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# taz.de -- 150 Jahre Schreibmaschine: Geliebte Erika
> Vor 150 Jahren wurde die erste Schreibmaschine vorgeführt. Eine
> Liebeserklärung an „Tippsen“, Drucktypen und „Texis“.
Bild: Wo ist denn da der USB-Anschluss?
Mit der Schreibmaschine ist es wie mit der Glühbirne: Gleich mehrere
Industrienationen behaupten, sie sei von einem ihrer Bürger erfunden
worden. Wir, die noch mehrheitlich „Holzjournalisten“ sind, d. h.
bedrucktes Papier verkaufen, haben uns für den Südtiroler Zimmermann Peter
Mitterhofer entschieden, der vor genau 150 Jahren dem Wiener Hof seine halb
aus Holz gebaute „Meran“ vorführte, die in Serie gehen sollte – aber nic…
ging.
Sechzehn Jahre später, 1882, ließ sich der Philosoph Nietzsche wegen
fortschreitender Kurzsichtigkeit eine Metallschreibmaschine bauen. „Unser
Schreibzeug arbeitet mit an unseren Gedanken“, schrieb er, kehrte jedoch
schnell zur Stahlfeder zurück. Wenn man sich seine Schreibmaschine ansieht,
weiß man, warum.
Nietzsches Verehrer, Hitler, schrieb „Mein Kampf“ auf einer amerikanischen
Remington-Reiseschreibmaschine. Der Nazi-Philosoph Heidegger begriff das
Aufkommen der Schreibmaschine als Beginn der Moderne: „Der moderne Mensch
schreibt nicht zufällig ‚mit‘ der Schreibmaschine und ‚diktiert‘ (dass…
Wort wie Dichten) ‚in‘ die Maschine . . . In der Zeit der ersten Herrschaft
der Schreibmaschine galt noch ein mit der Maschine geschriebener Brief als
Verletzung des Anstands. Heute ist ein handgeschriebener Brief eine das
eilige Lesen störende und deshalb altmodische und unerwünschte Sache. Das
maschinelle Schreiben nimmt der Hand im Bereich des geschriebenen Wortes
den Rang und degradiert das Wort zu einem Verkehrsmittel“, heißt es in
„Parmenides“ (1942/43).“
Dieses „Aufkommen der Schreibmaschine“ fiel nicht zufällig mit dem
Untergang der alten Herrschaften zusammen, denn sie „diktierten“ es nicht
in die Maschine, sondern in die Ohren von Sekretärinnen, Stenotypistinnen,
Schreibdamen – und erst diese „Tippsen“ machten daraus einen Text, wobei
sie die alten Sekretäre mit ihrer mühsamen Handschrift verdrängten und
dabei eine Egalisierung der Geschlechter einleiteten.
## „Typewriter Piece“ von John Cage
1870 gab es in den USA 154 „Typists“, davon waren 7 Frauen. 1930 waren es
schon 775.100 Frauen und nur noch 36.100 Männer: Mehr als 95 Prozent aller
Typists waren also Frauen, wie der „Aufzeichnungssysteme“ erforschende
Friedrich Kittler vorrechnete.
In der taz beherrschen noch heute viele Frauen „Steno“ und das
„Zehnfingersystem“ (Quatsch. Wie kommst Du darauf? Anm. der Redaktion),
während die meisten Männer mit zwei Fingern hacken. Dort waren anfänglich
übrigens ostdeutsche „Erikas“ und westdeutsche „Monicas“ als
Schreibmaschinen im Einsatz – während die „Tippsen“ (Setzer) Ulli und Ge…
hießen.
Wie viele Elogen haben die deutschen Dichter auf die Schreibmaschine
„Erika“ verfasst, die es ab 1910 gab? Aus Sicht ihrer „Tippse“, die in
diesem Fall „Hildegard“ hieß und die Frau des Bestsellerautors Dr. Bernhard
Grzimek war, stellte sich das so dar: „Warum hatte ich Kamel auch in meiner
Ahnungslosigkeit verraten, dass ich stenografieren und maschinenschreiben
konnte!“ (120 Anschläge pro Minute.) „Mein Haustyrann legte sich lang auf
die Couch, futterte ein Stück Konfekt nach dem anderen und diktierte der
billigen Sekretärin Seite um Seite.“ Es war trotzdem eine „sehr schöne
Zeit“, fügte sie in „Mein Leben für die Tiere“ (1964) hinzu.
Schnell entdeckten auch die Musiker den Sound der Macht akkumulierenden
Sekretärinnen und der Damen im „Schreibpool“. Bei Erik Satie ist es 1917
ein (futuristischer) Maschineneinsatz, bei John Cage schon ein „Typewriter
Piece“, zuletzt gab es in den USA ganze Schreibmaschinen-Orchester. Und
umgekehrt imitierte Luigi Russolo eine Schreibmaschine (von Olivetti) auf
dem Klavier.
## Als die Computer aufkamen
Was der „Amischlitten“ für den Zuhälter, war zuletzt die
IBM-Kugelkopf-Schreibmaschine für die Holzjournalisten, jedenfalls im
Westen, die Elitejournalisten im Osten arbeiteten auf einer „Robotron 24“.
Während die „Erika-“ und die „Monica“-Werke mit der Computerisierung
pleitegingen (die Gebäude der „Erika“-Werke sind heute eine
Flüchtlingsunterkunft), gelang Olivetti der Übergang von der elektrischen
Maschine zum elektronischen Rechner – mit dem sogenannten „Texi“: ein
Kleinrechner für 18 Manuskriptseiten und kaum mehr Funktionen als eine
Schreibmaschine. Aber man konnte damit seine Textdatei von jedem
Hotelzimmer aus über das Telefon in die Redaktion schicken. Das war,
bereits 1984, das halbe Internet.
Bei der vollständigen Ersetzung der Schreibmaschine durch Personalcomputer
fiel die Arbeit damit in den Universitäten, Werbe- und Architekturbüros
sowie in Zeitungs-, Radio- und Fernseh-Redaktionen zunächst wieder den
Sekretärinnen zu. Die Männer kamen sich dabei schnell und zu Recht so
überflüssig und ersetzbar vor, dass sie heimlich übten. Tragisch war es bei
den arbeitslos gewordenen Setzern, die man nach einer kurzen Umschulung an
Rechner setzte, an denen sie jedoch keine Chance gegenüber den seit über
100 Jahren mit Tastaturen vertrauten Kolleginnen hatten – mit ihren dicken
Fingern.
Auf Wikipedia heißt es: „Eine Schreibmaschine ist ein von zarter Hand oder
elektromechanisch angetriebenes Gerät, das dazu dient, Text mit Drucktypen
zu schreiben und hauptsächlich auf Papier darzustellen. Zur Auswahl und zum
Abdruck der Zeichen wird vorrangig eine Tastatur benutzt.“ Das
amerikanische Internetlexikon hebt den US-Erfinder Henry Mill heraus, der
bereits 1714 ein Patent einreichte für eine künstliche Methode, „Buchstaben
fortschreitend einen nach dem anderen wie beim Schreiben zu drucken, und
zwar so klar und genau, dass man sie vom Buchstabendruck nicht
unterscheiden kann . . . Ob die Maschine gebaut wurde, ist jedoch
ungewiss.“
## Durchstreichen und Neuschreiben
Man braucht dafür außerdem ein Farbband und etwas, um Tippfehler
auszulöschen, dazu gab es hierzulande ab 1959 „Tipp-Ex“. Die
IBM-Kugelkopfmaschine besaß wenig später ein integriertes Carbonband für
Korrekturen. Eine andere weit verbreitete Möglichkeit zur Korrektur war das
Durchstreichen und Neuschreiben einer ganzen Zeile. Anschließend wurden die
sauberen Abschnitte des Textes mit der Schere ausgeschnitten und auf ein
neues Blatt Papier geklebt – ab 1969 mit dem „Pritt Stift“.
Tipp-Ex, Schere, Pritt Stift – das war das Handwerkszeug des
Holzjournalisten, der seine Texte selber schrieb, weil die
Holzjournalistinnen an einer anderen Schreibmaschine ihre eigenen Texte
zusammenklebten. Die Schreibmaschine: ein Emanzipationswerkzeug.
Gruß h.h.
17 Dec 2016
## AUTOREN
Helmut Höge
## TAGS
Martin Heidegger
Nietzsche
Ostberlin
Farbe
Die Couchreporter
Centre Pompidou
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