Introduction
Introduction Statistics Contact Development Disclaimer Help
# taz.de -- Viva la Vulva: Brachliegende Möglichkeiten
> Es ist wieder soweit: Seit 10 Jahren ruft die Aktivistin Laura Mérrit den
> „MösenMonat März“ aus, einen Aktionsmonat rund um die Vulva.
Bild: „Vier nackte Frauen (die vier Hexen)“ von Albrecht Dürer
Es gibt diese hübsche Szene in Tom DiCillos Debütfilm „Johnny Suede“ von
1991: Johnny, naiver Rockabilly mit Riesentolle, erzählt seinem
Anstreicherkumpel Deke von der vergangenen heißen Nacht, die er mit einer
Frau verbracht hat. „Und“, rühmt sich Johnny, „dann hat sie mir gezeigt,…
dieser kleine Knopf da unten ist!“ – „Wusstest du etwa nicht, wo der ist?…
fragt Deke entrüstet zurück. „Doch, doch, klar“, behauptet Johnny, „abe…
jetzt könnte ich ihn auch im Dunkeln finden. Und das … ist ja ganz gut …
wenn ein Mann das kann.“
In der Tat. Das ist immer gut. Wenn eine Frau das kann, ist es sogar noch
besser. Erstaunlicherweise ist die weibliche Anatomie aber nach wie vor
auch vielen Frauen nicht ausreichend bekannt, um den Knopf im Dunkeln zu
finden. „Weil die sexuelle Bildung immer noch zu wünschen übrig lässt, und
trotz aller Sexualisierung des Alltags immer noch viel zu wenig Personen
über ihre Sexualorgane Bescheid wissen“, sagt Laura Mérrit, die seit genau
10 Jahren den „MösenMonat März“ – einen „Aktionsmonat rund um die Vul…
ausruft.
Die Kreuzberger Aktivistin, die sich auch für die sexpositiv-feministische
„PorYes“-Bewegung einsetzt, will mit den Veranstaltungen „die
Vielfältigkeit der Lust und das sexuelle Selbstbewusstsein stärken“. Denn
das ist anscheinend noch immer nötig. Das Verhältnis des Menschen zu seiner
Sexualität hat sich verändert, manche BeobachterInnen sprechen von einer
„Sexualisierung“ oder „Pornografisierung“. Gemeint ist: allgegenwärtige
Nacktheit in der Öffentlichkeit, Blockbuster-Filme zum Thema,
unkomplizierter und üblicher Pornokonsum, in großen Teilen der Gesellschaft
akzeptiertes selbstbestimmt-promiskuitives Verhalten beider Geschlechter.
Dennoch scheint die Hardware, der Körper selber, dabei unter den Tisch zu
fallen.
Auch in einem Film wie „Fifty Shades of Grey“, in den weltweit Millionen
ZuschauerInnen vor allem wegen der erhofften Sexsequenzen gehen, sind diese
Szenen von klischierten Darstellungen des alten Rein-Raus-Spiels geprägt,
das der Frau den sogenannten vaginalen Orgasmus leicht macht. Das
Strickmuster für viele Pornos: Er steckt rein, sie stöhnt, sie kommt, wenn
er kommt. Fertig.
Dass in Wirklichkeit nur ein sehr kleiner Prozentsatz von Frauen in
Missionarsstellung und ohne zusätzliche Reize orgasmieren kann, ignorieren
sämtliche Beteiligte und Verantwortliche für diese Bilder seit Jahrzehnten.
Die Pornoindustrie, sagt Mérrit, sei „sexistisch, rassistisch und
konservativ, dass es kracht. Die Deutungshoheit bekommen diese Bilder
jedoch“, erklärt sie, „durch das Schweigen gesellschaftlicher Mitte zu
lustvoller Sexualität“. Und zu einer wirklich lustvollen Sexualität gehört
eben auch die genaue Kenntnis von da unten, im Süden, und von den dort
brachliegenden Möglichkeiten: „In den aktuellen Anatomiebüchern werden die
Geschlechter meist noch komplementär und unterschiedlich abgebildet und auf
Fortpflanzung definiert, nicht auf Ähnlichkeiten. Die nicht so
unterschiedlichen Sexualorgane entstehen aber aus der gleichen Eizelle und
enthalten alle Anlagen“, sagt Mérrit und verweist auf den Workshop und
weitere Veranstaltungen (siehe Infokasten) unter anderem zur weiblichen
Ejakulation, die ebenfalls im Rahmen des „MöMoMä“ in ihrem Kreuzberger
„Freuden-Salon“ stattfinden.
Erst flirten, dann squirten scheint bislang vor allem in der queeren Welt
angekommen zu sein – die Anzahl an queeren und feministischen
Squirting-Filmen hat in den letzten Jahren stark zugenommen. Noch mal zur
Erinnerung: Squirting, das angeblich jede lernen kann, ist das lustvolle,
mit dem Höhepunkt verbundene Ausstoßen einer Flüssigkeit, die in der
weiblichen Prostata gebildet wird. Ein Organ, von dem eine Menge Menschen
noch nie gehört etwas haben, das aber bereits (oder auch erst) im Jahr 2002
von der Ficat (Federative International Committee for Anatomical
Terminology) als funktionierendes Sexualorgan in die internationale
medizinische Terminologie aufgenommen wurde.
Dabei ist evulotionsgeschichtlich noch nicht einmal geklärt, wozu es den
weiblichen Orgasmus überhaupt gibt – im Gegensatz zum männlichen hängt er
offensichtlich nicht direkt mit der Zeugung zusammen. Eine Theorie besagt
allerdings, dass das früher anders war.
Angeblich hat der einst den Eisprung ausgelöst und damit die Fortpflanzung
überhaupt erst möglich gemacht. Um ihn nicht irgendwann auszumendeln, muss
man ihn also hegen und pflegen. Und ihn selbstverständlich so oft wie
möglich praktizieren.
24 Feb 2017
## AUTOREN
Jenni Zylka
## TAGS
Sexualität
Schwerpunkt Feministischer Kampftag
Porno
Orgasmus
Homosexualität
Isabelle Huppert
Geschlechterkampf
## ARTIKEL ZUM THEMA
Studie zu weiblichen Orgasmen: Wissen macht ooohjaaaah
Frauen, die mit Frauen schlafen, haben häufig einen Orgasmus als Hetera –
verkündet eine Studie. Und woran liegt’s? Am Diskurs natürlich!
Monika Treut über queere Filme: „Es gab Proteste“
Lesbischer Sex und Sadomaso – die frühen Filme von Monika Treut wurden in
Deutschland ausgebuht, international waren sie Erfolge.
Spielfilm „Elle“ von Paul Verhoeven: Lob der komplizierten Frau
Zwischen Thriller, Horrorfilm und Farce: In „Elle“ spielt Isabelle Huppert
eine unberechenbare Frau. Sie ist dabei eine Offenbarung.
Ausstellung „Geschlechterkampf“: Mit Schwert und Scheide
It’s a Man’s World! Und die Frau schlägt zurück: Die Ausstellung
„Geschlechterkampf“ in Frankfurt/M. erzählt davon mit verstörenden Werken.
You are viewing proxied material from taz.de. The copyright of proxied material belongs to its original authors. Any comments or complaints in relation to proxied material should be directed to the original authors of the content concerned. Please see the disclaimer for more details.