# taz.de -- Horrorkurzfilme und Diversität: „Böse Geister wohnen im Abfluss… | |
> Farah Bouamar und Nabila Bushra vom Filmkollektiv Lost über Diversität in | |
> der Filmbranche und den Reiz des Horrorgenres. | |
Bild: Die beiden Gründerinnen des Berliner Filmkollektivs Nabila Bushra (links… | |
taz: Frau Bushra, Frau Bouamar, „I can heal you“, „Ich kann dich heilen�… | |
heißt Ihr erster Horrorkurzfilm, in dem sich ein Mann um seine krebskranke | |
Frau kümmert und langsam dem Wahnsinn verfällt. | |
Nabila Bushra: Es geht um eine Beziehungstragödie. Wie geht man mit den | |
Wünschen erkrankter Personen um, wenn man in der Position ist, Kontrolle | |
und Macht über sie auszuüben. Es geht um Verantwortung, loslassen oder | |
annehmen? Wer bestimmt darüber? | |
Ihr Film zeigt keinen Ausweg aus dieser fatalen Lage. | |
Farah Bouamar: Das haben wir bewusst offen gelassen: Wir haben Raum | |
gelassen, um über Themen wie Krebs, Verluste, Glaube, Aberglaube, Tod und | |
Liebe nachzudenken. Allein die Fragestellungen, die sich nach dem Schauen | |
ergeben, sind wichtig, auch wenn man vielleicht noch gar keine Meinung zu | |
dem einen oder anderen Thema hat. | |
Und warum haben Sie das Genre des Horrorfilms dafür gewählt? | |
Bouamar: Horrorfilme konfrontieren uns mit unseren eigenen Abgründen und | |
Ängsten. Das stilisierte Böse im Horrorfilm ist eine Metapher für | |
gesellschaftliche Missstände. Damit kann man als Filmemacher:innen | |
super spielen. So schaffen wir Aufmerksamkeit für gesellschaftskritische | |
Themen. | |
Wie gehen Sie mit Rollenzuschreibungen und Klischees um? | |
Bouamar: Nabila und ich arbeiten gendersensibel. Uns ist es wichtig, | |
Sehgewohnheiten zu durchbrechen. Bei den Rollenzuschreibungen achten wir | |
darauf, keine klischeebehafteten Frames zu setzen. Hier ist es der Mann, | |
der sich um seine Frau kümmert und mental an seine Grenzen kommt. Wenn wir | |
gezeigt hätten, dass die Frau ihren Mann pflegt und wahnsinnig wird, dann | |
wären wir genau in dem Klischee verblieben, das wir brechen wollten. So | |
wird bei uns weder der Hysteriemythos noch das Bild der femme fragile | |
reproduziert. | |
In einer Szene steht der Mann im Badezimmer, seine Hände sind plötzlich | |
schwarz gefärbt und dann blutig. Wollte er ihrem oder seinem Schmerz durch | |
den Mord ein Ende setzen? | |
Bushra: Ob er Mord als Möglichkeit in Betracht zieht, den Horror zu | |
beenden, darauf geben wir keine Antwort. Wir zeigen aber, wie extrem das | |
Hadern mit der Situation ist und wie es ist, der Ohnmacht ausgeliefert zu | |
sein. Er will um jeden Preis seine Partnerin retten und beschützen, aber er | |
kann nicht. Kontrollverlust und Selbstdestruktivität gehen manchmal Hand in | |
Hand. | |
Wen wollen Sie mit dem Film ansprechen? | |
Bouamar: Niemand ist vor einer solchen Situation gefeit. Wir wollen zeigen, | |
dass es jeden zu jeder Zeit unerwartet treffen und überfordern kann. Der | |
Mann ist beispielsweise kein schlechter Mensch, er liebt, kümmert und sorgt | |
sich, doch bringt ihn die Konfrontation mit dieser Lebenssituation brutal | |
aus dem Konzept und er verliert den Bezug zu sich, seiner Partnerin und zur | |
Realität. | |
Sie spielen mit Mythen und Kulten wie Kaffeesatzleserei. | |
Bushra: Diese Mythen und Kulte sind so alt wie die Menschheit selbst und es | |
ist spannend, dass der Rückgriff auf das Okkulte in Grenzsituationen immer | |
wieder zu beobachten ist, als eine Art letzte Hoffnung. Auch im Film will | |
der Mann mit allen Mitteln seine Frau am Leben halten, obgleich | |
offensichtlich ist, das sie nicht mehr lange leben wird, zum Beispiel, als | |
er ihr ein Amulett anfertigt, das unter ihrem Kissen liegen muss. Sie aber | |
versteckt unter dem Kissen ihre Medikamente. Da fängt der Film an, zwischen | |
Realität und Wahn zu changieren. Und das ist der Moment, in dem die | |
kulturübergreifende Dimension zum Tragen kommt. Wir haben versucht, | |
Schnittstellen unterschiedlicher Kulturräume zu finden, und bei der | |
Recherche haben wir interessanterweise eine Menge gefunden | |
Bouamar: Nabila und ich, wir kommen beide aus unterschiedlichen | |
Kulturräumen. Ihre Wurzeln liegen in Indien und in Pakistan, meine in | |
Marokko. Wir berücksichtigen in dem Film auch Mythen, mit denen wir groß | |
geworden sind. In arabischen Kulturen wird das Badezimmer beispielsweise | |
als ein Ort angesehen, an dem man sich nicht so lange aufhalten sollte. So | |
heißt es, dass die bösen Geister im Abfluss wohnen. Deshalb soll man auch | |
kein kochendheißes Wasser hineingeben, da man die Geister sonst verbrennen | |
würde und sie sich an einem rächen könnten. | |
Was hat Sie auf die Idee gebracht, Horrorfilme zu produzieren? | |
Bushra: Wir beide promovieren und wollen aus unseren wissenschaftlichen | |
Kenntnissen schöpfen und sie kreativ im Film verarbeiten. Wir beschäftigen | |
uns schon seit Langem mit intersektionalen Verschränkungen und haben Themen | |
wie Sexismus, Rassismus und Klassismus auf dem Radar. | |
Bouamar: Unser wissenschaftlicher Hintergrund bereichert unsere kreative | |
Arbeit. Aber nicht nur das. Wir kennen uns aus der Studienzeit in Bielefeld | |
und bringen unsere gemeinsame Lebenserfahrung und eine lustige Freundschaft | |
mit. Vor einem Jahr sind wir nach Berlin gezogen und im Januar 2021 haben | |
wir Lostfilm gegründet und unseren ersten Kurzfilm gedreht. | |
Wann bekommen die Zuschauer*innen* den Film zu sehen? | |
Bouamar: Die Premiere war im April geplant, aber die Coronapandemie hat | |
unseren Plan vereitelt. Nun haben wir den Film bei einigen internationalen | |
Filmfestival eingereicht. Mehr wollen wir vorerst nicht verraten und unser | |
Glück versuchen. | |
Bushra: Und wir versuchen gerade, Fördergelder zu generieren, um unseren | |
zweiten Horrorkurzfilm zu drehen. | |
Um welchen Aufreger dreht sich Ihr zweiter Film? | |
Bushra: Thema unseres nächsten Films ist die lückenhafte Erinnerungskultur | |
in Deutschland. Es geht um Rassismus und um die koloniale Vergangenheit | |
Deutschlands. Für diesen Film werden wir unterschiedliche Orte in Berlin | |
auswählen, die die deutsche Vergangenheit in Erinnerung rufen. Und von | |
diesen Orten ausgehend werden wir eine Horror-Story erzählen. | |
26 May 2021 | |
## AUTOREN | |
Tigran Petrosyan | |
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