| # taz.de -- Ausstellung von Etel Adnan in München: Gemalte Gedichte, sanftes P… | |
| > Sie war nie ganz greifbar. Eine Retrospektive in München widmet sich der | |
| > Malerei und Lyrik von Etel Adnan, die spät als Künstlerin entdeckt wurde. | |
| Bild: Porträt von Etel Adnan in der Türkei 1973 | |
| Auch Etel Adnan gehört zu den großen Frauen in der zeitgenössischen Kunst, | |
| die zeitlebens auf hohem Niveau wirkten. Und über Jahrzehnte kaum beachtet | |
| wurden. [1][Louise Bourgeois] wurde darob beispielsweise zunehmend | |
| sarkastisch. Offenbar musste sie erst alt werden, bevor ihre künstlerischen | |
| Leistungen in der männerbewehrten Rangfolge Spitzenplätze einnehmen durfte. | |
| Etel Adnan – sie ist vor einem Jahr mit 96 Jahren in Paris gestorben – | |
| [2][war 2012 mit 87 erstmals Teilnehmerin der Documenta]. Sie erregte | |
| umgehend Aufsehen mit ihren kleinformatigen Ölbildern. Und war fortan ein | |
| bedeutender Fixpunkt. Das Lenbachhaus in München widmet ihr nun eine große | |
| Retrospektive. | |
| Klar strukturiert und in weich konturierten Farbfeldern schildert Adnan | |
| sonnenbeschienene Landschaften. Oder sind es doch gemalte Gedichte, | |
| rhythmisch, in sanftem Pastell, dabei eindringlich. Manchmal knäuelt sich | |
| etwas in der Mitte, dunkel, starkfarbig. Ein rätselhaftes Objekt, ein | |
| bedrohlicher Gedanke, eine böse Erinnerung? | |
| Fast in jedem Bild gibt es ein strahlend rotes Quadrat. Ein Signet? Auf | |
| jeden Fall fungiert es als Anker. Adnan sagte einmal, wenn ihr nichts | |
| einfalle, male sie zunächst ein rotes Quadrat. Dann gehe es zügig weiter, | |
| stets ohne Unterbrechung. | |
| Sie ließ sich schwer einordnen. War nie ganz greifbar. War sie nun die in | |
| Berkeley und Paris geschulte Philosophin, [3][die in Kalifornien lehrte]? | |
| War sie die Lyrikerin, die Dichterin der 59 Verse umfassenden | |
| [4][„Arabischen Apokalypse“, die den Niedergang der stolzen und mondänen | |
| Metropole Beirut beklagen]? | |
| In einem wandfüllenden Typoskript mit handschriftlichen Korrekturen fasst | |
| sie die scheinbar unauflösbaren, menschenverachtenden Verstrickungen von | |
| Religion und Macht in starke poetische Bilder („… Niemand verlangte von Dir | |
| ein Engel der Angst oder gar des Todes zu sein / Wir wollten nur, Deine | |
| Haut wäre so glatt / wie die See / an einem Nachmittag im Oktober / in | |
| Beirut, Libanon / zwischen zwei Bürgerkriegen …“). Oder war sie die | |
| Journalistin, die Feuilletonredakteurin der jungen Beiruter Zeitung | |
| Al-Safa? | |
| Irgendwann begann Etel Adnan kontinuierlich zu malen, kleine Ölbilder. | |
| Immer mit dem Malmesser, nie mit dem Pinsel, die Textur makellos | |
| glattgezogen, nur manchmal leicht gespachtelt. In ihrer zweiten Heimat | |
| Sausalito an der Bucht von San Francisco entstanden zahllose Varianten des | |
| Mount Tamalpais, der sich unweit ihres Ateliers erhob („Ein Berg ist keine | |
| feste Form, je nach Klima, Wetter, Regen, Jahreszeit verändert er sich.“). | |
| Mehr als 140 Arbeiten sind in der unterirdischen Kunsthalle des | |
| Lenbachhauses ausgestellt. Eine dichte Werkübersicht, zu der auch | |
| Wandteppiche gehören und eher irritierend als aufschlussreich Werke von | |
| Klee, [5][Münter], [6][Kandinsky und Matisse], die wohl belegen sollen, wie | |
| nah Etel Adnan diesen Künstlern etwa in „Fragestellungen zur Verschränkung | |
| von Malerei, Zeichen und Schrift“ war. | |
| Beeindruckend jedoch ist ihr spielerischer und konsequenter Umgang mit den | |
| Leporellos, nach dem Vorbild japanischer Faltbücher – zusammengeklappt eine | |
| Kleinigkeit, auseinandergefaltet ein oft mehrere Meter langes illustriertes | |
| Buch, in dem sie arabische, englische, französische Geschichten erzählt. | |
| Fein kalligrafiert bilden sie eine spezielle Form zwischen Objekt, Poesie | |
| und Zeichnung. | |
| Ein Leporello ist in lebhafter und zärtlicher Scriptura ausschließlich den | |
| Dächern von Paris gewidmet. Das war ihre dritte Heimat, hier lebte sie bis | |
| zuletzt mit ihrer Lebensgefährtin, der Keramikern Simone Fatal. Etel Adnans | |
| nie versiegende Liebe blieb jedoch Beirut, von wo sie immer wieder fliehen | |
| musste. | |
| 10 Nov 2022 | |
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| ## AUTOREN | |
| Annegret Erhard | |
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