# taz.de -- Fantasyfilm „The Green Knight“ im Kino: Mit einem Schlag zum Ri… | |
> „The Green Knight“ von David Lowery erzählt viel in fantastischen Bildern | |
> und macht dabei wenige Worte. Seine Hauptfigur ist ein charmanter | |
> Antiheld. | |
Bild: Sieht mit seinem Kettenhemd aus wie ein Ritter: Gawain (Dev Patel) | |
Wer heute einen Ritterfilm dreht, sollte eine Idee haben. Vorausgesetzt, | |
man will nicht einfach Erwartungen an Action und Fantasy bedienen. Was | |
andererseits nicht heißt, dass Action oder Fantasy um jeden Preis zu | |
vermeiden wären. Kann alles dabei sein. Es braucht im Zweifel bloß kleine | |
Umwertungen, vor allem aber eine Haltung, die stärker ist als die | |
Bereitschaft, das zu tun, was „die Fans“ mutmaßlich wollen. | |
„The Green Knight“ des US-amerikanischen Regisseurs David Lowery bietet | |
vieles von dem, was ein Ritterfilm haben muss: Rüstungen, Burgen, die | |
Artus-Tafelrunde, sogar Fantasiewesen treten darin auf, einschließlich des | |
titelgebenden grünen Ritters. Schauwerte hat der Film ebenso, doch sind sie | |
kein Selbstzweck zur Bebilderung von Heldengeschichten. Vielmehr ist die | |
Struktur der Heldenreise als solcher Gegenstand von Lowerys Geschichte. | |
Die Hauptfigur des Films ist Gawain, Neffe von König Artus. Ein junger | |
Mann, der gern tut, was Männer, die sich ausprobieren, mitunter tun: saufen | |
und die Nächte mit seiner Mistress Essel verbringen. Wenn Gawain gefragt | |
wird, ob er schon Ritter sei, erwidert er: noch nicht. [1][Dev Patel], | |
einst Hauptdarsteller in „Slumdog Millionär“ (2008), gibt ihn mit furchtsam | |
juvenilem Staunen. | |
Essel hingegen, und mag sie noch so ironisch einnehmend von Alicia Vikander | |
gespielt werden, ist ihres Standes wegen kein Umgang für Gawain, daher gibt | |
dieser seiner Mutter (Sarita Choudhury), als diese wissen will, wo er am | |
Morgen ohne Stiefel herkommt, zur Antwort: von der Messe. | |
## Ein Jahr im Puppenspiel erzählt | |
An Weihnachten setzt die Handlung ein, sie wird genau ein Jahr später | |
wieder an Weihnachten enden. Dazwischen liegt das Abenteuer Gawains, das | |
sich strenggenommen auf ein paar Tage beschränkt. Ansonsten verbringt er | |
das Jahr, wie im Zeitraffer und stellvertretend durch ein Puppenspiel | |
erzählt, mit dem von ihm geschätzten Müßiggang. | |
Schon die Bilder zu Beginn des Films geben einen Eindruck von der sehr | |
eigenen Herangehensweise Lowerys an seinen Stoff. Die Kamera fixiert eine | |
an einer Burgmauer gelegene verschneite Hütte, vor der eine eingesunkene | |
Gestalt kauert. Neben ihr stehen ein paar Gänse und eine Ziege, eine der | |
Gänse schnappt nach der Ziege, vertreibt sie. | |
Einige Schnitte geben leichte Veränderungen zu erkennen. So ist der Kopf | |
der Gestalt vor der Hütte erst nach rechts, dann nach links geneigt, sie | |
ist mithin nicht tot, sondern schläft bloß. Aus der Hütte treten ein Mann | |
und eine Frau, der Mann führt ein Schwert mit sich, sie streiten, er bricht | |
auf in Richtung Tor. | |
Dahinter hat das Dach eines Hauses außerhalb der Mauern Feuer gefangen. Ein | |
bewaffneter Konflikt, wie es aussieht. Dann fährt die Kamera langsam | |
rückwärts, durch ein offenes Fenster, bis sie beim schlafenden Gawain | |
ankommt. | |
## Lowery setzt wieder auf Wortkargheit | |
Dieses Wortkarge wird den Film weiter begleiten. Schon in [2][„A Ghost | |
Story“ (2017)] hatte Lowery die im Titel angekündigte Gespenstergeschichte | |
in ruhigem Tempo und mit sehr wenigen Dialogen erzählt. Demgegenüber wird | |
in „The Green Knight“ zwar durchaus gesprochen, doch auch diesmal | |
verschwendet das Drehbuch keine Buchstaben. | |
Zum eigentlichen Thema kommt Lowery schnell. Gawain findet sich zum | |
Weihnachtsfest beim König (Sean Harris) ein. Der bittet ihn für den Abend | |
an seine Seite, möchte eine Geschichte von ihm erzählt bekommen. Er habe | |
nichts zu erzählen, bekennt Gawain. | |
Wenige Augenblicke später pocht es laut an die Tür, davor steht eine | |
massige Gestalt in Rüstung – der grüne Ritter. Dieser verlangt ein Spiel in | |
Form eines Kampfs. Der Gegner könne ihn, den grünen Ritter, schlagen, wo er | |
wolle. Doch müsse er nach einem Jahr die grüne Kapelle aufsuchen, um vom | |
grünen Ritter den exakt gleichen Schlag entgegenzunehmen. | |
Gawain nimmt an, haut dem grünen Ritter, der sich bereitwillig hinkniet, | |
den Kopf ab. Der hebt anschließend sein abgetrenntes Haupt auf, um sich mit | |
den Worten „Ein Jahr!“ zu entfernen. | |
## Zaubergürtel soll den Helden schützen | |
Das Ende der Geschichte sollte an diesem Punkt damit klar sein. Gawain | |
erhält allerdings von seiner Mutter, bevor er die Reise zur grünen Kapelle | |
antritt, einen grünen Gürtel, der ihn schützen soll. Die Mutter des | |
Ritteranwärters, hat man in der Zwischenzeit erfahren, ist eine Hexe. | |
Als er seine Reise antritt, steht Gawain zwischen zwei Ansprüchen. Da ist | |
der König, der auf Gawains Zweifel hin, ob er denn wirklich den Weg zur | |
grünen Kapelle gehen muss, fordert: „Ist es zu viel verlangt, Größe zu | |
erwarten?“ Und dann ist da Essel, der Gawain genügt, wie er ist. Dem | |
Streben nach Größe hält sie entgegen: „Reicht es nicht, gut zu sein?“ | |
Gawain reagiert wie stets mit großen, leicht ratlosen Augen. | |
Mit derselben Blauäugigkeit macht sich Gawain schließlich auf den Weg. Wie | |
in einem Märchen durchläuft er verschiedene Stationen, die an Prüfungen | |
erinnern. So begegnet er, während er ein schlammiges Schlachtfeld mit | |
verstreuten Leichen von Kriegern überquert, einem Jungen, der ihn scheinbar | |
arglos anspricht. | |
Dieser Scavenger, zu Deutsch Plünderer, gespielt vom wunderbaren [3][Barry | |
Keoghan], ist eine der schönsten Nebenfiguren des Films. Auch wenn sich die | |
Begegnung mit dem redseligen Jungen sehr zum Nachteil von Gawain | |
entwickelt. | |
## Geist will nicht angefasst werden | |
Ein Stück des endlos anmutenden Wegs weiter macht Gawain Bekanntschaft mit | |
dem Geist Winifred (Erin Kellyman), die in einer verlassenen Hütte spukt. | |
Sie muss den jungen Mann mehrfach an seine Manieren erinnern, etwa als er | |
sie mit der Hand berühren will, um sich von ihrer wahren Daseinsform zu | |
überzeugen, ein Wink in Richtung sexuelle Übergriffe. Überhaupt ist Gawain | |
eine Figur, in der die Schwächen die Stärken auf unbedarfte Weise zu | |
überwiegen scheinen. Darin ist er nicht restlos, aber doch auch | |
sympathisch. | |
Später noch wird er in einem Schloss zu Gast sein, wo ihn die namenlose | |
Lady, erneut von Vikander gespielt, zu verführen und damit zu | |
unritterlichem Verhalten zu bewegen versucht. Lowery nutzt diese Episode | |
für einen Moment der Reflexion, darüber, was das Ganze soll. | |
So fordert die Lady Gawain mit der Frage heraus, warum der Ritter grün sei. | |
Grün wie das Leben, so ihre Vorgabe. Grün wie die Verwesung, lautet Gawains | |
Reaktion. Was sie, einem Orakel gleich, kommentiert: Grün ist, was bleibt, | |
wenn es mit der Liebe vorbei ist. | |
„The Green Knight“, der lose an das mittelalterliche Epos „Sir Gawain and | |
the Green Knight“ anknüpft, ist wie ein Abenteuer erzählt, nur dass die | |
üblichen Wendungen fehlen. Lowery unterläuft recht konsequent etwaige | |
Routinen, allein schon dadurch, dass er Gawain auf denkbar unheroische | |
Weise anlegt. Das tut er auf so reizvolle Weise, dass seine Geschichte eine | |
sperrig-surreale Spannung erhält. Sprechende Tiere und Riesen tun ihr | |
Übriges. | |
## Gleichzeitig entzaubernd und verzaubernd | |
Im Verweigern des Gewohnten hat der Film, wenngleich er völlig andere | |
Mittel einsetzt, am ehesten Vorläufer in Monty Pythons unverwüstlicher | |
Rittersatire „Ritter der Kokosnuss“ (1975) und dem stilistisch streng | |
reduzierten „Lancelot du Lac“ (1974) von Robert Bresson. Lowerys Beitrag | |
besteht unter anderem darin, dass er es in seinem Film schafft, sowohl zu | |
entzaubern wie zu verzaubern. | |
Letzteres gelingt nicht allein durch die liebevolle Ausstattung und | |
überraschenden Kameraperspektiven, auch die Filmmusik von Daniel Hart, die | |
zwischen mittelalterlicher Folklore, repetitiver Minimal Music, dissonanten | |
Avantgarde-Chören und dräuender Elektronik changiert, hat am Zauber des | |
Films einen nicht unerheblichen Anteil. | |
Lowery, der sich unter anderem mit Filmen wie dem Disney-Remake „Elliot, | |
der Drache“ (2016) und [4][„Ein Gauner & Gentleman“ mit einem souverän | |
zuvorkommenden Robert Redford als Verbrecher im gehobenen Alter (2018)] | |
hervorgetan hat, empfiehlt sich diesmal endgültig als großer Filmemacher. | |
Am Ende erhält sogar Gawain die Gelegenheit, Größe zu zeigen. Selbst da | |
bleibt Lowery auf elegante Weise ambivalent. Man kann, wie es aussieht, auf | |
Anhieb zum Ritter werden. | |
29 Jul 2021 | |
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## AUTOREN | |
Tim Caspar Boehme | |
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