Introduction
Introduction Statistics Contact Development Disclaimer Help
# taz.de -- Beat Generation im Centre Pompidou: Techniken des Rausches
> Jack Kerouac, Allen Ginsberg und andere Hipster: Eine Schau im Pariser
> Centre Pompidou zeigt die Vorgeschichte von Underground und Punk.
Bild: 36,50 Meter lange Schriftrolle: Jack Kerouac, On the Road, 1951
Die erste Frage, die man Kurator Philippe-Alain Michaud und sich selbst
stellt, ist die des „Warum?“. Warum sie? Warum jetzt? Warum zeigt ein
Museum wie das Centre Pompidou in Paris im Sommer 2016 eine Ausstellung
über die Schriftsteller der sogenannten Beat Generation, einen Parcours
rund um Jack Kerouac, Allen Ginsberg, William S. Burroughs, Gregory Corso,
Brion Gysin, Leroi Jones, Michael McClure und all die anderen mehr oder
weniger bekannten, mehr oder weniger bedeutenden Figuren, die sich ab den
50er Jahren von New York bis San Francisco, von Tanger bis Paris um diese
Männer, diese Säufer, diese Junkies, diese genialen Clochards, diese
Dichter des krassen, schnellen Lebens scharten?
Vielleicht weil man sie gerade ein bisschen vergisst, ja, vielleicht, weil
ihre Art zu leben gerade, sagen wir, nicht „au goût du jour“ ist. Vor allem
aber weil die „Beatniks“ bei fast jedem etwas evozieren, allerdings könnten
nur die wenigsten genau sagen, was dieses „Etwas“ eigentlich genau ist.
In Paris haben Philippe-Alain Michaud, der „französische Beatnik“ Jean
Jacques Lebel und die Getty-Kuratorin Rani Singh deshalb beschlossen, der
Bewegung eine große Ausstellung zu widmen, die nicht einfach nur die
Geschichte dieser jungen Männer, ihrer Exzesse und ihrer
freundschaftlich-amourösen Verbindungen nacherzählt, sondern sich einen
ganz präzisen, der Hypothese nach alle Hauptprotagonisten verbindenden
Aspekt herausgepickt hat: ihr Umgang mit den Mitteln der technischen
Reproduzierbarkeit, der Schreibmaschine, dem Fotoapparat, dem Film, dem
Tonband.
„Sie haben eine neue Art des Schreibens erfunden, die eng mit diesen neuen
Techniken, der Möglichkeit der Collage und der Reproduktion verbunden ist“,
versichert Michaud und weist auf die im Zentrum des Hauptraumes
ausgestellte Originalfassung von „On the road“ hin: Eine 36,50 Meter lange
Schriftrolle aus zusammengeklebtem Butterbrotpapier.
## Ohne Punkt und ohne Komma
Wie ein Wahnsinniger tippte Kerouac sein Meisterwerk im April 1951 der
Legende nach in nur drei Wochen nieder – ohne Punkt, ohne Komma, in einem
Zug durch, so als wolle er seine Reise mit Neal Cassady, seinen Trip quer
durch die USA, nicht nur nacherzählen, sondern beim Schreiben noch einmal
erleben. Das Skript liegt in der Ausstellung wie eine Autobahn, darüber
hängende Videoausschnitte der amerikanischen Landschaft der Fünfziger
kreieren die Illusion einer rasanten Fahrt.
Es sollte ein Rausch sein, für Schreiber und Leser, so wie fast alles, was
die Beatniks betrifft mit der Idee des Rauschs, des Tempos, des Rasens,
einer absoluten Unmittelbarkeit, des Ungekünstelten verbunden wird. Bei
seinem Verleger hatte Kerouac mit diesem Ansatz erst einmal wenig Erfolg.
Das Manuskript müsse in Seiten geteilt und redigiert werden, hatte Robert
Giroux damals gemeint, und sich einen Wutanfall des sturzbetrunkenen
Schriftstellers eingefangen („Niemals schreibe ich um! Niemals!“).
Der damals neunundzwanzigjährige Kerouac packte seine Rolle einfach wieder
ein und veröffentlichte sie erst sechs Jahre später, dann doch in
überarbeiteter Version bei Viking Press. So beeindruckend ein Original,
besonders dieses, auch ist, diese doch irgendwie, spätestens seit der
Veröffentlichung des Erstmanuskripts vor ein paar Jahren, bekannte
Geschichte, ist der weniger spannende Aspekt des Ganzen.
Interessanter ist eine spätere Anekdote zur Erfindung des sogenannten
„Cut-up“, einer Technik, in der vor allem William S. Bourroughs glänzte: Es
war im September 1959, Bourroughs kehrte gerade von einem wie immer
langweiligen Interview mit dem Life Magazin in das Pariser „Beat Hotel“,
der französischen Dependance der Gruppe, zurück und fand seinen Freund, den
Dichter Brion Gysin in einem Haufen von Papierschnipseln wieder.
Er habe eine wunderbare Entdeckung gemacht verkündete dieser und erklärte
Bill das Prinzip: Du nimmst einen Text, schneidest ihn auseinander und
verbindest die Elemente neu. Das „Cut-up“ war erfunden und bildete nicht
nur die Basis für die wilde Struktur von Bourroughs „Naked Lunch“, sondern
auch für die folgenden zehn Jahre seines Schaffens.
## Eine an Bildern, Sound und Texten übervolle Ausstellung
Michaud weiß viele solcher Geschichten zu erzählen, sie liegen in allen
Ecken dieser an Bildern, Sound, Texten übervollen Ausstellung, und es würde
Stunden, vielleicht Tage brauchen, um alles zu sehen, alles zu verarbeiten,
was diese jungen Männer in den dreißig Jahren, die die hier ausgestellten
Stücke umfassen, produziert, gedacht und erlebt haben.
Nun mag dies alles für die weniger beataffinen unter uns sehr komplex
erscheinen, doch seien sie beruhigt: Dem ist nicht so. Selbst Einsteiger
werden den Geist des Beat, dieser Hipster vor ihrer Zeit (damals bedeutete
das allerdings nicht „Konformist“ sondern „Nonkonformist“), ein Stückc…
näher kommen.
Zum Beispiel durch die Fotografien der Dichterlegende Allen Ginsberg.
Ginsberg, der fraglos Sympathischste dieser Gruppe von Machos, Ginsberg,
dessen Karriere 1955 schlagartig mit seiner Lesung des Gedichts „Howl“ („I
saw the best minds of my generation destroyed by madness, starving
hysterical naked, dragging themselves through the negro streets at dawn
looking for an angry fix, angelheaded hipsters burning for the ancient
heavenly connection to the starry dynamo in the machinery of night“)
begann, zeigt in seinen handschriftlich annotierten Schwarz-Weiß-Bildern
das Leben der Gruppe, ihre Reisen, ihre Lieben, ihre immer dem Abgrund
nahen Freuden: Neal Cassady und sein „current girl“ im New York der
fünfziger Jahre; William S. Bourroughs und Peter Orlovsky beim Mittagessen
in Tanger; Bourroughs und Kerouac bei einem „mortal fight“ in Tanger;
Bourroughs, steif wie immer, im Natural History Museum in New York; Peter
Orlovsky rauchend in Indien.
Statt einfach nur effekthascherisch von Sex, Drugs, Jazz, dem immer
drohenden Wahnsinn und dem Tod zu erzählen, taucht die Pariser Darstellung
der „Beat Generation“ in ein Lebensgefühl ein.
## Kontrast zum heutige Frankreich
Der Kontrast zu dem des heutigen Frankreich, des heutigen Europa könnte
kaum krasser sein: Wo diese Generation versuchte aufzubrechen, das Tempo zu
erhöhen, das Chaos zu schüren, loszurasen, ohne zu wissen wohin, versuchen
wir zusammenzuhalten, Slow-Life-Slow-Food-Slow-alles-Techniken zu
entwickeln und in dieser auseinanderbrechenden Realität so etwas wie
Stabilität zu finden.
Aber wer weiß, vielleicht wird diese Ausstellung den einen oder anderen
inspirieren, ein bisschen mutiger und rastloser durch die Welt zu laufen.
Die Frage des „Warum jetzt? Warum sie?“ wäre dann zumindest geklärt.
19 Jul 2016
## AUTOREN
Annabelle Hirsch
## TAGS
Centre Pompidou
Literatur
US-Literatur
Punk
elektronische Musik
Centre Pompidou
Martin Heidegger
Michel Houellebecq
Paris
Paris
## ARTIKEL ZUM THEMA
Literarischer Übersetzer Carl Weissner: Das Bedürfnis, oben mitzuspielen
Er war der große Übersetzer und Vermittler des US-Undergrounds: Carl
Weissner. Nun ist eine Sammlung journalistischer Texte von ihm erschienen.
Werkschau über Punk in Frankreich: Solange es Spaß machte
Von der Existenz einer französischen Punkszene in den 70ern wussten bisher
nur Eingeweihte. Nun wird sie mit Songs, Fotos und Interviews dokumentiert.
Musikerin Laurie Anderson in Berlin: Halt mich, Mama
Laurie Anderson ist die Frau mit der elektrischen Geige und dem Vocoder.
Auf der Transmediale erzählt sie von Donald Trump und John F. Kennedy.
40 Jahre Centre Pompidou in Paris: Beaubourg, mon amour
Kein anderes Bauwerk wurde mehr gehasst. Kaum ein Kunsttempel wird heute
mehr geliebt. Ein Blick zurück in die Geschichte des Museums.
150 Jahre Schreibmaschine: Geliebte Erika
Vor 150 Jahren wurde die erste Schreibmaschine vorgeführt. Eine
Liebeserklärung an „Tippsen“, Drucktypen und „Texis“.
Ausstellung von Michel Houellebecq: Gemeinsam Pornos schauen
Auf 2.000 Quadratmetern leuchtet sich Michel Houellebecq in Paris an und
aus. Eine narzisstische Nabelschau mit Humor.
Paris nach den Anschlägen: Reale und irreale Bedrohung
In Paris scheint das Leben wieder seinen normalen Lauf zu nehmen. Doch in
der lukrativen Vorweihnachtszeit haben sich die Verkäufe verringert.
Multimediale Porträts von Oscar Muñoz: Ein Meister des Vergänglichen
Der kolumbianische Multimediakünstler Oscar Muñoz erstellt Porträts, die so
schnell wieder verschwinden, wie sie erschienen sind.
You are viewing proxied material from taz.de. The copyright of proxied material belongs to its original authors. Any comments or complaints in relation to proxied material should be directed to the original authors of the content concerned. Please see the disclaimer for more details.