# taz.de -- Spielfilm „Der traumhafte Weg“: Blicke, Orte und Dinge | |
> „Der traumhafte Weg“ der Regisseurin Angela Schanelec lädt das Publikum | |
> ein, sich den Bildern hinzugeben und erzählerische Lücken auszuhalten. | |
Bild: Einfach erschöpft im Moos liegen: Miriam Jakob als Theres in „Der trau… | |
Auf einem großen Parkplatz, der zugleich eine Aussichtsplattform für | |
Touristen bietet, irgendwo in Griechenland, halten junge Menschen ein | |
Banner hoch, auf dem kurz irgendetwas zu lesen ist. Das Irgendwo und | |
Irgendwas sind ausschlaggebend, denn man sollte bei Angela Schanelecs neuem | |
Film nicht notwendigerweise versuchen, sich an Fakten festzuhalten, sondern | |
das Wie betrachten, das keinesfalls ein „Irgendwie“ ist. | |
Dieser Parkplatz ist eine kleine Bucht in einer bergigen Szenerie, die von | |
zwei jungen Menschen, Theres und Kenneth, erkundet wird. Sie sind im Urlaub | |
und haben sich gerade kennengelernt. Wie dieses Banner sich im Wind | |
verdreht, wie sich Theres’ glatte, dunkelbraune Haare im Wind verdrehen, | |
wie Busse dort auf dem kalkigen Stein ankommen und umdrehen, und wie | |
Theres’ Hand im Waldstück nach Kenneth greift – das sind Bilder und | |
Momente, die ein sinnliches und sehr genaues Wie ergeben, aus dem Schanelec | |
einen Film zusammenbaut, der atemberaubend schön ist, wenn man ihn lässt. | |
Es sind Europawahlen in Griechenland im Jahr 1984, während sich diese | |
deutsche Frau und dieser britische Mann ineinander verlieben. Das Jahr ist | |
vom Drehbuch festgelegt, weil die beiden Figuren am Ende des Films um die | |
50 Jahre alt sein sollen und sich kennenlernen sollen, als beide um die 20 | |
sind. Die Logik der Ereignisse folgt also von hinten aufgerollt entlang der | |
Biografien der Personen, die zur Mitte des Films erst einmal ohne | |
Ankündigung die Handlung verlassen und zum Ende des Films nicht gealtert | |
sind. | |
Die Europawahlen sind als Ereignis zufällig, ähnlich zufällig wie eine | |
Urlaubsbekanntschaft, ähnlich zufällig wie eine Biografie, könnte man | |
meinen. Theres und Kenneth steigen einen Hügel hoch, die Sonne scheint, | |
beide singen am Rand eines Weges „The lion sleeps tonight“. | |
Als „in der Form streng, elliptisch, antidramatisch und aufs Wesentliche | |
reduziert“ hat Hans-Joachim Fetzer anlässlich einer Retrospektive des | |
französischen Filmemachers Robert Bresson 2014 im Arsenal dessen Filme | |
einmal beschrieben, und es scheint, als habe er schon damals „Der | |
traumhafte Weg“ gleich mit beschrieben. Die Bilder im 4:3-Format von | |
Kameramann Reinhold Vorschneider, mit dem Angela Schanelec seit ihrem | |
Langfilmdebüt „Das Glück meiner Schwester“ (1994) zusammenarbeitet, sind | |
nicht – wie sonst so oft – minutenlang, und dabei auf ihre Art wunderbar | |
geheimnisvoll. | |
## Die Ausschnitthaftigkeit eines Moments | |
Sie zeigen Körper aus nächster Nähe, begrenzen das Blickfeld und damit auch | |
den Blick auf das große Ganze und führen uns die Ausschnitthaftigkeit eines | |
Moments und vielleicht letztlich eines Lebens vor Augen. Zeitsprung folgt | |
auf Ortswechsel, Ortswechsel auf Zeitsprung, bis in der Mitte des Films | |
eine ganz neue Liebesgeschichte beginnt. | |
Sollte man also an dieser Stelle überhaupt vom Wie zurück auf das Was gehen | |
und von dieser zweiten Geschichte anfangen zu erzählen oder Schanelec | |
selbst ernst nehmen, wenn sie sagt, dass es ihr nicht darum gehe, sich mit | |
etwas zu beschäftigen, dass sie nicht lösen, nicht zusammenfassen und nicht | |
aufklären kann? Sollte man nicht lieber das „Rätsel“, wie es Regisseur | |
Christoph Hochhäusler so schön formuliert, bewahren und nicht, wie im | |
Presseheft des Verleihs mit frappierender Stringenz formuliert wird, | |
versuchen, eine Geschichte zu (re-)konstruieren, die der Film selbst – in | |
oft bestechend für sich stehenden Fragmenten – nur skizziert? | |
Im Vordergrund stehen hier vielmehr die Orte und Dinge, wie so oft bei | |
Schanelec. Nahaufnahmen auf Alltäglichkeiten, Plätze in Städten und | |
Wohnungen: ein Bücherregal, das eine Trennung erzählt, ein Weinfleck, der | |
eine Sucht erzählt, ein Schwimmbad, das eine Gruppe erzählt, ein | |
Bahnhofsvorplatz, der eine Reise erzählt, ein Schuh, der ein Leben erzählt | |
oder ein Kind, das ein anderes Leben erzählt. Man kann sich aus diesen | |
Dingen ein filmisches Puzzle zusammenbauen, genauso gut kann man die | |
einzelnen Teile aber auch für sich stehen lassen, sie genauer betrachten | |
und sich über ihre Schönheit und singuläre Bedeutsamkeit freuen. | |
## Einladung zu einer Reise | |
Der Film ist die Einladung zu einer Reise, die durch zwei Familien und 30 | |
Jahre Leben führt – ein Traum, in den unvermittelt ein Lied platzt, das | |
ebenso unmittelbar wieder endet: „Gonna be you and me, it’s gonna be | |
everything you’ve ever dreamed“. | |
„Der traumhafte Weg“ ist in vielerlei Hinsicht ein radikaler Film, denn er | |
fordert von seinem Publikum, sich den Bildern hinzugeben und narrative | |
Lücken entweder selbst zu schließen oder es auszuhalten sie stehen zu | |
lassen. Das ist ein seltenes Angebot. Vor allem im deutschen Film ist es | |
eine überraschende Ausnahme. | |
Diese Art, Beziehungen zu erzählen, Lebensgeschichten als bruchstückhaft zu | |
begreifen und Schicksale als Momentaufnahmen, nicht aber als große Dramen | |
zu inszenieren, ist verführerisch, und man sollte sich von der | |
Eigenwilligkeit einer Angela Schanelec in jedem Fall verführen lassen. | |
27 Apr 2017 | |
## AUTOREN | |
Toby Ashraf | |
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Montana | |
Isabelle Huppert | |
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