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# taz.de -- Tagung zu NS-Engagement: Kolbe, der Opportunist
> Kann man die Kunst vom Künstler trennen? Diese Frage kommt nach einer
> Tagung in Berlin über die NS-Vergangenheit des Bildhauers Georg Kolbe
> auf.
Bild: Mit Kolbe-Plastiken wurde in der NS-Zeit Werbung für die Große Deutsche…
War Georg Kolbe (1877–1947) ein Nazi? Oder hat sich der Bildhauer zwischen
1933 und 1945 zumindest nicht genug von den nationalsozialistischen
Machthabern distanziert?
Solche Fragen interessieren heute, muss doch die Kunstgeschichtsschreibung
einer klassischen Moderne in Deutschland angesichts der tiefen Verbindungen
von wichtigen Figuren [1][wie documenta-Gründer Werner Haftmann] oder
Expressionist Emil Nolde zur Ideologie des Nationalsozialismus einer
kritischen Revision unterzogen werden. Entsprechend groß war auch der
Andrang zur dreitägigen Tagung an diesem ersten Septemberwochenende im
Berliner Georg Kolbe Museum.
Anlass zu dieser Tagung war ein sensationeller Quellenfund. 100
Umzugskisten aus dem Nachlass von Kolbes Enkelin voll mit Dokumenten,
Briefen, Notizen und Kunstwerken kamen 2020 ans Kolbe-Museum. Hier
entschloss man sich, das Material von einer umfangreichen Gruppe von
Forschern auswerten zu lassen – insbesondere was die NS‑Zeit anbelangt.
Man hörte also: Schon im Kaiserreich unterschied sich Kolbes Werk mit
seinen nackten Tänzerinnen und kauernden weiblichen Figuren, aber auch mit
dem Torso eines „Somali-Negers“ vom Mainstream des neobarocken Pomps und
Wulsts. Heldenkult und chauvinistische Lächerlichmachung waren seiner
Plastik fern. In der Weimarer Republik war Kolbe – nun bei seiner
Figuration mehr ins Abstrakte spielend – dann der berühmte und geachtete
Bildhauer.
## Hitler kaufte Plastiken von Kolbe
Schon Anfang der 30er Jahre werden seine Figuren wieder realistischer und
widersprechen der nationalsozialistischen Kunstauffassung nicht. Kolbe
bleibt auch nach 1933 erfolgreich im Geschäft. Seine Plastiken werden von
Nazi-Größen (einschließlich Hitlers) gekauft, öffentlich ausgestellt und
bei der gleichgeschalteten Presse meist positiv bis enthusiastisch
besprochen.
NSDAP-Mitglied war Kolbe jedoch nie, auch sind keine rassistischen
Äußerungen bekannt. Kolbe scheint vielmehr ein Opportunist gewesen sein.
Noch 1939 nahm er an einem Staatsbankett teil.
Das sind die Indizien zur ambivalenten Person Georg Kolbe. Aber war seine
Kunst auch nationalsozialistisch? Die Subtilität, Vergeistigung und das
beständige Suchen nach formalen Lösungen entfernt Kolbes Plastik weit von
den brutalen bis kitschigen Machwerken der seinerzeit gefeierten
Staatsbildhauer wie Arno Breker oder Josef Thorak.
## Kolbes Formen entsprachen nicht dem NS-Rasseideal
Doch dieser genaue Blick auf die Kunst ist derzeit nicht gefragt. Auf der
Tagung war es eigentlich nur Arie Hartog vom Bremer Gerhard‑Marcks‑Haus,
der an die Aufgabe von Kunsthistorikern erinnerte, „Distinktionen
nachzugehen“. Seine Formanalyse von Kolbes „Hüterin“ (1938), die heutigen
Zeitgenossen durchweg als realistische, nackte Frauenfigur vorkommt, machte
auf der Tagung deutlich: Kolbes Formen mit einseitig überlängertem Bein und
Fehlstellung der Hüfte konnte wohl kaum einem NS-Rasseideal entsprechen.
Doch das konnte oder wollte offenbar sonst keiner sehen. Denn bei dieser
Tagung stand die Befragung der neu aufgetauchen Dokumente und deren
mögliche politischen oder moralischen Implikationen im Vordergrund.
Derzeit bestimmt im Kunstbetrieb das vermeintlich moralisch Saubere
beziehungsweise Unsaubere des Kunstschaffenden den Wert seiner Kunst. Dabei
kann die Kunst eigene Botschaften vermitteln und den Künstler selbst
überdauern, wenn sie denn ästhetisch gelungen ist. Was Meinung oder Faktum
sei, hat dagegen häufig einen zeitlichen Index im Gefolge. Eine Lehre aus
dieser Tagung müsste also lauten: Vergesst bei der Kunst das Ästhetische
nicht.
6 Sep 2022
## LINKS
[1] /Ausstellung-zur-ersten-documenta-1955/!5854978
## AUTOREN
Ronald Berg
## TAGS
Schwerpunkt Nationalsozialismus
Deutsche Geschichte
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Moderne Kunst
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