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# taz.de -- Frauenfilmfestival in Dortmund: Militärkörper freilegen
> Beim Internationalen Frauenfilmfestival gab es vielfache Bezüge zwischen
> Spielfilm und Videokunst zu entdecken – samt Sprengkraft.
Bild: Unmöglicher Wechsel zwischen Kampfhandlung und Bürgerlichkeit: Szene au…
Warum nicht einmal mit den Gewinnern beginnen? In der 30. Ausgabe des
Frauenfilmfestivals, dieses Jahr in Dortmund, ging der Preis für den besten
Spielfilm an zwei französische Schwestern: Delphine und Muriel Coulin.
„Voir du pays“ (The Stopover) ist der Titel ihres Films, den sich im
Kinosaal viele entgehen ließen – unter anderem die extra nach Dortmund
gereisten Schauspielerinnen Ariane Labed („The Lobster“, „Attenberg“,
„Alice und das Meer“) und Ginger Romàn („Bas-Fonds“), was aber sicherl…
andere Gründe hatte.
Denn nach der Vorführung waren beide wieder da und gaben Auskunft über die
Muskelberge, die sie sich zur Vorbereitung antrainieren mussten. Von denen
ist im Film tatsächlich kaum etwas zu sehen, was daran liegen mag, dass
Labed, Romàn und die Dritte im Bunde, Sängerin und Schauspielerin SoKo
(„Die Tänzerin“), neben ihren gestählten männlichen Kollegen eher zierli…
erscheinen.
Das ist in einem Film wie dem der Coulin-Schwestern kein unwesentliches
Detail, geht es hier doch gerade um ihn, den Körper, der in allen möglichen
Konditionen und Posen zu betrachten ist. „Voir du pays“ erzählt vom
obligatorischen dreitägigen Aufenthalt in einem Luxushotel im griechischen
Teil Zyperns, den alle französische Truppen absolvieren, die sich auf dem
Heimweg aus Afghanistan befinden. Zur Dekompression soll die
Zwischenstation dienen, obwohl Marine (SoKo), Aurore (Labed) und Fanny
(Romàn) ahnen, dass es sich im Grunde nur um eine Maßnahme handelt, die
besonders zerrütteten Fälle bereits vor der Entlassung in das zivile Leben
herauszufischen.
## Reinszenierung durchlittener Vorfälle
Im Verlauf von „Voir du pays“ stellt sich schnell heraus, dass so gut wie
alle den ein oder anderen Knacks vom Kriegseinsatz davongetragen haben; die
Tage im Resort, inmitten gewöhnlicher Gäste, geraten zur Wiederholung, zur
Reinszenierung durchlittener Vorfälle, wenn auch unbewusst. Sie legen einen
Militärkörper frei, dem der Wechsel zwischen Bürgerlichkeit und
Kampfhandlung verunmöglicht ist. Delphine und Muriel Coulin haben durchaus
Freude daran, beide Modi im Film einander begegnen zu lassen – die sich
exponierenden, tanzenden Touristen mit ihren gebräunten Körpern und den
bunten Cocktails in der Hand werden von den Soldaten beobachtet, als
entsprängen sie einem Fiebertraum.
Es ist eine sonderbare Gleichzeitigkeit, die in „Voir du pays“ offenbar
wird und die ihre Spuren in das Festival, nach Dortmund hineinträgt. So
eröffnete parallel zur Kinovorstellung eine Ausstellung des HMKV (Hartware
MedienKunstVerein) im Dortmunder U – Zentrum für Kunst und Kreativität
namens „Gesellschaft zur Wertschätzung des Brutalismus“.
Teil der Gruppenschau sind drei Videoarbeiten Anne-Valérie Gascs unter dem
Projekttitel „Crash Box“. In ihnen ist minutenlang gar nichts zu sehen,
bloß der Blick in ein ausgehöhltes Gebäude, durch das gelegentlich ein
Windzug weht oder einige Vögel fliegen. Bis es zu einer Kettenexplosion
kommt, die binnen Sekunden den Standort der Kamera erreicht und das Bild in
Schwarz taucht. Positioniert ist die Kamera innerhalb eines riesigen
LKW-Reifens, der selbst Teil der Ausstellung ist.
## Flammenwerfer benutzen
Nach der Sprengung (denn um eine solche handelt es sich) konnte der orange
markierte Reifen aus den Trümmern geborgen werden, mitsamt Aufnahmegerät.
Eine wenig komplexe Anordnung, deren Effekt dennoch schockierend ist: Der
Blick auf die herannahende Katastrophe rührt an Existenzielles, fast ist
es, als wohnte man seinen eigenen letzten Momenten bei. Gewissermaßen sind
es auch die Bilder, die ähnlich gebrochen in „Voir du pays“ beschworen
werden, etwa wenn die Soldatinnen und Soldaten mittels Virtual Reality
traumatische Situationen erneut erleben sollen oder es abends in die
Spielarkaden geht, wo man ausnahmsweise sogar einmal Flammenwerfer benutzen
darf.
Die Brutalismus-Ausstellung im U-Turm verlinkte sich auf interessante Weise
mit einem anderen bemerkenswerten Film des Festivals – „I am Truly a Drop
of Sun on Earth“ der georgischen Regisseurin Elena Naveriani. Mittels
ästhetisch klarer, inhaltlich aber oft nicht ganz eindeutiger Aufnahmen
bewegt sich der Spielfilm um eine Prostituierte, die womöglich eine
Liebesgeschichte mit einem Nigerianer beginnt, durch zerklüftete
Architekturen von Tiflis.
Ähnlich und doch anders kommunizierten der Eröffnungsfilm, Sally Potters
„The Party“, und eine andere große Ausstellung im U, „Ich bin eine
Kämpferin – Frauenbilder der Niki de Saint Phalle“ miteinander, schon
allein wegen des Einsatzes von Schusswaffen, die sowohl in Potters als auch
in Niki de Saint Phalles Werk eine wesentliche Rolle spielen. Exempel wie
diese ließen sich fortführen, verweisen sie doch auf etwas, das längst klar
ist: Ein (Frauen-)Filmfestival ist nie undurchlässig.
11 Apr 2017
## AUTOREN
Carolin Weidner
## TAGS
Film
Körper
Videokunst
Internationales Frauenfilmfestival
Filmfestival
Dokumentarfilm
Schwerpunkt Afghanistan
Spielfilm
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