# taz.de -- Spielfilm „Elle“ von Paul Verhoeven: Lob der komplizierten Frau | |
> Zwischen Thriller, Horrorfilm und Farce: In „Elle“ spielt Isabelle | |
> Huppert eine unberechenbare Frau. Sie ist dabei eine Offenbarung. | |
Bild: Im Film geht es auch um Sex und Gewalt | |
Es gibt keine Sicherheiten in Paul Verhoevens neuem Film. Das wird bereits | |
deutlich, bevor wir das erste Kamerabild sehen. Noch während des schwarzen | |
Vorspanns hören wir die Schreie einer Frau, die wir dann als Opfer eines | |
Gewaltverbrechens erblicken, im eigenen Haus in einem Meer aus zerbrochenem | |
Geschirr auf dem Boden liegend. | |
Ein schwarz maskiertes Phantom war in die Stadtvilla der Unternehmerin | |
Michèle Leblanc (Isabelle Huppert) eingedrungen, um sie zu vergewaltigen. | |
Zwar lässt sie später die Schlösser auswechseln, kauft Pfefferspray und | |
eine Axt, den Übergriff meldet sie aber nicht, bestellt sich stattdessen | |
Sushi und lügt später über den Ursprung ihrer Blessuren. Begreiflich soll | |
das nicht sein. | |
Aus der fehlenden Sicherheit, so eine Frauenfigur irgendwie lesen oder | |
verstehen zu können, zieht „Elle“ seine größte Spannung. Das verdankt der | |
Film vor allem seiner Hauptdarstellerin, aber auch dem wunderbar | |
unvorhersehbaren Drehbuch von David Birke (der hier den Roman „Oh …“ von | |
Philippe Djian adaptiert hat). „Elle“, einfach „Sie“ heißt im Filmtitel | |
diese Figur, die Isabelle Huppert als „neuen Typ Frau“ und als | |
„postfeministisch“ bezeichnet und damit das ausdrückt, was die | |
feministische Filmemacherin Tatjana Turanskyj einmal lobend über die | |
Frauenrollen des umstrittenen Regisseurs Paul Verhoeven sagte: dass sie | |
nicht nur komplex, sondern kompliziert sind. | |
## Vom Skandal zur Filmgeschichte | |
Die lautesten Skandale verursachten bei Verhoeven, zurzeit Jury-Präsident | |
der Berlinale, sicherlich die des Mordes verdächtige bisexuelle | |
Romanautorin Catherine Tramell (Sharon Stone) in „Basic Instinct“ (1992) | |
und Elizabeth Berkley als skrupellose Tänzerin Nomi Malone in „Showgirls“ | |
(1995) – zwei Frauenfiguren, die damals entweder Proteste oder Häme | |
ernteten, aber heute aus der neueren Filmgeschichte nicht mehr wegzudenken | |
sind. | |
Natürlich geht es auch in „Elle“ um Sexualität und Gewalt, und doch auch … | |
in schnell verstreichenden Momenten – um Psychoanalyse, Religion, Klasse, | |
Literatur und Computerspiele. Michèle Leblanc leitet die kreative | |
Produktion und Animation von Ego-Shooter-Spielen, in denen Monster ihre | |
Tentakel in die Köpfe junger, sexualisiert gezeigter Frauen schießen. | |
Leblanc hat nach dem ersten Testlauf deutliche Kritik: Das Zucken auf dem | |
Gesicht der sterbenden Frau sei ihr nicht realistisch genug. Ein weiterer | |
Moment, bei dem einem im Kinosaal der Mund offen stehen bleiben könnte, | |
doch zeichnet sich im Laufe des Film langsam ab, dass man Eigenschaften wie | |
Normalität und Vernunft in Angesicht von dysfunktionalen Beziehungen, | |
monströsen Familiengeschichten und schwachen Männern ständig neu überdenken | |
muss. | |
## Immer neue Sackgassen | |
Moral und Psychologie werden derart rasant in immer neue Sackgassen | |
getrieben, dass es kaum verwundert, dass Verhoeven in den USA keine | |
GeldgeberInnen für das Projekt fand und den Schauplatz deshalb (und | |
dankbarerweise) nach Paris verlegen musste. Dem Unterhaltungswert des | |
Filmes tut dies allerdings keinerlei Abbruch. Verhoeven springt so | |
meisterlich zwischen Thriller, Familendrama, Horrorfilm und Farce hin und | |
her, dass man über zwei Stunden gebannt und erwartungsfroh staunt, in | |
welche Richtung der Film wohl in der nächsten Szene ausscheren wird. | |
Isabelle Huppert, gerade für ihren ersten Oscar nominiert, ist dabei, so | |
abgedroschen es klingen mag, eine Offenbarung. Atemberaubend angstfrei und | |
kompromisslos ist ihre Performance, souverän gelingt ihr die Verkörperung | |
dieser bis zum Ende überraschenden Rolle, wobei Huppert nach eigenen | |
Angaben die meiste Zeit des Drehs die Eigenregie über ihr Spiel besaß. | |
Ihre Michèle Leblanc ist eine harte Chefin, die sich gegen ihre männlichen | |
Kollegen zur Wehr setzt, sie ist eine Geliebte, eine gute Freundin, eine | |
sarkastische Mutter, eine zynische Tochter, eine Verführerin, eine | |
freundliche Nachbarin, eine Sadistin, eine Masochistin und letztlich ein | |
Opfer, auf das dieser Begriff nicht passen will. | |
Sicherheiten über irgendeine dieser Zuschreibungen kann es dabei allerdings | |
im ganzen Film nie definitiv geben und das liegt, wie bei vielen anderen | |
Rollen Isabelle Hupperts, an ihrem physischen und mimischen Gestus, der nie | |
zu viel preisgeben möchte. Man mag ihr oftmals kühles Spiel als manieriert | |
bezeichnen, doch gerade die kleinen komischen Momente im Film, wenn ihre | |
Figur innerlich augenrollend den Kopf wegdreht oder laut loslacht, um sich | |
dem Irrsinn ihrer exzentrischen Familie zu verwehren, brechen großartig mit | |
der kontrollierten Ernsthaftigkeit einer Figur. | |
Huppert schafft es, ihre Rolle im Angesicht fehlender Sicherheiten komplex | |
und bis zum Ende eben kompliziert bleiben zu lassen – ein Eigenschaft, die | |
sie mit viel zu wenigen Frauenfiguren im Kino teilt. | |
15 Feb 2017 | |
## AUTOREN | |
Toby Ashraf | |
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