| # taz.de -- Multimediale Porträts von Oscar Muñoz: Ein Meister des Vergängli… | |
| > Der kolumbianische Multimediakünstler Oscar Muñoz erstellt Porträts, die | |
| > so schnell wieder verschwinden, wie sie erschienen sind. | |
| Bild: Wasser auf Zement – Oscar Muñoz, Videoszene aus „Re/trato“, 2004. | |
| Hastig rast eine Hand über den Steinboden: Ein geschwungener Pinselstrich | |
| hier, eine feine Schraffierung dort, ein paar locker getupfte Punkte da – | |
| schon setzt sich ein Frauenporträt schemenhaft vom Boden ab. Kaum ist das | |
| letzte Detail gesetzt, springt die Hand schon weiter, rüber zur nächsten | |
| Leinwand. Wieder streicht und punktet und schraffiert und schwingt sie, | |
| wieder entfaltet sich ein Porträt, wieder zieht sie weiter. Fünf Mal läuft | |
| das so, über fünf aneinandergehängte Leinwände, dann beginnt alles von | |
| vorne. | |
| Auf den ersten Blick sieht es ein bisschen so aus, als würde man dem Werk | |
| eines etwas irren Straßenmalers beiwohnen, bis man doch schnell merkt, dass | |
| es hier um etwas anderes gehen muss als locker dahingeworfene Zeichenkunst: | |
| Die Hand des Künstlers, in diesem Fall die des Kolumbianers Oscar Muñoz, | |
| befindet sich ganz offensichtlich in einem Dauerschleifen-Kampf gegen das | |
| Vergessen. Denn während er dem letzten Gesicht gerade noch die Augenbraue | |
| zieht, ist das erste schon dabei, sich zu verformen, zu verblassen, und | |
| manchmal ist es schon ganz verschwunden. | |
| Langsam, fast unmerklich, löst sich eine Unterlippe auf, der Haaransatz, | |
| ein Auge, ein Stückchen Kinn, die Pupille, bis schließlich nur noch der | |
| leere Boden bleibt. Das Auge kommt hier nicht hinterher. Und weil selbst | |
| das neue Bild das zuvor dagewesene niemals identisch reproduzieren kann, | |
| ist das alles auch eine Demonstration künstlerischen Scheiterns. | |
| Alles schwindet unter der Sonne, selbst die Kunst. Schuld daran ist der | |
| Künstler eigentlich selbst, denn Oscar Muñoz, den man nach einem Rundgang | |
| durch seine Retrospektive „Protographs“ im Pariser Jeu de Paume unbedingt | |
| als Meister des Vergänglichen bezeichnen möchte, malt mit Wasser auf heißem | |
| Stein: Die aufleuchtenden Porträts können gar nicht von Dauer sein, sie | |
| sind flüchtige Erscheinungen, Geister, Spuren – Menschen, deren Antlitz | |
| unter der Sonne wie eine Mikroexistenz verbrennt. | |
| ## Ein kurzes Aufscheinen | |
| „Project for a Memorial“ ist, wie es der Titel schon verrät, ein sehr | |
| bildhaftes Nachdenken über das Erinnern und die Zeit, die vor unseren Augen | |
| dahinrieselt. Was sie festhalten kann, das ist die Frage. Dass es die Kunst | |
| nicht ist, macht der Multimediakünstler schnell klar. Doch das ist auch | |
| erst einmal gar nicht so wichtig. Wichtiger sind die Menschen, die seine | |
| Bilder, etwa die Wasserzeichnungen, bewohnen und an deren kurzes | |
| Aufscheinen in der Welt hier erinnert wird. Wer sie sind, das erfährt man | |
| nicht. | |
| Nur so viel: Sie sind weder bedeutende Politiker noch Mitglieder | |
| einflussreicher Familien, sondern gewöhnliche Menschen, Gesichter, die in | |
| Kolumbien immer wieder in Zeitungen zu sehen sind, meist Opfer der in | |
| Muñoz’ Heimatland wütenden Gewalt. | |
| Anonymität schafft Universalität, und gerade dadurch steht diese Arbeit | |
| programmatisch für das, was Oscar Muñoz (Jahrgang 1951) so zu sehen und | |
| denken scheint, wenn er auf seine Gegenwart blickt, die auch unsere ist. | |
| Denn alles bei ihm läuft am Ende auf das zarte Band zwischen Leben und Tod, | |
| Sein und Nichtmehrsein, Erscheinen und Verschwinden hinaus. Die Konflikte | |
| und die Gewalt in seiner Heimat spielen immer eine Rolle, allerdings nur, | |
| insofern sie für mehr als lokalpolitische Umstände stehen. | |
| Muñoz, der primär mit Fotografie und Film arbeitet, dokumentiert nichts, | |
| sondern spielt vielmehr mit der Unmöglichkeit, dies zu tun. Seine Werke | |
| wirken immer wie am Ende doch gescheiterte Versuche, die Bilder und Momente | |
| des Lebens festzuhalten, vielleicht auch das Leben selbst festzuhalten, | |
| anzuhalten, irgendwie irgendwo die Bremse zu finden. | |
| ## Schön und entsetzlich | |
| Seine Kunst ist – pardon: platt, aber wahr – sehr poetisch. Zum Beispiel | |
| sieht man in „Line of Destiny“, einem seiner bekanntesten Videos, seine | |
| geöffnete Hand, darin liegend eine kleine Pfütze und darin gespiegelt das | |
| Gesicht des Künstlers selbst. Je nachdem wie schnell er läuft, wie er sich | |
| bewegt, wie der Himmel, die Bäume und die Häuser um ihn herum aussehen, | |
| verformt sich auch dieses Spiegelbild in seiner Handfläche. | |
| Schön, aber eben auch entsetzlich – weil der Tod, das Verschwinden, das | |
| Vergessen immer entsetzlich sind, das, was sie überhaupt erst möglich | |
| macht, nämlich das Sein, aber schön bleibt – sind seine Waschbeckenbilder: | |
| In „Narcissus“ zum Beispiel, auch ein Video, schaut die Kamera auf ein | |
| gefülltes Waschbecken, in dem zwei identische Gesichter, Muñoz’ | |
| Selbstporträt, übereinanderliegen wie Schatten. | |
| Das eine liegt am Grund, das andere ist auf die Oberfläche des Wassers | |
| projiziert, sie treffen sich nicht. Erst als das Wasser abzieht, nähern | |
| sich die Bilder seines Selbst an; je mehr sie zueinanderfinden, desto mehr | |
| verformen sie sich, ihre Zusammenkunft am Grund zerstört sie dann komplett: | |
| Das gesamte Gesicht verschwindet mit einem lauten Gurgeln im Abfluss. | |
| Es gäbe noch von vielen anderen solcher technisch und gedanklich subtilen | |
| Arbeiten zu berichten, etwa von „Aliento“, einer Arbeit, bei der die | |
| Besucher durch das Hauchen auf kleine Metallplatten Gesichter zum Vorschein | |
| bringen, ihnen quasi Leben einhauchen, nur hinkt das hier geschriebene Wort | |
| dem Erlebnis der Ausstellung ebenso hinterher wie Muñoz’ Bilder dem Leben. | |
| Am besten sieht man es deshalb einfach selbst. Eigene Erinnerungen halten | |
| länger. | |
| 20 Aug 2014 | |
| ## AUTOREN | |
| Annabelle Hirsch | |
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