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# taz.de -- Porträt der Chansonlegende Barbara: Versöhnung per Lied
> Vor 20 Jahren starb die französische Diseuse Barbara. Ein Hommage-Album
> erinnert an ihre Lebensgeschichte und ihren Song „Göttingen“.
Bild: La Dame en noir: die französische Sängerin Barbara
Barbara, 1930 als Monique Serf in einer jüdischen Familie in Paris geboren,
genießt in Frankreich den Status einer Legende. Hierzulande dürfte die dame
en noir, wie sie aufgrund ihrer stets dunklen Kleidung genannt wird, weit
weniger bekannt sein, wenn doch, dann vor allem durch ihren 1964
komponierten Song: [1][„Göttingen“].
Der Pianist Alexandre Tharaud, der nun die am 24. November 1997
verstorbene Sängerin mit einer Hommage in Form eines kollektiven, schlicht
„Barbara“ genannten Doppelalbums würdigt, erinnert gern an die Geschichte
hinter dem Lied. „Barbara wollte wegen der Nazibarbarei nicht nach
Deutschland“, erzählt er im Interview, „bis sie schließlich den drängend…
Briefen von Hans-Gunther Klein, damaliger Leiter des Göttinger Jungen
Theaters, nachgab.
Mit zwei Stunden Verspätung erschien sie am 7. Juli 1964 tatsächlich auf
der Bühne, doch als sie das alte Klavier erblickte, das ihr dort zur
Verfügung stand, verkündete sie knapp: ‚Ich singe nicht‘.“ Klein setzte
alles daran, sie umzustimmen, nur, wo sollte er um die Uhrzeit einen Flügel
auftreiben? „Sie blieb ungerührt“, fährt Tharaud fort, „schließlich si…
einige Studenten im Saal zum Haus einer in der Nachbarschaft wohnenden Dame
aufgebrochen, von der sie wussten, dass sie einen Flügel besitzt. Den haben
sie dann tatsächlich ins Theater geschleppt und auf die Bühne gewuchtet!“
Barbara willigte ein, sang, das Publikum raste vor Verzückung, der Abend
wurde zum Triumph. „Am nächsten Morgen setzte sie sich unter einen Baum vor
dem Theater und komponierte als Dank für den unvergesslichen Abend
‚Göttingen‘.“ Ihr Song trug zur Verständigung bei, wurde ihr größter …
in Deutschland und auch in Frankreich ein beliebter Chanson.
## Klavier, Stimme, Akkordeon
Barbara war eine echte Diva, aber eine mit großem Herzen. Zu Barbaras 15.
Todestag stellten Radiosender aus Frankreich, Belgien, der Schweiz und dem
frankofonen Kanada eine neunstündige Porträtreihe zusammen, in der frühere
WegbegleiterInnen an ihre extravagante Großzügigkeit erinnerten. Auch die
über 40 Jahre anhaltende Treue ihres Publikums belohnte die Künstlerin
stets mit Liedern, deren zerschmetternde Traurigkeit sie aus den innersten
Winkeln ihrer Seele schöpfte.
Insofern ist jede Hommage an die Pariserin eine Herausforderung, so
unnachahmlich herb war der Klang ihrer Stimme. „Barbara hat wie niemand
sonst ihr eigenes Leben besungen“, erklärt Tharaud. „Es ist schwierig,
solch persönliche Lieder zu interpretieren.“ Doch die Lust, seine
Leidenschaft für die Sängerin mit dem heutigen Publikum zu teilen, war
größer als die Angst, daran zu scheitern. Der Pianist bekennt sich zu
seiner flammenden Liebe für französische Chansons, und so liest sich die
Liste der beteiligten KünstlerInnen wie ein „Who’s who“.
Von Jane Birkin bis zum Popstar Dominique A., von der Sängerin Juliette
Noureddine über Bénabar bis zu Albin de la Simone, aus allen möglichen
Genres von Jazz über Indietronica bis zur Fanfare kommen die
InterpretInnen. Tharaud inszeniert ihre Coverversionen von Barbaras Songs
wunderbar schlicht mit Klavier, Akkordeon und Drums. Jedes Lied findet
einen zu ihm passenden Interpreten. „Ich habe all jene Künstler
kontaktiert, die ich bewundere und ihnen gleich mehrere Titel vorgeschlagen
– manchmal auch nur einen.“
Das empfand er als heikle Angelegenheit, „denn am Ende sollten alle
Interpreten den Eindruck haben, sie haben ihr Lied selbst ausgewählt“. Jane
Birkin bot er zum Beispiel den Song „Là-bas“ an, der vom Jenseits handelt.
Als sie ihn hörte, sei sie augenblicklich in Tränen ausgebrochen“, erinnert
sich Tharaud. „Beim Projekt wollte sie dann unbedingt mitmachen.“ Solch
emotionale Ausbrüche zu provozieren, war zwar nicht seine künstlerische
Absicht – wohl aber ein Gefühl von Liebe auf den ersten Blick, damit sich
jeder sein Lied aneignen könne.
## Intensität der Peformance
In der Auswahl von 27 Songs finden sich Titel wie „Les amis de Monsieur“,
die seit Barbaras Debüt zu ihrem Repertoire zählen. Aus ihrem letzten, 1996
erschienen Album stammt wiederum „Vivant Poème“, dessen Text Jean-Louis
Aubert schrieb. Der ehemalige Sänger der in den Achtzigern erfolgreichen
Rockband Téléphone interpretiert ihn nun selbst. Klassiker wie „Mon
enfance“ und weniger bekannte Juwelen, wie das von Vanessa Paradis
gehauchte „Du bout des lèvres“, sind auch dabei. Nur „L’Aigle noir“,
Barbaras wahrscheinlich bekanntestes Lied, fehlt.
Tharaud klärt auf: „Obwohl sie trotz ihres treuen Publikums nie zu einer
wirklich populären Sängerin wurde, lieferte sie 1981 mit ‚L’Aigle noir‘
ihren einzigen richtigen Hit.“ Doch es ist nicht das Lied, das ihn am
meisten bewegen würde. „Und weil man heute weiß, dass es von sexuellen
Übergriffen ihres Vaters handelt, läuft es einem kalt den Rücken runter“,
so Tharaud. Das Album sollte letztlich nicht Barbaras Lebensweg
nachzeichnen: „Die einzig sinnvolle Hommage ist es, davon zu erzählen, was
Barbara uns gelehrt hat.“
Der Pianist erlebte Barbara zum ersten Mal 1987, als er gerade 18 Jahre alt
war. Die Intensität ihrer Performance versetzte ihn in einem Schockzustand.
Fortan begleitete ihn die Sängerin sein Leben lang. Auf dem Plattencover
sieht man beide wie eng umschlungen, obwohl sie sich nie persönlich
begegneten, geschweige denn, miteinander gearbeitet hätten. Tharaud
widerspricht: „Über ein Jahr lang bin ich komplett in Barbaras Universum
eingetaucht. Ihr Tod bedeutet nichts. Als klassisch geschulter Interpret
spiele ich ohnehin fast ausschließlich Werke von verstorbenen Künstlern.
Und doch ist ihr Werk lebendig.“
## Traute sich sogar selbst ans Mikro
Bei der Frage, was Barbara ihm persönlich beigebracht hätte, lacht Tharaud
auf: „Haben Sie drei Stunden Zeit?“ Wie beflügelt fasst er dennoch kurz
zusammen: „Sie nahm mir die Angst vor der Bühnensituation: sich vor dem
Rampenlicht zu schützen, monatelang in Abgeschiedenheit vorzubereiten, um
dann dem Publikum die eigenen Risse zu offenbaren, sich ihm voll und ganz
hinzugeben.“
Tharaud traute sich sogar selbst ans Mikro. Mit zarter Stimme singt er
„Pierre“, ein Lied über die Abwesenheit. Die marokkanische Sängerin Hindi
Zahra wiederum liefert auf Englisch eine körnigere Version von „Dis, quand
reviendras-tu?“, und Juliette Noureddine stimmt kraftvoll das frivole „Mes
hommes“ an. Die malische Sängerin Rokia Traoré bringt a cappella den Schalk
von „Au bois de Saint-Amand“ zur Geltung, und die Schauspielerin Juliette
Binoche lässt die Bilder aus „Vienne“ wach werden.
„Göttingen“ schließlich, das zur Hymne der deutsch-französischen Versöh…
wurde, rezitiert niemand Geringerer als der Schauspieler Helmut Berger und
liefert damit einen der vielen Höhepunkte dieser gelungenen Hommage an die
große Sängerin Barbara.
24 Nov 2017
## LINKS
[1] https://www.youtube.com/watch?v=s9b6E4MnCWk
## AUTOREN
Elise Graton
## TAGS
Chanson
Göttingen
Chanson
Jane Birkin
Chanson
Chanson
Punk
elektronische Musik
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