| # taz.de -- Sammlung im Georg Kolbe Museum: Wer hier ein und aus ging | |
| > Die Enkelin des Bildhauers Georg Kolbe ist verstorben. Ihr Nachlass hat | |
| > dem gleichnamigen Museum neues Material über dessen Leben beschert. | |
| Bild: Architekt und Künstler beobachten den Baufortschritt von Georg Kolbes At… | |
| Bernd, der Enkel des Bildhauers Georg Kolbe, ist noch ein kleines Kind auf | |
| einem Foto, das ihn im Garten neben dem Atelierhaus zeigt, zusammen mit dem | |
| Modell eines Skulpturenpaares. Es ist ein Menschenpaar aus der Zeit 1937, | |
| als Kolbes früher bewegte Skulpturen statischer wurden, muskulöse | |
| Idealfiguren, die man heute skeptisch betrachtet, weil sie den | |
| Körperidealen der Nationalsozialisten so ähnlich sehen. | |
| Das Modell ist viel kleiner als der Junge; doch weil das Skulpturenpaar in | |
| der Realisierung später eine heroische und eher monumentale Ausstrahlung | |
| hat, mutet der Kontrast auf dem privaten Foto seltsam anrührend an, eine | |
| Relativierung des Pathos. | |
| Das Foto kam, zusammen mit vielen weiteren privaten Aufnahmen, mit dem | |
| Nachlass von Bernds Schwester, Maria von Tiesenhausen, in das Georg Kolbe | |
| Museum in seinem ehemaligen Atelierhaus. Kolbes Enkelin, Maria von | |
| Tiesenhausen, starb im Juni 2019 mit 90 Jahren in Kanada. Bis 1978 war sie | |
| die zweite Direktorin des Georg Kolbe Museums gewesen. | |
| Ihr Nachlass, mit vielen Fotografien, privaten und professionellen aus dem | |
| Bildhaueratelier, mit Zeichnungen, Kunsthandelsunterlagen, Briefen, | |
| Tagebüchern, Besucherbüchern und selbst mit kleinen Skulpturen, die als | |
| verschollen galten, und mit vielem mehr, ging an das Kolbe Museum, das | |
| heute von Julia Wallner geleitet wird. | |
| ## Wenige Nachlässe sind so umfassend | |
| Für ein Gespräch sitzen wir im zweiten Gebäude im Kolbe-Garten, das gerade | |
| saniert wird. Hier hatte seine Tochter mit ihren Kindern gewohnt, jetzt | |
| stapeln sich in einem Raum die Kartons mit Büchern aus Kolbes Bibliothek | |
| und der seine Enkelin. Julia Wallner hatte in den letzten Jahren ein | |
| Vertrauensverhältnis zu der Enkelin aufgebaut, sie in Kanada besucht. | |
| Doch wie umfangreich das Material war, das Maria von Tiesenhausen 1978 mit | |
| nach Kanada genommen hatte, überraschte auch sie, als sie den Nachlass im | |
| September 2019 das erste Mal sichten konnte. Da war viel, was nicht nur in | |
| der 4-Zimmer-Wohnung der Enkelin gelagert war, sondern auch noch in | |
| zusätzlichen Garagen und Lagerräumen. Für Julia Wallner ist das Material | |
| für mehrere Themen, die nach und nach am Kolbe Museum aufgearbeitet werden. | |
| „Ich kenne nicht viele künstlerische Nachlässe, die so umfassend sind wie | |
| hier“, sagt sie: „Das Haus, der Garten, die Werke, die Dokumente, die | |
| Fotografie. Das ist sehr komplex an einem Ort. Das kann beispielhaft stehen | |
| für ein Künstlerleben in der ersten Hälfte des 20. Jahrhunderts.“ | |
| Aufschluss gibt der Nachlass zum Beispiel zur Baugeschichte des Museums | |
| selbst, von Ernst Rentsch und dem Bauhausschüler Paul Linder entworfen. | |
| Viele Pläne fanden sich, mit denen „die Zusammenarbeit zwischen Architekt | |
| und Bildhauer“ sichtbar wird. „Aus den Plänen geht hervor, wie sehr Kolbe | |
| eingegriffen hat“, erzählt Julia Wallner mit Begeisterung. | |
| ## Kolbe hat viel vereinfacht | |
| „Strich für Strich nimmt Kolbe etwas weg, der Architekt fügt etwas hinzu, | |
| Kolbe zeichnet ein Quadrat darüber. Am Ende haben sie zu zweit eine gute | |
| Lösung gefunden. Kolbe hat viel vereinfacht.“ | |
| „Wir wussten schon immer, dass der Bau auf den Tod von Benjamine Kolbe | |
| reagiert, die mit 45 Jahren 1927 gestorben war. Es geisterte eine | |
| Geschichte durch das Haus, das Kolbe von der Dachterrasse aus auf das Grab | |
| von Benjamine auf dem Waldfriedhof sehen konnte. Aber das geht hier nicht. | |
| An den jetzt neu entdeckten Plänen mit den bisher unbekannten Entwürfen von | |
| 1927 haben wir erst gesehen, dass ursprünglich ein anderer Bauplatz, nahe | |
| der Trauerhalle des Friedhofs, vorgesehen war. Da rührte die Geschichte | |
| her.“ | |
| Dass der Tod seiner Frau Benjamine den Bildhauer sehr getroffen hat, war | |
| zwar bekannt. Seine Skulpturen verloren das Leichte, Bewegte und | |
| Tänzerische, das ihn nicht nur bekannt gemacht hatte, sondern auch als | |
| einen Protagonisten der Moderne auftreten ließ. Aber wenig weiß man bisher | |
| über Benjamine Kolbe selbst, „sie ist sehr schwer zu fassen“, wie Julia | |
| Wallner sagt. Auch da kann der Nachlass helfen, ein plastischeres Bild zu | |
| gewinnen. Das haben sich die Volontärinnen des Hauses vorgenommen. | |
| ## Aufschluss, in welchen Kreisen Kolbe verkehrte | |
| Beim Material sind kleine Taschenkalender Kolbes aus den späten dreißiger | |
| und vierziger Jahren, Besucherbücher und Anrufbücher, wo tatsächlich die | |
| Anrufe notiert wurden. „So kann man gut nachvollziehen, wer hier ein und | |
| aus ging und angerufen hat“, sagt Julia Wallner. Sie erhofft sich davon | |
| großen Aufschluss darüber, in welche Kreise Georg Kolbe eingebunden war. | |
| Ebenso gibt es viele Briefwechsel, die helfen können, seine Haltung in der | |
| Weimarer Republik und in der Zeit des Nationalsozialismus genauer zu | |
| zeichnen. | |
| „Er hat sich immer als ‚unpolitischer Mensch‘ verstanden“, erzählt Wal… | |
| „das würden wir heute nicht so bewerten. Er glaubte, man müsse versuchen, | |
| sich eine innere Freiheit zu erhalten, das geht aus dem Briefwechsel mit | |
| Ernst Barlach hervor. Aber er wollte auch Anerkennung finden. Er hatte auch | |
| ein Geltungsbedürfnis und sah sich als den führenden Bildhauer der Weimarer | |
| Republik. | |
| Er dachte, er kann sich diesen Status erhalten und trotzdem frei bleiben. | |
| Er hat in allen unterschiedlichen Regimen seinen Platz gesucht. Wir haben | |
| viele Briefe von ihm, in denen er schreibt, wie stark er das System des | |
| Nationalsozialismus ablehnt, wie groß die innere Distanz ist.“ Aber dann | |
| gebe es auch einen Brief an eine Bildhauerin, in der er die „neue Zeit doch | |
| auch interessant findet und hofft, eine Skulptur zu verkaufen“. | |
| Die Kurven zwischen Ablehnung, Distanzierung und Anbiederung genauer zu | |
| fassen zu bekommen, erhofft sich Wallner durch das Material. Sie will eine | |
| Biografie zu Kolbe schreiben; denn in seiner Geschichte steckt für sie | |
| vieles drin, was über den Bildhauer hinaus für die Berliner Geschichte | |
| bedeutsam ist. | |
| ## Ursel Berger stellte Bildhauerinnen vor | |
| [1][Als ich das Georg Kolbe Museum Mitte der 1980er Jahre kennenlernte], | |
| war dort Ursel Berger Direktorin (von 1978 bis 2012). Unter ihrer Leitung | |
| stellte das Haus auch Bildhauerinnen vor, wie 1986 Clara Rilke-Westhoff, | |
| oder die deutschtürkische Bildhauerin Azade Köker. Kolbes Skulpturen waren | |
| immer im Garten präsent, aber meistens nicht der Grund, das Haus | |
| aufzusuchen. | |
| Andere Ausstellungsthemen dockten an sein Werk thematisch an, Ausstellungen | |
| über den Tanz in den zwanziger Jahren, den neuen Frauentyp, | |
| Bildhauermodelle und Fotografen haben dafür gesorgt, dass das Georg Kolbe | |
| Museum attraktiv blieb und sich nicht auf einen Künstler verengte. | |
| Nicht gut war hingegen das Verhältnis von Ursel Berger zu ihrer Vorgängerin | |
| Maria von Tiesenhausen. Ursel Berger hatte einen anderen Blick auf das Werk | |
| von Kolbe, die beiden Frauen haben sich, wie Julia Wallner erzählt, | |
| „ziemlich schnell, ziemlich heftig zerstritten“. Als Wallner 2013 anfing, | |
| gab ihr Ursel Berger aber mit auf den Weg, doch einen neuen Versuch eines | |
| Kontakts zur Enkelin zu starten. | |
| ## Das Jahr 1947 | |
| Die Geschichte des Kolbe Museums begann mit seinem Tod 1947. Der Künstler, | |
| der stolz darauf gewesen war, es aus eigener Kraft, ohne ererbten Reichtum, | |
| mit seinen eigenen Händen zu einem erfolgreichen Künstler gebracht zu | |
| haben, verfügte in seinem Testament, dass sein Atelierhaus, die Skulpturen, | |
| die in seinem Besitz waren, und seine Bibliothek erhalten bleiben und | |
| öffentlich zugänglich gemacht werden sollten. | |
| Dabei half eine zu diesem Zweck gegründete Stiftung. Vor Maria von | |
| Tiesenhausen leitete Margit Schwartzkopf, Kolbes Fotografin und spätere | |
| Assistentin, das Haus. „Als wäre der Meister eben aus dem Zimmer gegangen, | |
| eine Kultstätte für Kolbe, in der der Lehm, mit dem er arbeitete, noch | |
| feucht gehalten wurde“, so beschreibt Wallner die anfängliche Inszenierung | |
| des Atelierhauses. | |
| Maria von Tiesenhausen spielte schon eine andere Rolle. Sie hat in | |
| diplomatischen Verhandlungen mit der DDR dafür gesorgt, dass Kolbes | |
| zeichnerischer Nachlass, der im Krieg in den Bunker Friedrichshain | |
| ausgelagert worden war, an das Haus zurückkam. Sie hat an einem | |
| Werkverzeichnis Kolbes gearbeitet und 1990 einen Briefband herausgebracht. | |
| Die geerbten Unterlagen zeigen auch die Spuren der Ordnungssysteme, die sie | |
| in das Material brachte. Julia Wallner zeigt es mir an mehreren Ordnern mit | |
| Briefen, die gerade bearbeitet werden. Aber vermutlich, so denkt die | |
| Direktorin, hat von Tiesenhausen der „riesige Haufen“ Stoff auch entmutigt, | |
| einen Anfang zu finden. In einzelne thematische Cluster gegliedert sieht | |
| Wallner in dem Nachlass hingegen eine große Chance, den Kontext von Kolbes | |
| Werk und einem Künstlerleben seiner Zeit in seinen vielen Verästelungen | |
| aufzufalten. | |
| 27 Dec 2020 | |
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| ## AUTOREN | |
| Katrin Bettina Müller | |
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