
Kinos in Hongkong gerechnet wird. „Sup Sap Bup Dup“ (1975) ist eine Satire | |
auf das moderne Hongkong und vier schräge Frauen, deren Alltag sich | |
vollkommen um das Mahjong-Spiel dreht. | |
## Die Konvention steht dem Glück entgegen | |
Ganz anders ihr Debüt „Dong Fu Ren“, der am 9. +10. 9. um 20 Uhr läuft: | |
Gemessen, elegant, mit einem an Ozu-Filme angelehnten Touch schildert Tang | |
Shu Shuen darin das heimliche Begehren einer Dorfschullehrerin und Witwe, | |
die sich in einen Offizier der kaiserlichen Armee zur Zeit der | |
Ming-Dynastie verliebt, der in ihrer Schule einquartiert wird. | |
Kaum verhehlte Gefühle in einem blitzartigen Augenaufschlag, eine | |
versehentliche Berührung der Hände, zufällig gefundene Gedichte des | |
Begehrten bleiben ihre einzige Sprache in diesem melancholischen Porträt | |
einer Epoche, in der das individuelle Glück einer Frau unter den | |
Konventionen begraben wird. | |
Vier Filme der bulgarischen Regisseurin Binka Zhelyaskova, die heute als | |
erste und wichtigste Regisseurin ihres Landes gilt, runden den ersten | |
Programmblock ab (ab 14. September). Ihre sieben Spielfilme setzen sich | |
vieldeutig mit der Geschichte Bulgariens im zweiten Weltkrieg und der | |
hierarchischen kommunistischer Parteidoktrin auseinander und wurden vom | |
Regime aus dem Verkehr gezogen. | |
Darunter ist „Privarzaniyat Balon“ (1967), die skurrile Geschichte eines | |
Dorfes, das sich vergeblich gegen einen über den Dächern schwebenden, | |
paternalistisch sprechenden Ballon wehrt. Wiederentdeckt auf dem | |
Filmfestival in Thessaloniki 2021, sind ihre Filme Beispiele eines neuen | |
bulgarischen Kinos der 1960er und 1970er Jahre und endlich auch bei uns zu | |
sehen. | |
9 Sep 2022 | |
## LINKS | |
[1] /Gendergerechtigkeit-auf-der-Berlinale/!5572626 | |
[2] https://www.arsenal-berlin.de/kino/filmreihe/women-make-film/ | |
## AUTOREN | |
Claudia Lenssen | |
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