# taz.de -- Französisches Starkino: Pilgerfahrt im Death Valley | |
> Mit dem eigenen Mythos spielen: Guillaume Nicloux schickt Isabelle | |
> Huppert und Gérard Depardieu in „Valley of Love“ in die Wüste. | |
Bild: Nichts als Stille um Isabelle und Gerard, im Schatten einer Felswand hock… | |
Ankunft im kalifornischen Death Valley. Begleitet von einem suggestiven | |
Trompetensolo folgt die Kamera Isabelle (Isabelle Huppert) auf ihrem | |
hypnotisch endlosen Gang durch eine saftig begrünte Hotelanlage am Rand der | |
heißesten Wüste Amerikas. In dieser real absurden, quasidokumentarisch | |
gefilmten Komfortzone samt Pool und gigantischem Supermarkt wartet die | |
allein reisende Frau auf den schwergewichtigen Gérard (Gérard Depardieu), | |
ihren genervten Partner, in einem existenziellen Grenzgängerspiel. | |
„Valley of Love“ nennt der französische Autorenfilmer Guillaume Nicloux den | |
Schauplatz seiner sinistren Beziehungsgeschichte. Vor Jahren erlebte er bei | |
einem Trip in die Landschaft des ausgetrockneten Urmeers eine Vision, in | |
der er seinen verstorbenen Vater leibhaftig vor sich sah. Was, wenn ein | |
längst getrenntes Paar, beide Schauspieler mit vollkommen unterschiedlichen | |
Temperamenten, die Möglichkeitsdimension einer solchen Erweckungsszene | |
aushalten müssten? | |
Isabelle und Gérard treffen aufeinander, so die Grundidee des Drehbuchs von | |
Guillaume Nicloux, weil ihr gemeinsamer Sohn vor seinem Selbstmord je einen | |
Brief an den Vater und die Mutter sandte. In den Briefen bittet er sie, | |
während einer vorgegebenen Woche bestimmte mythische Landmarken im Death | |
Valley gemeinsam aufzusuchen. Wenn sie seinen Anweisungen folgten, würde er | |
Zeichen senden und für ein letztes Treffen zu ihnen zurückkehren. | |
## Vor unglaublichen 35 Jahren | |
Man kann dieses Setting für esoterischen Quark halten oder ein Drama um die | |
fatale Macht optischer Täuschungen in der sonnendurchglühten Landschaft | |
unterstellen – egal. Denn „Valley of Love“ ist als subtiles Spiel mit | |
Kinophantasmen mitreißend. | |
Nicloux schickt zwei französische Ikonen, die vor unglaublichen 35 Jahren | |
in Maurice Pialats Film „Der Loulou“ eine legendäre Amour fou verkörperte… | |
unter ihren tatsächlichen Namen Isabelle und Gérard in die Wüste. Die eine | |
für ihre unsentimentale schauspielerische Präsenz, der andere für seine | |
Lust an der Aura des Ekelpakets bekannt, schenken sich Isabelle Huppert und | |
Gérard Depardieu in der zu einer Horrorkomödie taugenden Konfrontation | |
nichts. | |
## Sie will das Spiel spielen | |
Isabelle verbirgt ihren inneren Aufruhr, die explosive Mischung von Trauer | |
und Schuldgefühlen, hinter einer bedingungslosen Zielstrebigkeit. Sie will | |
das Spiel spielen und trotz der unbarmherzigen Hitze alle mystischen | |
Treffpunkte aufsuchen, damit „es funktioniert“, während ihr Exmann die | |
„Pilgertour“ für bescheuert erklärt und lieber „einen Schlussstrich zie… | |
möchte. | |
Viele Jahre hatte Isabelle keinen Kontakt zu Michael, dem Sohn, nicht | |
einmal zu seiner Beerdigung war sie gekommen. Nur beiläufig erfährt Gérard, | |
dass auch ihre zweite Ehe kurz vor der Auflösung steht. Wenn er im | |
Hotelzimmer ihre Bitte erfüllt und Michaels Brief laut liest, bricht sie in | |
sich gekehrt in Tränen aus, bei den Fahrten zu Michaels Wegmarken im Death | |
Valley riskiert sie jedoch den Streit, wann immer Gérard den Wahnwitz ihres | |
Wunschs, den verlorenen Sohn wiederzusehen, andeutet. | |
Die beiden auf ihren einbeinigen Hockern im schwachen Schatten einer hohen | |
Felswand, um sie herum Stille – da wird die grandiose Landschaft zur Bühne | |
für zwei Komödianten, die sich über Gott und die Welt, Gérards Mangel an | |
Spiritualität und Isabelles Zuflucht zu einer Wahrsagerin streiten und | |
dabei näherkommen. „Valley of Love“ schildert den Schlagabtausch eines | |
Paars, das seine alte Vertrautheit wiederentdeckt. | |
## Amüsierte Liebeserklärung | |
Die Kamera hält im grellen Licht der Landschaft immer Abstand, selbst | |
Depardieus schwerer Körper wirkt nicht wie eine Karikatur. In den Blicken | |
der beiden glimmt die Erinnerung an ihre Leidenschaft wieder auf. Nicloux | |
treibt seine amüsierte Liebeserklärung an das Kino und seine Stars in einer | |
Szene weiter, in der zwei amerikanische Fans Gérard um ein Autogramm bitten | |
und ausgerechnet von ihm wissen wollen, in welchem Film sie ihn gesehen | |
haben könnten. Dépardieu gibt sich als Robert De Niro aus und riskiert | |
einen Kinnhaken. | |
Metaphysischer Ernst gewinnt im letzten Drittel des Films an Gewicht. Jetzt | |
ist es Gérard, der durchlässig wird für den Horror, den die Konfrontation | |
mit der eigenen Vergänglichkeit bereithält. Guillaume Nicloux findet | |
überraschend eindringliche Bilder, surreale Momente, die den scheinbar | |
selbstsicheren Mann aus der Bahn werfen und das Spiel um den angekündigten | |
Wiedergänger noch einmal öffnen. | |
21 Jan 2016 | |
## AUTOREN | |
Claudia Lenssen | |
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