# taz.de -- Werkschau über Punk in Frankreich: Solange es Spaß machte | |
> Von der Existenz einer französischen Punkszene in den 70ern wussten | |
> bisher nur Eingeweihte. Nun wird sie mit Songs, Fotos und Interviews | |
> dokumentiert. | |
Bild: Veröffentlichten die allererste Single auf Rough Trade: Metal Urbain aus… | |
„Französischer Rock ’n’ Roll klingt so, wie britischer Wein schmeckt.“… | |
boshafte Diktum von John Lennon war auch Stuart Baker bekannt. Der Manager | |
des Londoner Labels Soul Jazz wusste zwar vom Einfluss der französischen | |
Kultur (von Rimbaud über die Surrealisten bis zu Guy Debord) auf die New | |
Yorker Punk-Avantgarde und ihre britischen Pendants. Dass es auch in | |
Frankreich schon früh eine eigenständige Punkszene gab, hatte er | |
ausgeblendet. | |
Punk ist zur zweiten Hälfte der 1970er auch in Frankreich eingeschlagen, | |
das ist leider in Vergessenheit geraten. „Die Szene bestand aus 50 Punks in | |
Paris, 25 in Lyon und 12 in Nizza“, wie sich der Pariser Punk-Pate Marc | |
Zermati im taz-Interview erinnert. „Es war eine kleine Szene, einige haben | |
Songs komponiert, manche haben Kunst gemacht und Grafik. Im Grunde hat | |
alles auch nur zwei Jahre gedauert.“ | |
Dass da doch mehr los war als geahnt, merkte Baker, als er sich vor fünf | |
Jahren mit Zermati wegen eines Buchvorhabens über das Coverdesign von | |
Punksingles der Jahre 1976 bis 1980 traf. „Mich faszinierte seine Rolle | |
innerhalb der Punkszene Großbritanniens“, so Baker. Denn der 1945 in | |
Algiers geborene Franzose leitete schon 1974 Bizarre Records, ein | |
Indielabel samt Vertrieb in London, und war damit Vorreiter von | |
unabhängiger Labelarbeit und Do-it-yourself-Kultur. | |
Zermati hatte so ziemlich überall seine Finger mit im Spiel. Ja, er nahm | |
sogar Einfluss auf den Werdegang der Kultbands Sex Pistols und The Clash, | |
denn er beriet die Bandmitglieder in Sachen Vermarktung. Eins führte zum | |
anderen und so nahm Baker die Punkszene Frankreichs genauer unter die Lupe. | |
Das Ergebnis seiner Recherche kann sich sehen lassen: Soul Jazz hat nun die | |
vorzügliche Compilation „Les Punks: The French Connection“ veröffentlicht: | |
19 Songs von 17 Bands aus den Jahren 1977 bis 1980 sind darauf enthalten, | |
begleitet von einem 50-seitigen Booklet mit Fotos und Interviews. | |
Das Album beweist, dass Punk in Frankreich auf Augenhöhe mit den | |
amerikanischen und britischen Gleichgesinnten agierte. So erfährt man | |
Näheres über Zermatis Rolle – angefangen bei der Gründung seines ersten | |
Labels Skydog 1973 in Paris, auf dem US-Garage- und Protopunk-Rocker wie | |
Kim Fowley und Iggy & the Stooges Alben veröffentlichten. Skydog haute | |
Originalwerke raus, wie das Stooges Livealbum „Metallic K.O.“, aber auch | |
Bootlegs, etwa von Lou Reed: Alles erschien stets mit Duldung der Künstler. | |
## Faites-Le Vous Même, do it yourself | |
Als Punk dann durch Frankreich fegte, war es wiederum Zermati, der sich für | |
lokale Bands engagierte. 1978 kamen auf seiner Compilation „Skydog | |
Commando“ drei Tracks heraus, die nun auch auf „Les Punks“ vertreten sind: | |
„Kill Me Two Times“ von Electric Callas aus Lyon, „Here Comes My Baby“ … | |
den Dogs aus Rouen und „Electrifié“ von Calcinator – Letzteres eine | |
Rarität. Der Name ihres einstigen Labels FLVM steht für „Faites-Le Vous | |
Même“ französisch für do it yourself; tatsächlich verhalf FLVM Ende der | |
Siebziger mittellosen Bands zum Pressen ihrer selbst produzierten Singles | |
durch geschickte Sammelbestellungen bei großen Vertrieben. | |
Ein Kultobjekt stellt in dieser Hinsicht „I Don’t Wanna Be A Rich“ von den | |
Guilty Razors dar: Die 5.000 Exemplare jener ersten und lange Zeit einzigen | |
Single der Pariser Rotzlöffel wurde vom Label Polydor direkt nach | |
Erscheinen wieder aus dem Verkehr gezogen – und der frisch unterzeichnete | |
Plattenvertrag annulliert. Guilty Razors machten einfach zu viel Stress: | |
Sie hielten ihren A&R-Mann zum Spaß im Büro gefangen, klauten Equipment und | |
verwüsteten diverse Partys. | |
Mit der Stooges-Coverversion „I Wanna Be A Dog“ von Fantomes ist ein | |
weiteres Enfant terrible des French-Punk vertreten: Gitarrist Henri-Paul | |
Tortosa stand später auch mit dem New Yorker Johnny Thunders auf der Bühne. | |
Zermati kennt Tortosa noch aus dessen Teenagertagen: „Er hing immer bei | |
mir im Laden ab und war schon damals eine Nervensäge.“ | |
Open Market hieß Zermatis Plattenladen im Pariser Stadtteil Les Halles (in | |
den späten Siebzigern eine Dauerbaustelle), wo sich das subkulturelle | |
Völkchen mit seltenen Rockimporten, Fanzines und Underground-Comics | |
eindeckte. Im Keller probten Bands. Open Market wurde zum „Treffpunkt von | |
all denen, die später die Punkbewegung definieren würden“, heißt es im | |
Booklet von „Les Punks“. Dazu zählten der US-Rockkritiker Lester Bangs, die | |
zukünftige Pretenders-Sängerin Chrissie Hynde und Sex-Pistols-Manager | |
Malcolm McLaren. Allesamt wandelten sie damals in Paris auf den Spuren | |
ihrer philosophischen und künstlerischen Vorbilder – und waren zu Besuch | |
bei Gleichgesinnten. | |
Zermati soll Malcolm McLaren 1976 auch empfohlen haben, die neue | |
Rockbewegung nicht wie ursprünglich geplant „New Wave“ zu nennen (nach der | |
Kinorichtung Nouvelle Vague um Truffaut & Co), sondern Punk. Tatsächlich | |
war es Zermati, der am 21. August 1976 das allererste „Punk“ benannte | |
Festival im südwestlichen Städtchen Mont-de-Marsan veranstaltete: | |
Französische und britische Bands spielten vor 1.500 Zuschauern. | |
## Punkpioniere Stinky Toys | |
Knapp zwei Wochen danach traten die Sex Pistols zum ersten Mal außerhalb | |
Großbritanniens auf – in Paris. Dass dies geschah, war dem anderen | |
wichtigen französischen Punk-Vektor zu verdanken: Michel Esteban. Ebenfalls | |
mit McLaren befreundet, stellte Esteban damals den Kontakt zum Club Chalet | |
Du Lac her, der nach einer Band für die Eröffnung suchte. Und als McLaren | |
wiederum im September 1976 nach einer französischen Band für das erste | |
Londoner Punkfestival Ausschau hielt, brachte Esteban die blutjunge Band | |
Stinky Toys ins Spiel. | |
Im Booklet von „Les Punks“ werden Stinky Toys zusammen mit Metal Urbain als | |
französische Punkpioniere gefeiert – und sind trotzdem auf dem Album mit | |
keinem Track vertreten. Baker dazu: „Punk – und auch die Kompilation – | |
definiert sich vor allem durch Bands, die auf Indielabels aufnahmen.“ | |
Stinky Toys waren beim Majorlabel Polydor unter Vertrag. Außerdem hätten | |
sie anders geklungen und sich bald vom Punk distanziert. Das mag stimmen, | |
aber man vermisst dann doch die elastischen Riffs der Stinky Toys und den | |
Gesang ihrer jungen Sängerin Elli Mederos. Die Stinky Toys probten damals | |
keine 100 Meter von Zermatis Plattenladen entfernt im Keller von Michel | |
Estebans Laden Harry Cover. | |
Genau wie Zermati war auch Esteban in den Siebzigern auf den Spuren seiner | |
Helden in die USA gereist und traf dort die Ramones, Television und Patti | |
Smith – für ihn prägende Begegnungen, über die er in seinem 1975 | |
gegründeten Magazin Rock News berichtete. Das Magazin existierte, solange | |
es Spaß machte – also etwa ein halbes Jahr. Danach machte sich Esteban in | |
New York daran, sein eigenes Label zu gründen: Rebel. Die erste Single, | |
1977 erschienen, stammte von Marie et les Garçons: Beide Songs, „Rien à | |
dire“ und „À bout de souffle“, haben es nun auf die „Les Punks“-Comp… | |
geschafft. | |
Zur gleichen Zeit schuf die Pariser Band Metal Urbain die Blaupause des | |
Electro-Punk und machte damit in London Furore. Während sich die meisten | |
anderen französischen Punkbands bereits in Auflösung befanden, | |
experimentierten Metal Urbain und verwendeten als erste eine Drummachine. | |
Metal Urbain veröffentlichte übrigens auch die allererste Single beim | |
Londoner Indie-Label Rough Trade. „Zum ersten Mal in der französischen | |
Geschichte waren wir, was Rock angeht, voraus“, bilanziert Zermati. „Dann | |
aber wurde die Bewegung vereinnahmt, alle mussten plötzlich auf Französisch | |
singen, es war einfach vorbei.“ | |
## Zahnarztbohrer-Gitarren von KaS Product | |
Seit einiger Zeit läuft in Frankreich die Gedenkmaschinerie an jene | |
vergessenen Punkjahre – mit Neuauflagen von Insider-Kultbüchern wie „Un | |
jeune homme chic“ des Anti-Dandys Alain Pacadis aus dem Jahre 1978 oder dem | |
DVD-Release des einzigen Punkfilms, „La Brune et moi“, von 1979. Und | |
natürlich freuen sich auch Zermati und Esteban über das wieder erwachte | |
Interesse: Zermati veranstaltete mit „Rock Is My Life – A Skydog Story“ | |
eine schöne Werkschau mit Schätzen aus seinen Archiven und Esteban lieferte | |
mit „Right Time/Right Place“ ein autobiografisches Buch über seine unstete | |
Zeit zwischen New York, London und Paris. | |
Nun könnte es die „Les Punks“-Songauswahl schaffen, ein internationales | |
Publikum mit den teils skurrilen Wiederentdeckungen bekannt zu machen: vom | |
schrillen Humor der Olievensteins (benannt nach dem auf Drogenabhängige | |
spezialisierten Psychiater Claude Olievenstein) über die rotzigen | |
Krachmacher Asphalt Jungle und die deprimäßigen Gazoline bis hin zu den | |
durchdringenden Zahnarztbohrer-Gitarren von KaS Product, die eher dem heute | |
beliebten Subgenre Cold Wave zuzurechnen wären. | |
Auf die Frage, was er davon halte, dass nun ausgerechnet ein britisches | |
Label den französischen Punk an eine junge Generation heranträgt, meint | |
Esteban trocken: „Scheinbar haben wir damals nicht alles falsch gemacht. | |
Und wenn es am Ende die 18-Jährigen dazu inspiriert, ihr eigenes Ding zu | |
machen, soll es mir recht sein.“ | |
3 Apr 2017 | |
## AUTOREN | |
Elise Graton | |
## TAGS | |
Punk | |
Schwerpunkt Frankreich | |
Lesestück Meinung und Analyse | |
Schwerpunkt Frankreich | |
Graphic Novel | |
Chanson | |
Chanson | |
Centre Pompidou | |
Sängerin | |
Sex Pistols | |
## ARTIKEL ZUM THEMA | |
Die Geschichte des Gilles Bertin: Frankreichs Punk-Rock-Bankräuber | |
Er war Sänger einer legendären Punkband, dann raubte Gilles Bertin eine | |
Bank aus und war 28 Jahre auf der Flucht – bis er sich freiwillig stellte. | |
Fotoband und Graphic Novel zu Ramones: Hey Ho let’s Go | |
Ein Fotoband und ein Graphic Novel erzählen die Geschichte der Punkband The | |
Ramones. Und würdigen ihre Verdienste in eindrucksvoller Weise. | |
Porträt der Chansonlegende Barbara: Versöhnung per Lied | |
Vor 20 Jahren starb die französische Diseuse Barbara. Ein Hommage-Album | |
erinnert an ihre Lebensgeschichte und ihren Song „Göttingen“. | |
Debütalbum von Chansonstar Fishbach: Ich ist eine andere | |
In Frankreich ist die gelernte Schuhverkäuferin Flora Fishbach bereits ein | |
Star. Mit ihrem Debütalbum, „À ta merci“ kommt sie nun nach Deutschland. | |
Beat Generation im Centre Pompidou: Techniken des Rausches | |
Jack Kerouac, Allen Ginsberg und andere Hipster: Eine Schau im Pariser | |
Centre Pompidou zeigt die Vorgeschichte von Underground und Punk. | |
Sängerin Lizzy Mercier Descloux: Die Gazelle ist eine Kratzbürste | |
Lizzy Mercier Descloux schrieb schon 1976 über die Punkrebellion. Endlich | |
werden ihre Alben wiederveröffentlicht. | |
Die Sex Pistols und die Stranglers: No Future – und was daraus wurde | |
Ständig fliegen die Fetzen: John Lydon, Sänger der Sex Pistols, hat seine | |
Autobiografie geschrieben. Allerdings waren die Stranglers reflexiver. |